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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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geheucheltes Entzücken. Zum Theil galt dies der unverkennbaren Naturwahr¬
heit, zum Theil aber auch dem glückseligen Gefühl, wie leicht es sei, sich als
vornehm zu zeigen. Die Welt erfüllte sich seitdem mit Pelhams, die sich
nach der neuesten Mode kleideten, der Gesellschaft bald durch ungeheure
Fadäsen, bald durch Citate aus dem Horaz imponirten, die sich nicht blos
im Rapier, sondern auch im Knittel übten, und die möglichst viel Unver¬
schämtheit zur Schau trugen. Bulwer hatte für Recepte gesorgt; wie z. B-
die Geschichte mit der Uhr, daß ein Gentleman keine Uhr brauche, weil die
Dame, die ihn zum Rendezvous bestelle, auch auf ihn warten könne. Der
alte englische Gentleman aus der Schule W. Scotts war schwerer nachzuah¬
men, denn um vornehm zu scheinen, mußte er auch vornehm sein. Guy
Mannering (1815) ist zwar ein entschiedener Tory, er gibt sehr viel aufs
Blut, hat für alte Familiensitze eine romantische Vorliebe und behandelt un¬
verschämte Lakaien wirklich als unverschämte Lakaien; aber nicht darin liegt
seine Vornehmheit, sondern in der Abwesenheit alles leeren Scheins, in jener
Mischung von Stolz und Bescheidenheit, die jede offene ehrliche Natur aner¬
kennt und nur der Heuchelei gegenüber ihre Verachtung nicht verhehlt. Ueber-
haupt ist es ein sonderbares Vorurtheil, wenn man W. Scott der aristokra¬
tischen Gesinnung beschuldigt, wenigstens wenn man diese Beschuldigung im
schlechten Sinn nimmt. Grade als offener gläubiger Tory ist er in dieser Be¬
ziehung viel unbefangener, als manche moderne Demokraten, die zwar gern
den gesammten Adel ausrotten möchten, denen aber nicht blos jeder Edel¬
mann, sondern jeder Stiefel eines Edelmanns imponirt. Man stelle einmal
Sir Robert Hazlewood neben Sir Leicester Dedlock. Beide solle"
den einfältigen hochmüthigen Landjunker darstellen, aber W. Scott, der An¬
hänger der Aristokratie als einer gesellsä)astlichen Einrichtung, der die Bedeu¬
tung des Adels keineswegs an die Gentilität aller Landjunker geknüpft sieht'
schildert ihn ganz unbefangen als einen Hanswurst, während Dickens, der
leidenschaftliche Feind der Aristokratie, der von demselben Bestreben ausgeht-
wider seinen Willen endlich dahin getrieben wird, den Baronet, dessen Stand
ihm mehr imponirt als er selber glaubt, zuletzt als den einzigen Gentleman
inmitten der, Canaille darzustellen. So ist der Unterschied. Früher hielt man
auf die Einrichtung der Aristokratie, ohne an eine mystische Einwirkung der¬
selben zu glauben. Gottfried Bertram ist ein Dummkopf, Robert Hazlewood
ein Einfaltspinsel; gleichviel! ihre Söhne sind so gute Edelleute, als wen"
sie die geistreichsten Eltern von der Welt gehabt hätten. Heute haßt man
die Aristokratie, hat aber eine abergläubische Scheu vor ihrer Wirkung, lind
es ist namentlich dem Vorbild Pelhams zu danken, daß man, wie schon-be¬
merkt, in jedem Stiefel eines Edelmanns ein n<z sais <moi" entdeckt, wa¬
ches der Noturier trotz des geschicktesten Schusters nie erreichen wird. 3"


geheucheltes Entzücken. Zum Theil galt dies der unverkennbaren Naturwahr¬
heit, zum Theil aber auch dem glückseligen Gefühl, wie leicht es sei, sich als
vornehm zu zeigen. Die Welt erfüllte sich seitdem mit Pelhams, die sich
nach der neuesten Mode kleideten, der Gesellschaft bald durch ungeheure
Fadäsen, bald durch Citate aus dem Horaz imponirten, die sich nicht blos
im Rapier, sondern auch im Knittel übten, und die möglichst viel Unver¬
schämtheit zur Schau trugen. Bulwer hatte für Recepte gesorgt; wie z. B-
die Geschichte mit der Uhr, daß ein Gentleman keine Uhr brauche, weil die
Dame, die ihn zum Rendezvous bestelle, auch auf ihn warten könne. Der
alte englische Gentleman aus der Schule W. Scotts war schwerer nachzuah¬
men, denn um vornehm zu scheinen, mußte er auch vornehm sein. Guy
Mannering (1815) ist zwar ein entschiedener Tory, er gibt sehr viel aufs
Blut, hat für alte Familiensitze eine romantische Vorliebe und behandelt un¬
verschämte Lakaien wirklich als unverschämte Lakaien; aber nicht darin liegt
seine Vornehmheit, sondern in der Abwesenheit alles leeren Scheins, in jener
Mischung von Stolz und Bescheidenheit, die jede offene ehrliche Natur aner¬
kennt und nur der Heuchelei gegenüber ihre Verachtung nicht verhehlt. Ueber-
haupt ist es ein sonderbares Vorurtheil, wenn man W. Scott der aristokra¬
tischen Gesinnung beschuldigt, wenigstens wenn man diese Beschuldigung im
schlechten Sinn nimmt. Grade als offener gläubiger Tory ist er in dieser Be¬
ziehung viel unbefangener, als manche moderne Demokraten, die zwar gern
den gesammten Adel ausrotten möchten, denen aber nicht blos jeder Edel¬
mann, sondern jeder Stiefel eines Edelmanns imponirt. Man stelle einmal
Sir Robert Hazlewood neben Sir Leicester Dedlock. Beide solle»
den einfältigen hochmüthigen Landjunker darstellen, aber W. Scott, der An¬
hänger der Aristokratie als einer gesellsä)astlichen Einrichtung, der die Bedeu¬
tung des Adels keineswegs an die Gentilität aller Landjunker geknüpft sieht'
schildert ihn ganz unbefangen als einen Hanswurst, während Dickens, der
leidenschaftliche Feind der Aristokratie, der von demselben Bestreben ausgeht-
wider seinen Willen endlich dahin getrieben wird, den Baronet, dessen Stand
ihm mehr imponirt als er selber glaubt, zuletzt als den einzigen Gentleman
inmitten der, Canaille darzustellen. So ist der Unterschied. Früher hielt man
auf die Einrichtung der Aristokratie, ohne an eine mystische Einwirkung der¬
selben zu glauben. Gottfried Bertram ist ein Dummkopf, Robert Hazlewood
ein Einfaltspinsel; gleichviel! ihre Söhne sind so gute Edelleute, als wen"
sie die geistreichsten Eltern von der Welt gehabt hätten. Heute haßt man
die Aristokratie, hat aber eine abergläubische Scheu vor ihrer Wirkung, lind
es ist namentlich dem Vorbild Pelhams zu danken, daß man, wie schon-be¬
merkt, in jedem Stiefel eines Edelmanns ein n<z sais <moi" entdeckt, wa¬
ches der Noturier trotz des geschicktesten Schusters nie erreichen wird. 3"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/214>, abgerufen am 24.07.2024.