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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Vorwurf erhöht": mein klagt ihn des Mangels an Tiefe an. Es soll eine
gewisse Nüchternheit und Beschränktheit verrathen, sowol wenn man überfeinen
Charakter vollkommen klar ist. als wenn mau um die Festigkeit des Sitten-
gesetzes glaubt. Bis zu dein Hexenspruch "schon ist häßlich" erhebt man sich
-war selten, aber je näher ein Dichter demselben kommt, für desto tiefer sieht
man ihn an. Schon zu den Zeiten W. Scotts gab es in England eine
Schulz die darauf ausging, in der wohlgcschasfeustcu Seele den Abgrund
nachzuweisen, in dem der Bose sein Spiel treibt, und auf das Sittengejetz
Goethes Worte anzuwenden: "Vernunft wird Unsinn. Wohlthat Plage; weh
dir. daß du ein Enkel bist!" Der Führer dieser Schule war Godwrn,
Shelleys Schwiegervater; sein Hauptroman Catch Williams er,chien 17V4.
und W. Scott, der sonst in seinen Recensionen außerordentlich mild ist. be¬
kämpfte ihn mit jener Bitterkeit, die ans den, Bewußtsein eines entgegen¬
gesetzten Princips hervorgeht. Erst durch Bulwer gewann diese Schule einen
Platz in der allgemeinen'Literatur. wobei freilich in Anschlag zu bringen ist.
daß vorher bereits Lord Byron das Publicum darau gewöhnt hatte, beim
^theil paradoxe Gesichtspunkte geltend zu machen. ,

Der erste Erfolg, durch deu sich Bulwer Bahn brach, bezog sich freilich
mehr auf das äußerliche als aus das innere Leben. 5-ein Pelham oder
d^ Abenteuer eines Gentleman erschien 1828. also in einer Zeit, wo
Scott den Culminationspunkt seines Ruhms bereits überschritten und wo
^oopcr mit seinen Indianerbildern den Reiz der Neuheit verloren hatte.
2u Bezug auf Composition war der Roman ebenso schwach wie später daS
^stlingswerk von Dickens, "die Pickwickier"; überhaupt ist es bemerkenswerth.
nicht grade die künstlerische Form über den Erfolg eines Werks entschei¬
de, das eine neue Richtung einschlägt; auch Banity-Fair läßt in dieser Be¬
gehung sehr viel zu wünschen übrig. Was bei Pelham die allgemeine Aus-,'Nertsamkeit aus sich zog. war die neue Form, in welcher sich die sociale
^istokrntie dem bürgerlichen Publicum vorstellte. Zwar hatten schon in frü-
Zeit die Damen aus der feinern Gesellschaft dafür gesorgt. Enthüllungen
^er ihre Kreise dem uneingeweihten Auge mitzutheilen, und so finden sich"unrentlich bei Lady Charlotte Vury und der Gräfin Blessington
^'uge, die mon in dem Roman einer Dame kaum erwarten sollte. Aber
°Maal waren diese Werte uicht recht durchgedrungen. und dann waren es doch
^ grade die idealen Figuren, die man als gemischte Charaktere darstellte,
^lhcnn enthält nicht blos eine Satire gegen die vornehme Welt im Allge-
"^"en. die übrigens zum Theil sehr treffend ist, sondern der Held selbst, das
^°al des Dichters, tragt eine Maske und zwar die Maske eines Gecken;
^de man freilich näher zu, so kommt man bald dahinter, daß es uicht blos
^te ist. Ueber diese Bilder qerieth nun das lesende Publicum in ein un-


2t! *

Vorwurf erhöht»: mein klagt ihn des Mangels an Tiefe an. Es soll eine
gewisse Nüchternheit und Beschränktheit verrathen, sowol wenn man überfeinen
Charakter vollkommen klar ist. als wenn mau um die Festigkeit des Sitten-
gesetzes glaubt. Bis zu dein Hexenspruch „schon ist häßlich" erhebt man sich
-war selten, aber je näher ein Dichter demselben kommt, für desto tiefer sieht
man ihn an. Schon zu den Zeiten W. Scotts gab es in England eine
Schulz die darauf ausging, in der wohlgcschasfeustcu Seele den Abgrund
nachzuweisen, in dem der Bose sein Spiel treibt, und auf das Sittengejetz
Goethes Worte anzuwenden: „Vernunft wird Unsinn. Wohlthat Plage; weh
dir. daß du ein Enkel bist!" Der Führer dieser Schule war Godwrn,
Shelleys Schwiegervater; sein Hauptroman Catch Williams er,chien 17V4.
und W. Scott, der sonst in seinen Recensionen außerordentlich mild ist. be¬
kämpfte ihn mit jener Bitterkeit, die ans den, Bewußtsein eines entgegen¬
gesetzten Princips hervorgeht. Erst durch Bulwer gewann diese Schule einen
Platz in der allgemeinen'Literatur. wobei freilich in Anschlag zu bringen ist.
daß vorher bereits Lord Byron das Publicum darau gewöhnt hatte, beim
^theil paradoxe Gesichtspunkte geltend zu machen. ,

Der erste Erfolg, durch deu sich Bulwer Bahn brach, bezog sich freilich
mehr auf das äußerliche als aus das innere Leben. 5-ein Pelham oder
d^ Abenteuer eines Gentleman erschien 1828. also in einer Zeit, wo
Scott den Culminationspunkt seines Ruhms bereits überschritten und wo
^oopcr mit seinen Indianerbildern den Reiz der Neuheit verloren hatte.
2u Bezug auf Composition war der Roman ebenso schwach wie später daS
^stlingswerk von Dickens, „die Pickwickier"; überhaupt ist es bemerkenswerth.
nicht grade die künstlerische Form über den Erfolg eines Werks entschei¬
de, das eine neue Richtung einschlägt; auch Banity-Fair läßt in dieser Be¬
gehung sehr viel zu wünschen übrig. Was bei Pelham die allgemeine Aus-,'Nertsamkeit aus sich zog. war die neue Form, in welcher sich die sociale
^istokrntie dem bürgerlichen Publicum vorstellte. Zwar hatten schon in frü-
Zeit die Damen aus der feinern Gesellschaft dafür gesorgt. Enthüllungen
^er ihre Kreise dem uneingeweihten Auge mitzutheilen, und so finden sich"unrentlich bei Lady Charlotte Vury und der Gräfin Blessington
^'uge, die mon in dem Roman einer Dame kaum erwarten sollte. Aber
°Maal waren diese Werte uicht recht durchgedrungen. und dann waren es doch
^ grade die idealen Figuren, die man als gemischte Charaktere darstellte,
^lhcnn enthält nicht blos eine Satire gegen die vornehme Welt im Allge-
"^"en. die übrigens zum Theil sehr treffend ist, sondern der Held selbst, das
^°al des Dichters, tragt eine Maske und zwar die Maske eines Gecken;
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[0213] Vorwurf erhöht»: mein klagt ihn des Mangels an Tiefe an. Es soll eine gewisse Nüchternheit und Beschränktheit verrathen, sowol wenn man überfeinen Charakter vollkommen klar ist. als wenn mau um die Festigkeit des Sitten- gesetzes glaubt. Bis zu dein Hexenspruch „schon ist häßlich" erhebt man sich -war selten, aber je näher ein Dichter demselben kommt, für desto tiefer sieht man ihn an. Schon zu den Zeiten W. Scotts gab es in England eine Schulz die darauf ausging, in der wohlgcschasfeustcu Seele den Abgrund nachzuweisen, in dem der Bose sein Spiel treibt, und auf das Sittengejetz Goethes Worte anzuwenden: „Vernunft wird Unsinn. Wohlthat Plage; weh dir. daß du ein Enkel bist!" Der Führer dieser Schule war Godwrn, Shelleys Schwiegervater; sein Hauptroman Catch Williams er,chien 17V4. und W. Scott, der sonst in seinen Recensionen außerordentlich mild ist. be¬ kämpfte ihn mit jener Bitterkeit, die ans den, Bewußtsein eines entgegen¬ gesetzten Princips hervorgeht. Erst durch Bulwer gewann diese Schule einen Platz in der allgemeinen'Literatur. wobei freilich in Anschlag zu bringen ist. daß vorher bereits Lord Byron das Publicum darau gewöhnt hatte, beim ^theil paradoxe Gesichtspunkte geltend zu machen. , Der erste Erfolg, durch deu sich Bulwer Bahn brach, bezog sich freilich mehr auf das äußerliche als aus das innere Leben. 5-ein Pelham oder d^ Abenteuer eines Gentleman erschien 1828. also in einer Zeit, wo Scott den Culminationspunkt seines Ruhms bereits überschritten und wo ^oopcr mit seinen Indianerbildern den Reiz der Neuheit verloren hatte. 2u Bezug auf Composition war der Roman ebenso schwach wie später daS ^stlingswerk von Dickens, „die Pickwickier"; überhaupt ist es bemerkenswerth. nicht grade die künstlerische Form über den Erfolg eines Werks entschei¬ de, das eine neue Richtung einschlägt; auch Banity-Fair läßt in dieser Be¬ gehung sehr viel zu wünschen übrig. Was bei Pelham die allgemeine Aus-,'Nertsamkeit aus sich zog. war die neue Form, in welcher sich die sociale ^istokrntie dem bürgerlichen Publicum vorstellte. Zwar hatten schon in frü- Zeit die Damen aus der feinern Gesellschaft dafür gesorgt. Enthüllungen ^er ihre Kreise dem uneingeweihten Auge mitzutheilen, und so finden sich"unrentlich bei Lady Charlotte Vury und der Gräfin Blessington ^'uge, die mon in dem Roman einer Dame kaum erwarten sollte. Aber °Maal waren diese Werte uicht recht durchgedrungen. und dann waren es doch ^ grade die idealen Figuren, die man als gemischte Charaktere darstellte, ^lhcnn enthält nicht blos eine Satire gegen die vornehme Welt im Allge- "^"en. die übrigens zum Theil sehr treffend ist, sondern der Held selbst, das ^°al des Dichters, tragt eine Maske und zwar die Maske eines Gecken; ^de man freilich näher zu, so kommt man bald dahinter, daß es uicht blos ^te ist. Ueber diese Bilder qerieth nun das lesende Publicum in ein un- 2t! *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/213>, abgerufen am 24.07.2024.