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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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ein Bildhauer den Marmorblock, den er beschauen will." "Er selbst war ein-
klanglos: weich wie ein Kind und schroff wie ein Gigant, hinwogend im
Aether und wühlend im Boden nach Vergnügungen, die ganz irdischer Natur
waren. Er war zu sehr von Selbstgefühl erfüllt, zu fleißig und zu bequem,
um Schritte zu machen, die ihn zur Erreichung einer Absicht hätten führen
tonnen." "Er sagte zu Dorothee, der Markos sei noch lange nicht undurch¬
dringlich genug dargestellt und er hätte beim Dichten nur mehr Opium neh¬
men sollen, so würde er das erreicht haben, was er gewollt. Er sagte
vieles aus reiner Ironie; er sagte auch mit vollem Bewußtsein und absicht¬
lich viel Unverständiges. Ueberhaupt war das Eckige und Schroffe, das öfters
bei ihm hervortrat, Willkür; denn wenn er irgend Lust hatte, konnte er die
feinste und anmuthigste Haltung annehmen und durchweg behaupten."

Zum Verkehr gehörte damals auch Achin von Arnim, "einer der we¬
nigen, die mich mit einem Bruderherzen liebten, meine unbeschirmte Lage nie
durch selbstische Anmaßungen tränkten." ,,Jm Umgang suchte er seinem tie¬
fen Gefühl hier durch Spott, der selten anmuthlos war, dort durch Ernst
einen Damm zu setzen." "Er geriet!) oft in Streit mit Fr. Schlegel, und
kam mir alsdann etwas bitter vor; sein schönes Herz glich jedoch bald alles
wieder aus." Ferner Eharles Villers, der Schlegels Vorlesungen besuchte.

Bekanntlich nahm Schlegel Unterricht im Sanskrit bei Hamilton, tag'
lich drei Stunden; Persisch lernteer bei Chözy (geb. 1773, Schüler von S-
te Saty und Langes, seit 1799 Conservator der orientalischen Handschriften
bei der Nationalbibliothek), der die Damen zuweilen in der Bibliothek um-
herführte und Helminen sofort ein lebhaftes Interesse einflößte. -- Im Haust',
wo Schlegels wohnten, wurden einige Zimmer frei; sie lagen im Garten,
den ein Treibhaus und zwei Reihen hoher Bäume schmückten. Diese Zimmer
nahm Helmine ein; sie führten alle gemeinsamen Haushalt/ Dazu käme"
im Herbst 1803 auf neun Monate noch drei Gäste aus Köln, die Gebrüder
Boisscrüe und ihr Freund Bertram (geb. 177"), die bei Schlegel ein
Kollegium bestellten und es in vollwichtigen Gold vorausbezahlten; an diesem
Collegium nahm auch Helmine Theil. Sehr häufig besuchte sie Frau von
Krüdener, die alte Freundin Jean Pauls, damals die gefeierte Weltdame,
deren eben erschienenen Roman Valürie Dorothee und Helmine gemeinsch"!^
lich übersetzten. ,,Dorotheas vorsorglicher Sinn wußte die Häuslichkeit an¬
genehm zu gestalten. Immer wars bei ihr heimlich und traulich; noch heu^
verstehe ich nicht, wo sie Zeit zum Schreiben fand. Allein die Getreue, deren
flinke Hand Friedrichs Wäsche nähte und in Stand erhielt, war auch die Ko¬
pistin aller seiner Schriften. Sie arbeitete damals vieles vom (nicht erselM
neuen) zweiten Theil des Florentin aus, schrieb für die Europa (^^
auch Helmine), übersetzte den Merlin, führte eine ausgebreitete CorrcspondenZ


ein Bildhauer den Marmorblock, den er beschauen will." „Er selbst war ein-
klanglos: weich wie ein Kind und schroff wie ein Gigant, hinwogend im
Aether und wühlend im Boden nach Vergnügungen, die ganz irdischer Natur
waren. Er war zu sehr von Selbstgefühl erfüllt, zu fleißig und zu bequem,
um Schritte zu machen, die ihn zur Erreichung einer Absicht hätten führen
tonnen." „Er sagte zu Dorothee, der Markos sei noch lange nicht undurch¬
dringlich genug dargestellt und er hätte beim Dichten nur mehr Opium neh¬
men sollen, so würde er das erreicht haben, was er gewollt. Er sagte
vieles aus reiner Ironie; er sagte auch mit vollem Bewußtsein und absicht¬
lich viel Unverständiges. Ueberhaupt war das Eckige und Schroffe, das öfters
bei ihm hervortrat, Willkür; denn wenn er irgend Lust hatte, konnte er die
feinste und anmuthigste Haltung annehmen und durchweg behaupten."

Zum Verkehr gehörte damals auch Achin von Arnim, „einer der we¬
nigen, die mich mit einem Bruderherzen liebten, meine unbeschirmte Lage nie
durch selbstische Anmaßungen tränkten." ,,Jm Umgang suchte er seinem tie¬
fen Gefühl hier durch Spott, der selten anmuthlos war, dort durch Ernst
einen Damm zu setzen." „Er geriet!) oft in Streit mit Fr. Schlegel, und
kam mir alsdann etwas bitter vor; sein schönes Herz glich jedoch bald alles
wieder aus." Ferner Eharles Villers, der Schlegels Vorlesungen besuchte.

Bekanntlich nahm Schlegel Unterricht im Sanskrit bei Hamilton, tag'
lich drei Stunden; Persisch lernteer bei Chözy (geb. 1773, Schüler von S-
te Saty und Langes, seit 1799 Conservator der orientalischen Handschriften
bei der Nationalbibliothek), der die Damen zuweilen in der Bibliothek um-
herführte und Helminen sofort ein lebhaftes Interesse einflößte. — Im Haust',
wo Schlegels wohnten, wurden einige Zimmer frei; sie lagen im Garten,
den ein Treibhaus und zwei Reihen hoher Bäume schmückten. Diese Zimmer
nahm Helmine ein; sie führten alle gemeinsamen Haushalt/ Dazu käme»
im Herbst 1803 auf neun Monate noch drei Gäste aus Köln, die Gebrüder
Boisscrüe und ihr Freund Bertram (geb. 177«), die bei Schlegel ein
Kollegium bestellten und es in vollwichtigen Gold vorausbezahlten; an diesem
Collegium nahm auch Helmine Theil. Sehr häufig besuchte sie Frau von
Krüdener, die alte Freundin Jean Pauls, damals die gefeierte Weltdame,
deren eben erschienenen Roman Valürie Dorothee und Helmine gemeinsch"!^
lich übersetzten. ,,Dorotheas vorsorglicher Sinn wußte die Häuslichkeit an¬
genehm zu gestalten. Immer wars bei ihr heimlich und traulich; noch heu^
verstehe ich nicht, wo sie Zeit zum Schreiben fand. Allein die Getreue, deren
flinke Hand Friedrichs Wäsche nähte und in Stand erhielt, war auch die Ko¬
pistin aller seiner Schriften. Sie arbeitete damals vieles vom (nicht erselM
neuen) zweiten Theil des Florentin aus, schrieb für die Europa (^^
auch Helmine), übersetzte den Merlin, führte eine ausgebreitete CorrcspondenZ


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/180>, abgerufen am 24.07.2024.