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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Einer verwandteren Natur begegnete Bulwer in d'Jsraeli. dessen
Conningsby 1844 wol ohne das Vorbild von Pelham und Maltrcwers nicht
geschrieben worden wäre. Hier wurde nun ein Programm für die jüngere
Schule der Tones gegeben, wie im Pelham für die jüngere Schule der Whigs-
Die beiden Standpunkte haben sich spater vereinigt und die beiden Novellisten
gehören gegenwärtig zu den einflußreichsten Führern der sogenannten constt'
vativen Partei.

Noch viel auffallender war die Verwandtschaft mit Thackeray. dessen
Vcmity-fair 184 7 der Poesie eine neue Bahn öffnete. Jetzt erst wurde die
Theorie der gemischten Charaktere von einem glänzenden Talent verwirklicht-
Was bei Bulwer aus einer gewissen Doctrin hervorging, ist bei Thackeray
Natur: ein Virtuos in der Zersetzung. wie ihn vielleicht die Literaturgeschichte
noch gar nicht kennt, weiß er die kleinen Niedrigkeiten im Gemüth des Guten
und Edlen mit einem Scharfsinn aufzuspüren, der etwas Bezauberndes, aber
auch etwas Unheimliches hat. Auch Thackeray ist trotz seines gewaltige"
Realismus ein subjectiver Dichter, denn sein psychologischer Reichthum dient
nur dazu, seine melancholische Stimmung zu illustriren. Daher ist der Ein¬
druck dieses Dichters ein so sehr abweichender: er erregt entweder Absehen
oder Entzücken, je nachdem der Leser ihm eine verwandte oder widersprechende
Stimmung entgegenbringt. Aber schon aus diesem wechselnden Eindruck
sollten seine Bewunderer erkennen, daß ihm doch jene höhere Dichterkraft ab'
geht, welche die Herzen zwingt.

Aus dem doppelten Einfluß dieser beiden jungem Schriftsteller ist die
neue Phase in Bulwers Schaffen zu erklären. Die drei neuesten Romane
"Hr<z LaxtcwL 1847--49; Novkl ol- varivties ok Imirum like" 1851 "ut
der soeben erschienene Roman erinnern in der äußern Form durchweg an Tha¬
ckeray. Bulwer hat seine alte künstlerische Methode vollständig aufgegeben
und bemüht sich geflissentlich, die Elemente seiner Erzählung so viel als mög'
lich durcheinandcrzuwerfen. ja sie durch Excurse. die gar nicht hineingc'
hören, zu unterbrechen. Wenn die Symmetrie seiner frühern Schriften mit'
unter nach der Schablone aussah, so strebt er jetzt vielmehr nach einer rei'
zenden Verwirrung, der man freilich auch wieder die Kunst ansieht. Gleich
Thackeray späht er jeden Augenblick nach den kleinen Schwächen seiner Lieb'
linge. wobei ihn freilich sein Scharfsinn nicht im gleichen Grade untersM
Und dann findet man wieder einen Humor und eine Localfarbe, die offenbar
einen Wetteifer mit Dickens ausdrückt. Grade wegen dieser verschiedene"
Bestandtheile reichen die neuen Werke nicht an seine früheren besseren Lei'
stungen. Aber sie enthalten doch einen nicht geringen Schatz feiner und selbst
bedeutender Beobachtungen. Trotz der Nachahmung im Aeußern erkennt ma"
die Physiognomie seiner alten Charakterbildung wieder heraus, und wen"


Einer verwandteren Natur begegnete Bulwer in d'Jsraeli. dessen
Conningsby 1844 wol ohne das Vorbild von Pelham und Maltrcwers nicht
geschrieben worden wäre. Hier wurde nun ein Programm für die jüngere
Schule der Tones gegeben, wie im Pelham für die jüngere Schule der Whigs-
Die beiden Standpunkte haben sich spater vereinigt und die beiden Novellisten
gehören gegenwärtig zu den einflußreichsten Führern der sogenannten constt'
vativen Partei.

Noch viel auffallender war die Verwandtschaft mit Thackeray. dessen
Vcmity-fair 184 7 der Poesie eine neue Bahn öffnete. Jetzt erst wurde die
Theorie der gemischten Charaktere von einem glänzenden Talent verwirklicht-
Was bei Bulwer aus einer gewissen Doctrin hervorging, ist bei Thackeray
Natur: ein Virtuos in der Zersetzung. wie ihn vielleicht die Literaturgeschichte
noch gar nicht kennt, weiß er die kleinen Niedrigkeiten im Gemüth des Guten
und Edlen mit einem Scharfsinn aufzuspüren, der etwas Bezauberndes, aber
auch etwas Unheimliches hat. Auch Thackeray ist trotz seines gewaltige»
Realismus ein subjectiver Dichter, denn sein psychologischer Reichthum dient
nur dazu, seine melancholische Stimmung zu illustriren. Daher ist der Ein¬
druck dieses Dichters ein so sehr abweichender: er erregt entweder Absehen
oder Entzücken, je nachdem der Leser ihm eine verwandte oder widersprechende
Stimmung entgegenbringt. Aber schon aus diesem wechselnden Eindruck
sollten seine Bewunderer erkennen, daß ihm doch jene höhere Dichterkraft ab'
geht, welche die Herzen zwingt.

Aus dem doppelten Einfluß dieser beiden jungem Schriftsteller ist die
neue Phase in Bulwers Schaffen zu erklären. Die drei neuesten Romane
„Hr<z LaxtcwL 1847—49; Novkl ol- varivties ok Imirum like« 1851 »ut
der soeben erschienene Roman erinnern in der äußern Form durchweg an Tha¬
ckeray. Bulwer hat seine alte künstlerische Methode vollständig aufgegeben
und bemüht sich geflissentlich, die Elemente seiner Erzählung so viel als mög'
lich durcheinandcrzuwerfen. ja sie durch Excurse. die gar nicht hineingc'
hören, zu unterbrechen. Wenn die Symmetrie seiner frühern Schriften mit'
unter nach der Schablone aussah, so strebt er jetzt vielmehr nach einer rei'
zenden Verwirrung, der man freilich auch wieder die Kunst ansieht. Gleich
Thackeray späht er jeden Augenblick nach den kleinen Schwächen seiner Lieb'
linge. wobei ihn freilich sein Scharfsinn nicht im gleichen Grade untersM
Und dann findet man wieder einen Humor und eine Localfarbe, die offenbar
einen Wetteifer mit Dickens ausdrückt. Grade wegen dieser verschiedene"
Bestandtheile reichen die neuen Werke nicht an seine früheren besseren Lei'
stungen. Aber sie enthalten doch einen nicht geringen Schatz feiner und selbst
bedeutender Beobachtungen. Trotz der Nachahmung im Aeußern erkennt ma»
die Physiognomie seiner alten Charakterbildung wieder heraus, und wen"


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[0220] Einer verwandteren Natur begegnete Bulwer in d'Jsraeli. dessen Conningsby 1844 wol ohne das Vorbild von Pelham und Maltrcwers nicht geschrieben worden wäre. Hier wurde nun ein Programm für die jüngere Schule der Tones gegeben, wie im Pelham für die jüngere Schule der Whigs- Die beiden Standpunkte haben sich spater vereinigt und die beiden Novellisten gehören gegenwärtig zu den einflußreichsten Führern der sogenannten constt' vativen Partei. Noch viel auffallender war die Verwandtschaft mit Thackeray. dessen Vcmity-fair 184 7 der Poesie eine neue Bahn öffnete. Jetzt erst wurde die Theorie der gemischten Charaktere von einem glänzenden Talent verwirklicht- Was bei Bulwer aus einer gewissen Doctrin hervorging, ist bei Thackeray Natur: ein Virtuos in der Zersetzung. wie ihn vielleicht die Literaturgeschichte noch gar nicht kennt, weiß er die kleinen Niedrigkeiten im Gemüth des Guten und Edlen mit einem Scharfsinn aufzuspüren, der etwas Bezauberndes, aber auch etwas Unheimliches hat. Auch Thackeray ist trotz seines gewaltige» Realismus ein subjectiver Dichter, denn sein psychologischer Reichthum dient nur dazu, seine melancholische Stimmung zu illustriren. Daher ist der Ein¬ druck dieses Dichters ein so sehr abweichender: er erregt entweder Absehen oder Entzücken, je nachdem der Leser ihm eine verwandte oder widersprechende Stimmung entgegenbringt. Aber schon aus diesem wechselnden Eindruck sollten seine Bewunderer erkennen, daß ihm doch jene höhere Dichterkraft ab' geht, welche die Herzen zwingt. Aus dem doppelten Einfluß dieser beiden jungem Schriftsteller ist die neue Phase in Bulwers Schaffen zu erklären. Die drei neuesten Romane „Hr<z LaxtcwL 1847—49; Novkl ol- varivties ok Imirum like« 1851 »ut der soeben erschienene Roman erinnern in der äußern Form durchweg an Tha¬ ckeray. Bulwer hat seine alte künstlerische Methode vollständig aufgegeben und bemüht sich geflissentlich, die Elemente seiner Erzählung so viel als mög' lich durcheinandcrzuwerfen. ja sie durch Excurse. die gar nicht hineingc' hören, zu unterbrechen. Wenn die Symmetrie seiner frühern Schriften mit' unter nach der Schablone aussah, so strebt er jetzt vielmehr nach einer rei' zenden Verwirrung, der man freilich auch wieder die Kunst ansieht. Gleich Thackeray späht er jeden Augenblick nach den kleinen Schwächen seiner Lieb' linge. wobei ihn freilich sein Scharfsinn nicht im gleichen Grade untersM Und dann findet man wieder einen Humor und eine Localfarbe, die offenbar einen Wetteifer mit Dickens ausdrückt. Grade wegen dieser verschiedene" Bestandtheile reichen die neuen Werke nicht an seine früheren besseren Lei' stungen. Aber sie enthalten doch einen nicht geringen Schatz feiner und selbst bedeutender Beobachtungen. Trotz der Nachahmung im Aeußern erkennt ma» die Physiognomie seiner alten Charakterbildung wieder heraus, und wen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/220>, abgerufen am 24.07.2024.