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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Schriftsteller, so sind es doch nur vier, die man als eigentliche Führer be¬
zeichnen muß und zu diesen ist unzweifelhaft Bulwer zu rechnen. Die drei
andern sind Scott, Dickens und Th ackern y; jeder von ihnen versinnlicht
eine neue Physiognomie der Gesellschaft und des Lebens.

Bulwer ist 1803 geboren, aus einer sehr ansehnlichen, wenn auch bürger¬
lichen Familie. Seine ersten Gedichte und Erzählungen erschienen 1826, vo"
ihnen ist nur die eine Erzählung, Falkland, von Interesse, weil sie den Kern¬
punkt seines Schaffens im Gegensatz zu seinem nächsten Vorgänger W. Scott
charakterisirt. Es betrifft die Theorie der "gemischten Charaktere", von der auch
in Deutschland viel die Rede gewesen ist, ohne daß man sich indeß klar ge-
, macht hätte, was diese Bezeichnung heißen soll. Wenn man einfache Charak¬
tere "im tadelnden Sinne diejenigen nennt, die nur eine abstracte Eigenschaft
ausdrücken, so läßt sich dieser Vorwurf auf W. Scott gewiß uicht anwenden-
Wir dürfen nur auf seinen Ludwig XI. oder auf seinen Alterthümler auf¬
merksam machen, um zu zeigen, wie mannigfaltige, ja anscheinend entgegen¬
gesetzte Eigenschaften er in seinen Figuren zu einer lebensvollen Einheit Z"
verknüpfen versteht. Aber grade auf diese Einheit bezieht sich der Vorwurf
W. Scott, der die Farben seiner Schilderungen fast durchweg ans der Be¬
obachtung des wirklichen Lebens oder aus der Geschichte nimmt, weiß si^
sehr schnell und entschieden in den innersten Kern eines Charakters zu ver'-
setzen, oder was bei der Dichtung dasselbe sagen will, diesen Kern zu erfin¬
den. Von diesem Kern aus versteht er seinen Charakter in allen scheinbare"
Widersprüchen, in allen labyrinthischen Windungen seines Handelns vollkom¬
men, es bleibt ihm nichts in seinem Herzen unklar, und diese Klarheit ver'
breitet er auch über seine Leser. Damit hängt aufs engste zusammen, de>s>
ihm sein Sittengesetz feststeht; in hohem Grade mild und tolerant, ist ^
doch keinen Augenblick zweifelhaft, ob und wie weit eine bestimmte Handlung
zu loben oder zu tadeln sei. Darum legt man fast durchweg seine Romane-
auch wo sie einen greulichen Ausgang haben, mit einem versöhnten Gesi^
aus der Hand, den" dem unverbildeten Leser kommt es doch hauptsächlich da>'
auf an. daß Recht Recht bleibt. Mit einem Wort, W. Scott ist ein gM
biger, oder was dasselbe sagen will, ein innerlich geordneter Geist, der nic^
erst nöthig hat, sich beim Anfang seines Schaffens ein Register aufzusehen-
nm jedesmal nachzusehn, ob er nicht gegen seine ursprüngliche Anlage eine"
Verstoß begehe. So wie äußerlich seine Landschaften in seiner Phantasie ^
feststehn, daß man sie nicht blos abzeichnen,, sondern in einem Grundriß
auf alle Details wiedergeben könnte, so ist es auch mit dem innern Lebe"
seiner Menschen, und darum hat man oft den Uebermuth mißverstanden,
thu er sich selber über den Leichtsinn seines Schaffens ausspricht.

Gegen diese Ordnung des Geistes hat man neuerdings einen schwed


Schriftsteller, so sind es doch nur vier, die man als eigentliche Führer be¬
zeichnen muß und zu diesen ist unzweifelhaft Bulwer zu rechnen. Die drei
andern sind Scott, Dickens und Th ackern y; jeder von ihnen versinnlicht
eine neue Physiognomie der Gesellschaft und des Lebens.

Bulwer ist 1803 geboren, aus einer sehr ansehnlichen, wenn auch bürger¬
lichen Familie. Seine ersten Gedichte und Erzählungen erschienen 1826, vo»
ihnen ist nur die eine Erzählung, Falkland, von Interesse, weil sie den Kern¬
punkt seines Schaffens im Gegensatz zu seinem nächsten Vorgänger W. Scott
charakterisirt. Es betrifft die Theorie der „gemischten Charaktere", von der auch
in Deutschland viel die Rede gewesen ist, ohne daß man sich indeß klar ge-
, macht hätte, was diese Bezeichnung heißen soll. Wenn man einfache Charak¬
tere "im tadelnden Sinne diejenigen nennt, die nur eine abstracte Eigenschaft
ausdrücken, so läßt sich dieser Vorwurf auf W. Scott gewiß uicht anwenden-
Wir dürfen nur auf seinen Ludwig XI. oder auf seinen Alterthümler auf¬
merksam machen, um zu zeigen, wie mannigfaltige, ja anscheinend entgegen¬
gesetzte Eigenschaften er in seinen Figuren zu einer lebensvollen Einheit Z»
verknüpfen versteht. Aber grade auf diese Einheit bezieht sich der Vorwurf
W. Scott, der die Farben seiner Schilderungen fast durchweg ans der Be¬
obachtung des wirklichen Lebens oder aus der Geschichte nimmt, weiß si^
sehr schnell und entschieden in den innersten Kern eines Charakters zu ver'-
setzen, oder was bei der Dichtung dasselbe sagen will, diesen Kern zu erfin¬
den. Von diesem Kern aus versteht er seinen Charakter in allen scheinbare»
Widersprüchen, in allen labyrinthischen Windungen seines Handelns vollkom¬
men, es bleibt ihm nichts in seinem Herzen unklar, und diese Klarheit ver'
breitet er auch über seine Leser. Damit hängt aufs engste zusammen, de>s>
ihm sein Sittengesetz feststeht; in hohem Grade mild und tolerant, ist ^
doch keinen Augenblick zweifelhaft, ob und wie weit eine bestimmte Handlung
zu loben oder zu tadeln sei. Darum legt man fast durchweg seine Romane-
auch wo sie einen greulichen Ausgang haben, mit einem versöhnten Gesi^
aus der Hand, den» dem unverbildeten Leser kommt es doch hauptsächlich da>'
auf an. daß Recht Recht bleibt. Mit einem Wort, W. Scott ist ein gM
biger, oder was dasselbe sagen will, ein innerlich geordneter Geist, der nic^
erst nöthig hat, sich beim Anfang seines Schaffens ein Register aufzusehen-
nm jedesmal nachzusehn, ob er nicht gegen seine ursprüngliche Anlage eine»
Verstoß begehe. So wie äußerlich seine Landschaften in seiner Phantasie ^
feststehn, daß man sie nicht blos abzeichnen,, sondern in einem Grundriß
auf alle Details wiedergeben könnte, so ist es auch mit dem innern Lebe»
seiner Menschen, und darum hat man oft den Uebermuth mißverstanden,
thu er sich selber über den Leichtsinn seines Schaffens ausspricht.

Gegen diese Ordnung des Geistes hat man neuerdings einen schwed


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[0212] Schriftsteller, so sind es doch nur vier, die man als eigentliche Führer be¬ zeichnen muß und zu diesen ist unzweifelhaft Bulwer zu rechnen. Die drei andern sind Scott, Dickens und Th ackern y; jeder von ihnen versinnlicht eine neue Physiognomie der Gesellschaft und des Lebens. Bulwer ist 1803 geboren, aus einer sehr ansehnlichen, wenn auch bürger¬ lichen Familie. Seine ersten Gedichte und Erzählungen erschienen 1826, vo» ihnen ist nur die eine Erzählung, Falkland, von Interesse, weil sie den Kern¬ punkt seines Schaffens im Gegensatz zu seinem nächsten Vorgänger W. Scott charakterisirt. Es betrifft die Theorie der „gemischten Charaktere", von der auch in Deutschland viel die Rede gewesen ist, ohne daß man sich indeß klar ge- , macht hätte, was diese Bezeichnung heißen soll. Wenn man einfache Charak¬ tere "im tadelnden Sinne diejenigen nennt, die nur eine abstracte Eigenschaft ausdrücken, so läßt sich dieser Vorwurf auf W. Scott gewiß uicht anwenden- Wir dürfen nur auf seinen Ludwig XI. oder auf seinen Alterthümler auf¬ merksam machen, um zu zeigen, wie mannigfaltige, ja anscheinend entgegen¬ gesetzte Eigenschaften er in seinen Figuren zu einer lebensvollen Einheit Z» verknüpfen versteht. Aber grade auf diese Einheit bezieht sich der Vorwurf W. Scott, der die Farben seiner Schilderungen fast durchweg ans der Be¬ obachtung des wirklichen Lebens oder aus der Geschichte nimmt, weiß si^ sehr schnell und entschieden in den innersten Kern eines Charakters zu ver'- setzen, oder was bei der Dichtung dasselbe sagen will, diesen Kern zu erfin¬ den. Von diesem Kern aus versteht er seinen Charakter in allen scheinbare» Widersprüchen, in allen labyrinthischen Windungen seines Handelns vollkom¬ men, es bleibt ihm nichts in seinem Herzen unklar, und diese Klarheit ver' breitet er auch über seine Leser. Damit hängt aufs engste zusammen, de>s> ihm sein Sittengesetz feststeht; in hohem Grade mild und tolerant, ist ^ doch keinen Augenblick zweifelhaft, ob und wie weit eine bestimmte Handlung zu loben oder zu tadeln sei. Darum legt man fast durchweg seine Romane- auch wo sie einen greulichen Ausgang haben, mit einem versöhnten Gesi^ aus der Hand, den» dem unverbildeten Leser kommt es doch hauptsächlich da>' auf an. daß Recht Recht bleibt. Mit einem Wort, W. Scott ist ein gM biger, oder was dasselbe sagen will, ein innerlich geordneter Geist, der nic^ erst nöthig hat, sich beim Anfang seines Schaffens ein Register aufzusehen- nm jedesmal nachzusehn, ob er nicht gegen seine ursprüngliche Anlage eine» Verstoß begehe. So wie äußerlich seine Landschaften in seiner Phantasie ^ feststehn, daß man sie nicht blos abzeichnen,, sondern in einem Grundriß auf alle Details wiedergeben könnte, so ist es auch mit dem innern Lebe» seiner Menschen, und darum hat man oft den Uebermuth mißverstanden, thu er sich selber über den Leichtsinn seines Schaffens ausspricht. Gegen diese Ordnung des Geistes hat man neuerdings einen schwed

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/212>, abgerufen am 24.07.2024.