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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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und sein eignes Rechtsgefühl in ein sehr zweideutiges Licht gestellt. , Denn
wenn er auch den Raubmord Eugen Uranus keineswegs billigt, so gibt er ihm
doch eine so starke moralische Rüstung und zeigt seine Verfolger in einem so
schlechten Licht, daß man deutlich sieht, auf welche Seite seine Neigung sich
wendet. Er mißbilligt das Verbrechen, aber er mißbilligt ebenso die Strafe.
Sein Gefühl würde befriedigter sein, wenn der Mörder straflos ausginge.
Eugen Aram bleibt verstockt bis zum letzten Augenblick, wenn ihm seine That
leid thut, so sind es ganz zufällige Umstände, die ihn dazu bewegen. Dem
Recht beugt er sich nicht, der Welt gibt er leine Genugthuung, ja er entzieht
A) noch im letzten Augenblick der Strafe durch einen Selbstmord: das alles
wie Beifall seines Dichters. Die psychologische Unwahrheit liegt darin, daß
ein Mann von so. erhabenen Empfindungen und einem so weiten wissenschaft¬
lichen Blick, wie Eugen Aram geschildert wird, niemals auf die Idee eines
Verbrechens kommen kann, welches die öffentliche Meinung wie das Gesetz
wie dem Makel der Infamie behaftet. Mit unsichtbarer Gewalt dringen durch
die ästhetische Vermittlung die sittlichen Principien bei uns ein: ein Mann
^n der Bildung Eugen Uräus kann vielleicht einen Mord, aber ebenso wenig
^nen Raubmord als einen Diebstahl begehn.

Seit 1831 saß Bulwer im Parlament. Er fand als Redner keinen Bei¬
fall und seinem skeptischen Geist genügten auch die organisirten Parteien nicht,
^gleich er sich im Allgemeinen zu den Liberalen hielt. Ein Ausdruck dieser
Verstimmung ist das Buch "England und die Engländer", das freilich
einen sehr unbefriedigender Eindruck macht, aber heute vielleicht auch in
Deutschland mehr gewürdigt werden würde, als zur Zeit seines Erscheinens,
^eil es zuerst die Schattenseiten der britischen Politik aufdeckte, die sich heute
^Acht mehr verhehlen lassen.

Bulwers folgende Versuche im phantastischen Genre "die Pilger des
Rheins" 1834 und Znuoni 1842 sind entschieden mißlungen. Das letz¬
te, in dem sich starke Reminiscenzen an unsern Hossmnnn finden, ist gradezu
Abgeschmackt. Ueberhaupt ist der Einfluß der deutschen Literatur auf ihn nicht
ki^de wohlthätig gewesen. Die beste Frucht derselben ist seine Uebersetzung
Schillerschen Gedichte 1844, obgleich er es sich darin zu leicht gemacht
^"t und von treuem Uebersetzern bei weitem Übertrossen ist.

Bei weitem anerkennenswerther sind seine historischen Romane: die letz¬
en Tage von Pompeji 1834, Rienzi 1835. die Belagerung von
Canada 1840, der letzte der Barone (Warwick der Königsmacher) 1843,'^roid der Sachsenkönig 1848. Sie verrathen durchweg sehr respectable
^üblen, aber die Romane W. Scotts erreichen sie bei weitem nicht, weil
bulwer über dem Bestreben, geistreiche und ungewöhnliche Gesichtspunkte aus¬
arten, dasjenige übersieht, was auf der Hand liegt. Und dabei ist er weit


und sein eignes Rechtsgefühl in ein sehr zweideutiges Licht gestellt. , Denn
wenn er auch den Raubmord Eugen Uranus keineswegs billigt, so gibt er ihm
doch eine so starke moralische Rüstung und zeigt seine Verfolger in einem so
schlechten Licht, daß man deutlich sieht, auf welche Seite seine Neigung sich
wendet. Er mißbilligt das Verbrechen, aber er mißbilligt ebenso die Strafe.
Sein Gefühl würde befriedigter sein, wenn der Mörder straflos ausginge.
Eugen Aram bleibt verstockt bis zum letzten Augenblick, wenn ihm seine That
leid thut, so sind es ganz zufällige Umstände, die ihn dazu bewegen. Dem
Recht beugt er sich nicht, der Welt gibt er leine Genugthuung, ja er entzieht
A) noch im letzten Augenblick der Strafe durch einen Selbstmord: das alles
wie Beifall seines Dichters. Die psychologische Unwahrheit liegt darin, daß
ein Mann von so. erhabenen Empfindungen und einem so weiten wissenschaft¬
lichen Blick, wie Eugen Aram geschildert wird, niemals auf die Idee eines
Verbrechens kommen kann, welches die öffentliche Meinung wie das Gesetz
wie dem Makel der Infamie behaftet. Mit unsichtbarer Gewalt dringen durch
die ästhetische Vermittlung die sittlichen Principien bei uns ein: ein Mann
^n der Bildung Eugen Uräus kann vielleicht einen Mord, aber ebenso wenig
^nen Raubmord als einen Diebstahl begehn.

Seit 1831 saß Bulwer im Parlament. Er fand als Redner keinen Bei¬
fall und seinem skeptischen Geist genügten auch die organisirten Parteien nicht,
^gleich er sich im Allgemeinen zu den Liberalen hielt. Ein Ausdruck dieser
Verstimmung ist das Buch „England und die Engländer", das freilich
einen sehr unbefriedigender Eindruck macht, aber heute vielleicht auch in
Deutschland mehr gewürdigt werden würde, als zur Zeit seines Erscheinens,
^eil es zuerst die Schattenseiten der britischen Politik aufdeckte, die sich heute
^Acht mehr verhehlen lassen.

Bulwers folgende Versuche im phantastischen Genre „die Pilger des
Rheins" 1834 und Znuoni 1842 sind entschieden mißlungen. Das letz¬
te, in dem sich starke Reminiscenzen an unsern Hossmnnn finden, ist gradezu
Abgeschmackt. Ueberhaupt ist der Einfluß der deutschen Literatur auf ihn nicht
ki^de wohlthätig gewesen. Die beste Frucht derselben ist seine Uebersetzung
Schillerschen Gedichte 1844, obgleich er es sich darin zu leicht gemacht
^"t und von treuem Uebersetzern bei weitem Übertrossen ist.

Bei weitem anerkennenswerther sind seine historischen Romane: die letz¬
en Tage von Pompeji 1834, Rienzi 1835. die Belagerung von
Canada 1840, der letzte der Barone (Warwick der Königsmacher) 1843,'^roid der Sachsenkönig 1848. Sie verrathen durchweg sehr respectable
^üblen, aber die Romane W. Scotts erreichen sie bei weitem nicht, weil
bulwer über dem Bestreben, geistreiche und ungewöhnliche Gesichtspunkte aus¬
arten, dasjenige übersieht, was auf der Hand liegt. Und dabei ist er weit


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[0217] und sein eignes Rechtsgefühl in ein sehr zweideutiges Licht gestellt. , Denn wenn er auch den Raubmord Eugen Uranus keineswegs billigt, so gibt er ihm doch eine so starke moralische Rüstung und zeigt seine Verfolger in einem so schlechten Licht, daß man deutlich sieht, auf welche Seite seine Neigung sich wendet. Er mißbilligt das Verbrechen, aber er mißbilligt ebenso die Strafe. Sein Gefühl würde befriedigter sein, wenn der Mörder straflos ausginge. Eugen Aram bleibt verstockt bis zum letzten Augenblick, wenn ihm seine That leid thut, so sind es ganz zufällige Umstände, die ihn dazu bewegen. Dem Recht beugt er sich nicht, der Welt gibt er leine Genugthuung, ja er entzieht A) noch im letzten Augenblick der Strafe durch einen Selbstmord: das alles wie Beifall seines Dichters. Die psychologische Unwahrheit liegt darin, daß ein Mann von so. erhabenen Empfindungen und einem so weiten wissenschaft¬ lichen Blick, wie Eugen Aram geschildert wird, niemals auf die Idee eines Verbrechens kommen kann, welches die öffentliche Meinung wie das Gesetz wie dem Makel der Infamie behaftet. Mit unsichtbarer Gewalt dringen durch die ästhetische Vermittlung die sittlichen Principien bei uns ein: ein Mann ^n der Bildung Eugen Uräus kann vielleicht einen Mord, aber ebenso wenig ^nen Raubmord als einen Diebstahl begehn. Seit 1831 saß Bulwer im Parlament. Er fand als Redner keinen Bei¬ fall und seinem skeptischen Geist genügten auch die organisirten Parteien nicht, ^gleich er sich im Allgemeinen zu den Liberalen hielt. Ein Ausdruck dieser Verstimmung ist das Buch „England und die Engländer", das freilich einen sehr unbefriedigender Eindruck macht, aber heute vielleicht auch in Deutschland mehr gewürdigt werden würde, als zur Zeit seines Erscheinens, ^eil es zuerst die Schattenseiten der britischen Politik aufdeckte, die sich heute ^Acht mehr verhehlen lassen. Bulwers folgende Versuche im phantastischen Genre „die Pilger des Rheins" 1834 und Znuoni 1842 sind entschieden mißlungen. Das letz¬ te, in dem sich starke Reminiscenzen an unsern Hossmnnn finden, ist gradezu Abgeschmackt. Ueberhaupt ist der Einfluß der deutschen Literatur auf ihn nicht ki^de wohlthätig gewesen. Die beste Frucht derselben ist seine Uebersetzung Schillerschen Gedichte 1844, obgleich er es sich darin zu leicht gemacht ^"t und von treuem Uebersetzern bei weitem Übertrossen ist. Bei weitem anerkennenswerther sind seine historischen Romane: die letz¬ en Tage von Pompeji 1834, Rienzi 1835. die Belagerung von Canada 1840, der letzte der Barone (Warwick der Königsmacher) 1843,'^roid der Sachsenkönig 1848. Sie verrathen durchweg sehr respectable ^üblen, aber die Romane W. Scotts erreichen sie bei weitem nicht, weil bulwer über dem Bestreben, geistreiche und ungewöhnliche Gesichtspunkte aus¬ arten, dasjenige übersieht, was auf der Hand liegt. Und dabei ist er weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/217>, abgerufen am 24.07.2024.