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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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und fand noch Zeit, die merkwürdigsten Gegenstände in Paris zu betrachten.
Concerte und Theater zu besuchen, neue Schriften zu lesen, die Abende durch
Geselligkeit zu erheitern, durch Vorlesungen zu beseelen. Hinreißend las sie,
und war immer stark, freudig und heiter." Zu den Arbeiten der Damen in
inner Zeit gehören auch die Übertragungen der "Euryanthe" und anderer
^französischer Romane. -- Ein wesentliches Mitglied des Kreises war Hen-
^edle Mendelssohn. -- Inzwischen blieben auch Störungen nicht aus. Hel-
Mine schwärmte sür Bonaparte, den sie im Nov. 1303 in einem großen Hel¬
dengedicht zu feiern unternahm, während Schlegel, der vergebens nach einer
Anstellung suchte, sich immer mißtrauischer über ihn aussprach. Zudem wurde
!wie Vorliebe für den Katholicismus immer heftiger.

Im Frühling 1804 ging Schlegel mit seinen drei Freunden nach Köln;
Dorothee folgte in einigen Wochen. Sein Bruder wurde, wie Helmine versichert,
uur durch Frau v. Staöl abgehalten, sich ihm anzuschließen. Einen Abend
!)"ete, wie Helmine versichert, das Urbild zu Goethes natürlicher Tochter, in
^Ac Verschwörung Pichegrus verwickelt, bei Schlegels Zuflucht gesucht.

Einen Ersatz fand Helmine an Frau von Wol zogen; auch mit
Frau von Genlis knüpfte sie wieder Verbindungen an. Nach Doro-
^ees Abreise lebte sie bei Madame Recamier in Clichy; man suchte
^r, nach Gründung des neuen kaiserlichen Hofhalts, eine Stelle in dem
^ihm als Gouvernante zu verschaffen, doch schlug es fehl. Anfang November,
Madame Recamier Clichy verließ, miethete sie sich in einer englischen
Pension ein; in derselben Zeit kehrte Fr. Schlegel nach Paris zurück, und
erklärte, daß er des Aufenthalts in Köln herzlich satt wäre, so edel seine
Freunde für ihn gesinnt seien. Er hoffte noch auf einen Wirkungskreis in
^"us, allein es war keiner zu ermitteln, obgleich er den ganzen Winter da¬
rbst blieb. Damals schrieb Helmine ihre Schrift. "Kunst und Leben in Paris
>°'t Napoleon I."

Im folgenden Jahr (1805) heirathete Helmine ihren orientalistischen
nennt v. Chezy. Dieser hatte "Medschnun und Leila" ins Französische
übersetzt; eine deutsche Uebertragung des Gedichts von Hartmann (1807)
^urbe von Helmine recensirt. Sie hatten einige Kinder, aber das Glück in
^' Ehe war der Familie einmal nicht bestimmt; schon im Sommer 1808
^ le Chezy "vergessen, was ich vor wenig Jahren noch seinem Herzen, sei-
°w Geist und seinen Mußestunden gewesen!"") Sie zog von ihm nach Montmo-



Niun ^ H°orne findet die Ursache hauptsächlich in der Schwiegermutter, die sie selbst "ein
den " ^ Weiblichkeit und Häuslichkeit" nennt, "Ich war nur für die Poesie erzogen wor-
hätt'c redlichster Wille konnte die Einübung in das häusliche Getriebe nicht ersehen. Ich
in eilt's'^ umschasse" müssen, um ihrem Begriff vou einem Weibe wie es sein sollte,
sprechen. Glauben Sie mir, schrieb sie einmal, hören Sie mit Ihren Schreibereien auf
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und fand noch Zeit, die merkwürdigsten Gegenstände in Paris zu betrachten.
Concerte und Theater zu besuchen, neue Schriften zu lesen, die Abende durch
Geselligkeit zu erheitern, durch Vorlesungen zu beseelen. Hinreißend las sie,
und war immer stark, freudig und heiter." Zu den Arbeiten der Damen in
inner Zeit gehören auch die Übertragungen der „Euryanthe" und anderer
^französischer Romane. — Ein wesentliches Mitglied des Kreises war Hen-
^edle Mendelssohn. — Inzwischen blieben auch Störungen nicht aus. Hel-
Mine schwärmte sür Bonaparte, den sie im Nov. 1303 in einem großen Hel¬
dengedicht zu feiern unternahm, während Schlegel, der vergebens nach einer
Anstellung suchte, sich immer mißtrauischer über ihn aussprach. Zudem wurde
!wie Vorliebe für den Katholicismus immer heftiger.

Im Frühling 1804 ging Schlegel mit seinen drei Freunden nach Köln;
Dorothee folgte in einigen Wochen. Sein Bruder wurde, wie Helmine versichert,
uur durch Frau v. Staöl abgehalten, sich ihm anzuschließen. Einen Abend
!)"ete, wie Helmine versichert, das Urbild zu Goethes natürlicher Tochter, in
^Ac Verschwörung Pichegrus verwickelt, bei Schlegels Zuflucht gesucht.

Einen Ersatz fand Helmine an Frau von Wol zogen; auch mit
Frau von Genlis knüpfte sie wieder Verbindungen an. Nach Doro-
^ees Abreise lebte sie bei Madame Recamier in Clichy; man suchte
^r, nach Gründung des neuen kaiserlichen Hofhalts, eine Stelle in dem
^ihm als Gouvernante zu verschaffen, doch schlug es fehl. Anfang November,
Madame Recamier Clichy verließ, miethete sie sich in einer englischen
Pension ein; in derselben Zeit kehrte Fr. Schlegel nach Paris zurück, und
erklärte, daß er des Aufenthalts in Köln herzlich satt wäre, so edel seine
Freunde für ihn gesinnt seien. Er hoffte noch auf einen Wirkungskreis in
^"us, allein es war keiner zu ermitteln, obgleich er den ganzen Winter da¬
rbst blieb. Damals schrieb Helmine ihre Schrift. „Kunst und Leben in Paris
>°'t Napoleon I."

Im folgenden Jahr (1805) heirathete Helmine ihren orientalistischen
nennt v. Chezy. Dieser hatte „Medschnun und Leila" ins Französische
übersetzt; eine deutsche Uebertragung des Gedichts von Hartmann (1807)
^urbe von Helmine recensirt. Sie hatten einige Kinder, aber das Glück in
^' Ehe war der Familie einmal nicht bestimmt; schon im Sommer 1808
^ le Chezy „vergessen, was ich vor wenig Jahren noch seinem Herzen, sei-
°w Geist und seinen Mußestunden gewesen!"") Sie zog von ihm nach Montmo-



Niun ^ H°orne findet die Ursache hauptsächlich in der Schwiegermutter, die sie selbst „ein
den " ^ Weiblichkeit und Häuslichkeit" nennt, „Ich war nur für die Poesie erzogen wor-
hätt'c redlichster Wille konnte die Einübung in das häusliche Getriebe nicht ersehen. Ich
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/181>, abgerufen am 24.07.2024.