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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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schlag gaben. Hier wie dort vergaß man über dem Ruhm des Feldherrn die
Wunden, welche der Herrscher durch seine Verwaltung geschlagen. Hier wie
dort war es mehr das Gefühl als der Verstand, welcher die Wahl bestimmte.
Hier wie dort, dürfen nur hinzufügen, gingen der Entscheidung Jahre lang
Ranke von Seiten des Prüteudeuteu, dem Erfolg mehre mißglückte Versuche
voraus. Daß Milosch seine Dukaten dabei nicht gespart hat. ist bekannt,
aber doch nur Nebensache.

Der eine und der andere weitere Erklärungsgrund wird sich im Nach'
stehenden finden. Der letzte und wichtigste endlich, vor dem diese ganze
reactionäre Revolution zur bloßen Scene im zweiten Act des großen Schau¬
spiels der orientalischen Frage zusammenschrumpft, ist in der Hand zu suchen,
welche die Drähte lenkt, an denen steh bewußt und bezahlt oder unbewußt
und getäuscht die Puppen des großen panslawistischen und griechisch-ortho¬
doxen Puppenspiels von der serbischen Donau bis zum schwarzen Meer u"d
von den östlichen Ausläufern der Karpathen bis zu den Küsten der Adria
drehen.

Man hat die Türkei den kranken Mann genannt und mit Recht. Sie
ist todtkrank und Oestreichs und Englands Bemühungen werden sie nicht heile"'
Ein Serben- oder Südslawenreich aber, wie es im Plan der einen und der
andern Großmacht liegen mag und wie mau sichs in Belgrad träumt, würde
von vornherein ebenso krank sein. Die Rohheit des Volkes, die Selbstsucht
der Kuchen und Wojwvden bliebe, an der Stelle des panslawistischen Einheits-
gcfühles würde, wenn der Gegensatz wegfiele, der im Islam und dem Türke"'
volk liegt, sofort die Stauuneseisersucht hervortreten, und das Streben Oese'
reichs nach dem schwarzen, das Streben Rußlands nach dem Mitteln!^'
fände keinen andern Damm, als den es schon jetzt im Widerstand der ander"
Großmächte findet. Die Zeiten Stefan Nemanjas und Stefan Duschn"^
des Scrbenkaisers, sind vorüber. Auch dieses neue Reich wäre keine LöstM
der orientalischen Frage, sondern nur der letzte Act vor der Katastrophe.

Serbiens Befreiung begann 1801 mit einem Aufstände, der nicht tiree
gegen die Pforte, sondern wie der im verflossenen Jahre von den Bosnien
versuchte, gegen die Willkürherrschaft eines türkischen Soldatenadels , der D^)''
gerichtet war. Führer war der Schweinehündler Kara oder Czernn. Geo^ß'
ein Naturmensch tapfersten, aber zugleich rücksichtslosesten und wildesten Sinnes
Schon früher hatte er eine Erhebung versucht; diese war fehlgeschlagen, ^
hatte über die Scwe nach Oestreich fliehen müssen und dabei seinen Vate>'
der nicht mehr fortkonnte, ohne Weiteres niedergeschossen -- aus Mitleid, ^
mit er nicht den Türken in die Hände fiele. Später ließ er seinen Bru^'''
der einem Mädchen Gewalt angethan, sofort an seiner eignen Thür anfb,""
gen und untersagte seiner Mutter, den Todten zu beweinen. Die Dahl w">


schlag gaben. Hier wie dort vergaß man über dem Ruhm des Feldherrn die
Wunden, welche der Herrscher durch seine Verwaltung geschlagen. Hier wie
dort war es mehr das Gefühl als der Verstand, welcher die Wahl bestimmte.
Hier wie dort, dürfen nur hinzufügen, gingen der Entscheidung Jahre lang
Ranke von Seiten des Prüteudeuteu, dem Erfolg mehre mißglückte Versuche
voraus. Daß Milosch seine Dukaten dabei nicht gespart hat. ist bekannt,
aber doch nur Nebensache.

Der eine und der andere weitere Erklärungsgrund wird sich im Nach'
stehenden finden. Der letzte und wichtigste endlich, vor dem diese ganze
reactionäre Revolution zur bloßen Scene im zweiten Act des großen Schau¬
spiels der orientalischen Frage zusammenschrumpft, ist in der Hand zu suchen,
welche die Drähte lenkt, an denen steh bewußt und bezahlt oder unbewußt
und getäuscht die Puppen des großen panslawistischen und griechisch-ortho¬
doxen Puppenspiels von der serbischen Donau bis zum schwarzen Meer u»d
von den östlichen Ausläufern der Karpathen bis zu den Küsten der Adria
drehen.

Man hat die Türkei den kranken Mann genannt und mit Recht. Sie
ist todtkrank und Oestreichs und Englands Bemühungen werden sie nicht heile»'
Ein Serben- oder Südslawenreich aber, wie es im Plan der einen und der
andern Großmacht liegen mag und wie mau sichs in Belgrad träumt, würde
von vornherein ebenso krank sein. Die Rohheit des Volkes, die Selbstsucht
der Kuchen und Wojwvden bliebe, an der Stelle des panslawistischen Einheits-
gcfühles würde, wenn der Gegensatz wegfiele, der im Islam und dem Türke»'
volk liegt, sofort die Stauuneseisersucht hervortreten, und das Streben Oese'
reichs nach dem schwarzen, das Streben Rußlands nach dem Mitteln!^'
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Großmächte findet. Die Zeiten Stefan Nemanjas und Stefan Duschn»^
des Scrbenkaisers, sind vorüber. Auch dieses neue Reich wäre keine LöstM
der orientalischen Frage, sondern nur der letzte Act vor der Katastrophe.

Serbiens Befreiung begann 1801 mit einem Aufstände, der nicht tiree
gegen die Pforte, sondern wie der im verflossenen Jahre von den Bosnien
versuchte, gegen die Willkürherrschaft eines türkischen Soldatenadels , der D^)''
gerichtet war. Führer war der Schweinehündler Kara oder Czernn. Geo^ß'
ein Naturmensch tapfersten, aber zugleich rücksichtslosesten und wildesten Sinnes
Schon früher hatte er eine Erhebung versucht; diese war fehlgeschlagen, ^
hatte über die Scwe nach Oestreich fliehen müssen und dabei seinen Vate>'
der nicht mehr fortkonnte, ohne Weiteres niedergeschossen — aus Mitleid, ^
mit er nicht den Türken in die Hände fiele. Später ließ er seinen Bru^'''
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/202>, abgerufen am 24.07.2024.