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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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zur Musik. Malerei und Literatur mit Bequemlichkeit überließ. Dies unfrei¬
willige Stillleben währte, um keiner Seite in solcher Dauer geahnt, fast acht
Jahre; erst 1795 folgte sie ihrem Mann nach Berlin. Eine höhere Hand
fügte es hier anVers, als sie dachte. Beider entschiedensten Abneigung gegen
eine Trennung ihrer Ehe, auf deren Glück sie früh verzichtet hatte, sah sie
sich dennoch bald nach ihrer Ankunft zu diesem Schritt unausweichlich ge¬
zwungen. Sie hatte, wie sie mir schrieb, nur zwischen Wahnsinn oder Tod
zu wählen. Sobald ihr Entschluß ausgeführt war, kehrte sie nach Königs¬
berg zurück, und im Sept. 1796 erhielt ich ihre Hand, die sie mir bereits in
Berlin zugesagt hatte." Nach einer langen glücklichen Ehe starb sie 12. Juli
1835; Stägemann folgte ihr 1340.

Um der Farbe willen, theilen wir unter den zahlreichen Briefen von
Gentz an Elisabeth einen aus dem December 1793 mit; wobei wir daran er¬
innern, daß Gentz ein Jahr vor ihrem Mann nach Berlin abreiste.

"Es gab einst (also vor 1786) eine furchtbare Verabredung unter uns,
die meine Verdammniß, meine unwiederbringliche Verdammniß entschied, wen"
ich in einem Termin, den ich längst gar weit überschritten habe, Ihrer z"
vergessen scheinen sollte. . . Es war eine Zeit (also vor 1786), wo unsere
Herzen sich verstanden, auf leise Winke sich verstanden, eine Zeit, wo Sie
in meinem Umgang fanden, was Ihnen rund um Sie her versagt war, und
wo ich mein Dasein nur achtete, weil ich es wagen durfte, Sie grenzenlos
zu lieben. . . Sie wissen, daß wir tausendmal (vor 1786!), wenn wir unse^
Verhältnisse berechneten, dem unerbitiiichen Schicksal vorhielten, daß es uns
nicht füreinander geschaffen hatte." -- "Nach einem Stillschweigen von zwe>
Jahren klingt es fast wahnsinnig, was ich Ihnen sagen werde, aber ich si^
es doch: wenn Sie meine Stelle in Ihnen irgend einem andern vergebe"
hätten, es wäre eine unaussprechliche Ungerechtigkeit gewesen." -- "Gr"u"
war Ihnen nie werth; er ist es hier, bei Gott, nicht mehr geworden.
mag sein Ankläger nicht sein. Es gibt weniger Uebel, es gibt auch wenige
Fehler als man denkt. Sie nicht zu achten, ist ein ungeheurer, weil er
in die Mitte trifft, so unleugbar das im Menschen' voraussetzt, als tausend
einzelne Vergehungen, die den edelsten Charakter beflecken können. Die^
Sünde ist ihm längst im Gericht der besten Menschen angerechnet. Was e^
hier gethan, ist im Grunde nur eine andere Form dieser alten Sünde, unä)
meiner Berathung eben deshalb nicht wichtig, und ganz unbedeutend, nM"
die Welt nicht anders rechnete, anders urtheilte, und in ihrer Blindheit l^
über das Kleid wegsehn könnte. Blos in der letzten Betrachtung hat sein jetzig
Leben -- eine gewisse widrige Wichtigkeit." -- So schreibt -- Genjz! "
darf er an Elisabeth schreiben, drei Jahre bevor sie ernsthaft an ScheidnUÜ
denkt! -- Sie antwortet in einem sehr langen Brief "mit gerührtester Freude


zur Musik. Malerei und Literatur mit Bequemlichkeit überließ. Dies unfrei¬
willige Stillleben währte, um keiner Seite in solcher Dauer geahnt, fast acht
Jahre; erst 1795 folgte sie ihrem Mann nach Berlin. Eine höhere Hand
fügte es hier anVers, als sie dachte. Beider entschiedensten Abneigung gegen
eine Trennung ihrer Ehe, auf deren Glück sie früh verzichtet hatte, sah sie
sich dennoch bald nach ihrer Ankunft zu diesem Schritt unausweichlich ge¬
zwungen. Sie hatte, wie sie mir schrieb, nur zwischen Wahnsinn oder Tod
zu wählen. Sobald ihr Entschluß ausgeführt war, kehrte sie nach Königs¬
berg zurück, und im Sept. 1796 erhielt ich ihre Hand, die sie mir bereits in
Berlin zugesagt hatte." Nach einer langen glücklichen Ehe starb sie 12. Juli
1835; Stägemann folgte ihr 1340.

Um der Farbe willen, theilen wir unter den zahlreichen Briefen von
Gentz an Elisabeth einen aus dem December 1793 mit; wobei wir daran er¬
innern, daß Gentz ein Jahr vor ihrem Mann nach Berlin abreiste.

„Es gab einst (also vor 1786) eine furchtbare Verabredung unter uns,
die meine Verdammniß, meine unwiederbringliche Verdammniß entschied, wen»
ich in einem Termin, den ich längst gar weit überschritten habe, Ihrer z»
vergessen scheinen sollte. . . Es war eine Zeit (also vor 1786), wo unsere
Herzen sich verstanden, auf leise Winke sich verstanden, eine Zeit, wo Sie
in meinem Umgang fanden, was Ihnen rund um Sie her versagt war, und
wo ich mein Dasein nur achtete, weil ich es wagen durfte, Sie grenzenlos
zu lieben. . . Sie wissen, daß wir tausendmal (vor 1786!), wenn wir unse^
Verhältnisse berechneten, dem unerbitiiichen Schicksal vorhielten, daß es uns
nicht füreinander geschaffen hatte." — „Nach einem Stillschweigen von zwe>
Jahren klingt es fast wahnsinnig, was ich Ihnen sagen werde, aber ich si^
es doch: wenn Sie meine Stelle in Ihnen irgend einem andern vergebe"
hätten, es wäre eine unaussprechliche Ungerechtigkeit gewesen." — „Gr«u»
war Ihnen nie werth; er ist es hier, bei Gott, nicht mehr geworden.
mag sein Ankläger nicht sein. Es gibt weniger Uebel, es gibt auch wenige
Fehler als man denkt. Sie nicht zu achten, ist ein ungeheurer, weil er
in die Mitte trifft, so unleugbar das im Menschen' voraussetzt, als tausend
einzelne Vergehungen, die den edelsten Charakter beflecken können. Die^
Sünde ist ihm längst im Gericht der besten Menschen angerechnet. Was e^
hier gethan, ist im Grunde nur eine andere Form dieser alten Sünde, unä)
meiner Berathung eben deshalb nicht wichtig, und ganz unbedeutend, nM"
die Welt nicht anders rechnete, anders urtheilte, und in ihrer Blindheit l^
über das Kleid wegsehn könnte. Blos in der letzten Betrachtung hat sein jetzig
Leben — eine gewisse widrige Wichtigkeit." — So schreibt — Genjz! "
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denkt! — Sie antwortet in einem sehr langen Brief „mit gerührtester Freude


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/186>, abgerufen am 24.07.2024.