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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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wir Protestanten kennen keine andre Autorität, als die Schrift, und wenn
auch die augsburgischen Confessionsvcrwandten behaupten können, daß die¬
jenigen, welche die Konfession nicht unterschreiben, nicht zu ihnen gehören,
so können sie doch nicht behaupten, daß sie nicht auf dem Boden des
Christenthums stehn, so lange dieselben die nämliche Autorität, die heilige
Schrift, für sich anführen. Wenn Hengstenberg behauptet, daß Uhlich die
Schrift falsch auslegt, so behauptet Uhlich dasselbe von Hengstenberg, und
es gibt kein anerkanntes Forum, das darüber entscheiden könnte.

In dieser Verlegenheit kam man endlich auf einen bequemen Ausweg.
In der Ueberzeugung, daß die Religiosität nur ein Vorwand, nur ein Deck¬
mantel für anderweitige Bestrebungen sei, glaubte man diese anderweitigen
Bestrebungen in der Politik gefunden zu haben. Mehre namhafte Anhänger
der freien Gemeinden gehörten zur demokratischen Partei; daraus zog man
den Schluß, die freien Gemeinden seien überhaupt Jakobinerclubs, und stellte
sie unter die Kategorie der politischen Vereine. Da nun der Wortlaut des
Neligionsedicts von 1847 dieser Ausfassung entgegentrat, ging man nicht
gradezu und offen zu Werke, sondern richtete ein Verfolgungssystem ein, das
in seiner Kleinlichkeit einen ebenso komischen als kläglichen Eindruck macht.

Der Schluß, daß die freien Gemeinden deshalb politische Vereine wären,
weil in ihren Predigten zuweilen die Politik in Anregung kam, ist ganz ein¬
fach durch den Hinweis auf die orthodoxen Geistlichen zu widerlegen.
Nirgend ist die politische Diatribe, nirgend das Streben, zum Haß und Ver¬
achtung einer politischen Ansicht zu reizen, so offen und rücksichtslos zur Schau
getragen, als von Seiten der sogenannten rechtgläubigen Pastoren. Wir
haben vor einigen Wochen an Vilmar einen eclatanten Beleg gehabt, aber
wir dürfen nur irgendein? der Ultrablätter zur Hand nehmen, um die Be¬
theiligung dieser Altlutheraner an der Politik, und zwar die Betheiligung in
der rohesten und gehässigsten Form, zu erweisen. In den freien Gemeinden
ist zwar auch die Rede von Politik gewesen, aber immer nur sehr schonend
und zurückhaltend, und wenn man behaupten wollte, daß der Grund dieser
Zurückhaltung lediglich in der Furcht liege, so ist damit nichts bewiesen: der
Staat hat nur auf die Handlungen Rücksicht zu nehmen. .Der Prinzregent
hat den preußischen Staat einen paritätischen genannt; so vieldeutig dieser
Ausdruck ist. und so wenig wir gemeint sind, auf alle Consequenzen einzu-
gehn, die man etwa daraus herleiten könnte, so ist doch eins klar: die Re¬
gierung Preußens soll von Staatsmännern, nicht von Theologen geführt
werden; und wir hoffen, daß auch der neue Cultusminister dieser Ansicht sein
wird. Wir sind keine Byzantiner, keine Russen; Staat und Kirche stehn bei
uns zwar in innigem Zusammenhang, aber sie fallen nicht zusammen. Der
Staat hat die Religionsgesellschaften, wie alle Vereine, insoweit zu über-


wir Protestanten kennen keine andre Autorität, als die Schrift, und wenn
auch die augsburgischen Confessionsvcrwandten behaupten können, daß die¬
jenigen, welche die Konfession nicht unterschreiben, nicht zu ihnen gehören,
so können sie doch nicht behaupten, daß sie nicht auf dem Boden des
Christenthums stehn, so lange dieselben die nämliche Autorität, die heilige
Schrift, für sich anführen. Wenn Hengstenberg behauptet, daß Uhlich die
Schrift falsch auslegt, so behauptet Uhlich dasselbe von Hengstenberg, und
es gibt kein anerkanntes Forum, das darüber entscheiden könnte.

In dieser Verlegenheit kam man endlich auf einen bequemen Ausweg.
In der Ueberzeugung, daß die Religiosität nur ein Vorwand, nur ein Deck¬
mantel für anderweitige Bestrebungen sei, glaubte man diese anderweitigen
Bestrebungen in der Politik gefunden zu haben. Mehre namhafte Anhänger
der freien Gemeinden gehörten zur demokratischen Partei; daraus zog man
den Schluß, die freien Gemeinden seien überhaupt Jakobinerclubs, und stellte
sie unter die Kategorie der politischen Vereine. Da nun der Wortlaut des
Neligionsedicts von 1847 dieser Ausfassung entgegentrat, ging man nicht
gradezu und offen zu Werke, sondern richtete ein Verfolgungssystem ein, das
in seiner Kleinlichkeit einen ebenso komischen als kläglichen Eindruck macht.

Der Schluß, daß die freien Gemeinden deshalb politische Vereine wären,
weil in ihren Predigten zuweilen die Politik in Anregung kam, ist ganz ein¬
fach durch den Hinweis auf die orthodoxen Geistlichen zu widerlegen.
Nirgend ist die politische Diatribe, nirgend das Streben, zum Haß und Ver¬
achtung einer politischen Ansicht zu reizen, so offen und rücksichtslos zur Schau
getragen, als von Seiten der sogenannten rechtgläubigen Pastoren. Wir
haben vor einigen Wochen an Vilmar einen eclatanten Beleg gehabt, aber
wir dürfen nur irgendein? der Ultrablätter zur Hand nehmen, um die Be¬
theiligung dieser Altlutheraner an der Politik, und zwar die Betheiligung in
der rohesten und gehässigsten Form, zu erweisen. In den freien Gemeinden
ist zwar auch die Rede von Politik gewesen, aber immer nur sehr schonend
und zurückhaltend, und wenn man behaupten wollte, daß der Grund dieser
Zurückhaltung lediglich in der Furcht liege, so ist damit nichts bewiesen: der
Staat hat nur auf die Handlungen Rücksicht zu nehmen. .Der Prinzregent
hat den preußischen Staat einen paritätischen genannt; so vieldeutig dieser
Ausdruck ist. und so wenig wir gemeint sind, auf alle Consequenzen einzu-
gehn, die man etwa daraus herleiten könnte, so ist doch eins klar: die Re¬
gierung Preußens soll von Staatsmännern, nicht von Theologen geführt
werden; und wir hoffen, daß auch der neue Cultusminister dieser Ansicht sein
wird. Wir sind keine Byzantiner, keine Russen; Staat und Kirche stehn bei
uns zwar in innigem Zusammenhang, aber sie fallen nicht zusammen. Der
Staat hat die Religionsgesellschaften, wie alle Vereine, insoweit zu über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/18>, abgerufen am 24.07.2024.