Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.
Wir können uns bei diesem Bericht doch der Bemerkung nicht erwehren,
Wir können uns bei diesem Bericht doch der Bemerkung nicht erwehren,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187125"/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> Vier Kinder stören mich; doch das Geräusch von Kindern<lb/> Kann nicht den Trieb in mir und nicht das Feuer mindern.<lb/> Mein Glück ist klein, doch groß genug für mich,<lb/> Und im Gesang ist mir der Gram nicht hinderlich.<lb/> Ihr Freunde, die ihr euch die große Mühe mahnet,<lb/> Und mich so niedres Weib zu sehn nach Glogau kämet,<lb/> Euch geb' ein solches Glück freundschaftlich das Geleit.<lb/> Als euer Herz verdient und eure Redlichkeit,<lb/> Die ich aus euren Augen kenne,<lb/> Und die ich mich bereit zu euren Diensten nenne."</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_517"> Wir können uns bei diesem Bericht doch der Bemerkung nicht erwehren,<lb/> daß Frau Karschin lieber die zerrissenen Kleider ihrer Kinder hätte flicken<lb/> sollen, statt eine Predigt in Verse zu bringen. — Ein edler Freund brachte es<lb/> dahin, daß Karsch von Glogau entfernt wurde. „Die Vermittlung ging zwar<lb/> nicht den Weg Rechtens, allein die Karschin wurde dadurch frei und der schwer¬<lb/> sten Sorgen entladen." Obgleich ihr Mann wieder zurückkehrte, fand sie Ge¬<lb/> legenheit, ein Gedicht an einen Baron Kottwitz zu richten, der sie reich be¬<lb/> schenkte und ihr eine Bitte frei stellte. Sie antwortete augenblicklich, ihr<lb/> heißester Wunsch wäre, nach Berlin zu kommen. Bald daraus kam ein statt¬<lb/> licher Reisewagen sie abzuholen. Ihr Mann machte unterwegs eine leiden¬<lb/> schaftliche Scene, aber Kutscher und Bedienter achteten nicht darauf. So kam<lb/> sie 25. Jan. 1761 in Berlin an, wo sie von der Aristokratie und der Literatur<lb/> als berühmte Dichterin glänzend empfangen wurde. Ihre Kinder wurden<lb/> durch die Fürsorge der Freunde anderwärts untergebracht. Am thätigsten<lb/> nahm sich Gleim in Halberstadt ihrer an. Er gab eine Auswahl ihrer Ge¬<lb/> dichte aus Subscription heraus, die einen Reinertrag von 2000 Thlr. abwarf.<lb/> Den 24. Oct. 1703 erhielt sie Audienz beim König. Sie hat dieselbe in<lb/> einem langen Gedicht beschrieben, von dem wir hier einiges mittheilen.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Er frug- wer lehrte dich Gesang?<lb/> Wer unterwies dich in Apollos Saitenzwang? —<lb/> Held! sprach ich, die Natur und Deine Siege machten<lb/> Mich ohne Kunst zur Dichterin. —<lb/> Er lächelte und wollte wissen,<lb/> Woher ich Nahrung nahm; da sagt ich: Freunde müssen<lb/> Mich nähren, täglich geh ich hin<lb/> Zum niemals stolzen Stahl, der stets mich gerne siehet<lb/> Und eine zweite Sängerin<lb/> In meiner Tochter Dir erziehet. —<lb/> Ich sprach«, und Friedrichs Blick schien meinen Freund zu loben.<lb/> Nach meiner Wohnung frug er mich.<lb/> Monarch, sprach ich, die Sterne grenzen nachbarlich<lb/> Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben! —</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Vier Kinder stören mich; doch das Geräusch von Kindern
Kann nicht den Trieb in mir und nicht das Feuer mindern.
Mein Glück ist klein, doch groß genug für mich,
Und im Gesang ist mir der Gram nicht hinderlich.
Ihr Freunde, die ihr euch die große Mühe mahnet,
Und mich so niedres Weib zu sehn nach Glogau kämet,
Euch geb' ein solches Glück freundschaftlich das Geleit.
Als euer Herz verdient und eure Redlichkeit,
Die ich aus euren Augen kenne,
Und die ich mich bereit zu euren Diensten nenne."
Wir können uns bei diesem Bericht doch der Bemerkung nicht erwehren,
daß Frau Karschin lieber die zerrissenen Kleider ihrer Kinder hätte flicken
sollen, statt eine Predigt in Verse zu bringen. — Ein edler Freund brachte es
dahin, daß Karsch von Glogau entfernt wurde. „Die Vermittlung ging zwar
nicht den Weg Rechtens, allein die Karschin wurde dadurch frei und der schwer¬
sten Sorgen entladen." Obgleich ihr Mann wieder zurückkehrte, fand sie Ge¬
legenheit, ein Gedicht an einen Baron Kottwitz zu richten, der sie reich be¬
schenkte und ihr eine Bitte frei stellte. Sie antwortete augenblicklich, ihr
heißester Wunsch wäre, nach Berlin zu kommen. Bald daraus kam ein statt¬
licher Reisewagen sie abzuholen. Ihr Mann machte unterwegs eine leiden¬
schaftliche Scene, aber Kutscher und Bedienter achteten nicht darauf. So kam
sie 25. Jan. 1761 in Berlin an, wo sie von der Aristokratie und der Literatur
als berühmte Dichterin glänzend empfangen wurde. Ihre Kinder wurden
durch die Fürsorge der Freunde anderwärts untergebracht. Am thätigsten
nahm sich Gleim in Halberstadt ihrer an. Er gab eine Auswahl ihrer Ge¬
dichte aus Subscription heraus, die einen Reinertrag von 2000 Thlr. abwarf.
Den 24. Oct. 1703 erhielt sie Audienz beim König. Sie hat dieselbe in
einem langen Gedicht beschrieben, von dem wir hier einiges mittheilen.
Er frug- wer lehrte dich Gesang?
Wer unterwies dich in Apollos Saitenzwang? —
Held! sprach ich, die Natur und Deine Siege machten
Mich ohne Kunst zur Dichterin. —
Er lächelte und wollte wissen,
Woher ich Nahrung nahm; da sagt ich: Freunde müssen
Mich nähren, täglich geh ich hin
Zum niemals stolzen Stahl, der stets mich gerne siehet
Und eine zweite Sängerin
In meiner Tochter Dir erziehet. —
Ich sprach«, und Friedrichs Blick schien meinen Freund zu loben.
Nach meiner Wohnung frug er mich.
Monarch, sprach ich, die Sterne grenzen nachbarlich
Mit meinem Winkel unterm Dache hoch erhoben! —
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