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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Allein die Reinigung blieb bei der Besetzung neuer Aemter nicht stehn,
man ging den alten Nationalisten scharf zu Leibe, und nöthigte sie zuweilen,
wenn auch die Fülle nicht zu häufig vorkamen, ihr Amt niederzulegen. Eich¬
horn, als aufrichtig liberaler Mann, wollte damit keineswegs einen Glaubens¬
zwang ausüben, er wollte das Denken nicht an bestimmte Formen fesseln.
Das Raisonnement dieses theologischen Juristen war vielmehr folgendes: die
evangelische Landeskirche ist durch die Bckenntnißschriften rechtskräftig con-
stituirt und begrenzt; wer dieselben nicht anerkennt, gehört rechtlich nicht zur
evangelischen Landeskirche, aber es steht ihm frei, sich einer von jenen Sekten
anzuschließen, welche diese Kirche außer sich bestehen läßt, und falls sein Ge-
wissen ihm verbietet, einer der bestehenden Sekten beizutreten, so soll der
Staat ihm die Möglichkeit offen lassen, mit den Gleichgesinnten eine neue
Sekte zu bilden, und so auf seine Art Gott dem Herrn zu dienen.

Bei der ehrlichen Gesinnung des Mannes zweifeln wir keinen Augenblick
daran, daß solches seine aufrichtige Meinung war. und das Ncligionsedict
vom März 1847 spricht sich in der That so unzweideutig als möglich dar¬
über aus.

Im Anfang sträubten sich die Nationalisten, in dem guten Glauben, der
christlich-evangelischen Gemeinschaft anzugehören, auf daS entschiedenste da¬
gegen, auf diesen Plan einzugehn; aber das Kirchenregiment in seinem theo¬
logisch-juristischen Eifer wurde immer dringender, seine Beaufsichtigung der
rechten Lehre innerhalb der Kirche immer unbequemer, und so erfolgte endlich
die Bildung der sogenannten freien Gemeinden. Wenn wir dieselbe nicht
völlig ungerecht beurtheilen wollen, so müssen wir stets daran erinnern, daß
sie nicht freiwillig aus der Kirche getreten, sondern durch eine Reihe künst¬
licher Maßregeln und mit dem Versprechen der Duldung aus derselben hinaus¬
gedrängt worden sind.

Nun aber trat eine neue Phase ein. Das Kirchenregiment war offenbar
über den Erfolg seiner Maßregeln überrascht, es hatte sich unter Sekten etwas
Anderes vorgestellt, und wußte im Anfang nicht, wie es sich dieser neuen
Erscheinung gegenüber verhalten sollte. Da es das Christenthum nur vom
theologisch-juristischen Standpunkt auffaßte, war es der festen Ueberzeugung,
die neuen Gemeinden ständen überhaupt nicht mehr auf dem Boden des
Christenthums, ihr vorgeblicher Gottesdienst müsse also den wahrhaft Gläu¬
bigen ein Aergerniß sein.

Wir wollen über diese Ansicht keine nähere Untersuchung anstellen; jeden¬
falls war es nur eine subjective Ansicht, und der Protestantismus kennt über¬
haupt keine Form, objectiv festzustellen, welche Sekte auf dem Boden des
Christenthums steht, und welche nicht. Die katholische Kirche hat den Papst
und die Concilien, die Autorität derselben ist aber durch Luther gebrochen;


Allein die Reinigung blieb bei der Besetzung neuer Aemter nicht stehn,
man ging den alten Nationalisten scharf zu Leibe, und nöthigte sie zuweilen,
wenn auch die Fülle nicht zu häufig vorkamen, ihr Amt niederzulegen. Eich¬
horn, als aufrichtig liberaler Mann, wollte damit keineswegs einen Glaubens¬
zwang ausüben, er wollte das Denken nicht an bestimmte Formen fesseln.
Das Raisonnement dieses theologischen Juristen war vielmehr folgendes: die
evangelische Landeskirche ist durch die Bckenntnißschriften rechtskräftig con-
stituirt und begrenzt; wer dieselben nicht anerkennt, gehört rechtlich nicht zur
evangelischen Landeskirche, aber es steht ihm frei, sich einer von jenen Sekten
anzuschließen, welche diese Kirche außer sich bestehen läßt, und falls sein Ge-
wissen ihm verbietet, einer der bestehenden Sekten beizutreten, so soll der
Staat ihm die Möglichkeit offen lassen, mit den Gleichgesinnten eine neue
Sekte zu bilden, und so auf seine Art Gott dem Herrn zu dienen.

Bei der ehrlichen Gesinnung des Mannes zweifeln wir keinen Augenblick
daran, daß solches seine aufrichtige Meinung war. und das Ncligionsedict
vom März 1847 spricht sich in der That so unzweideutig als möglich dar¬
über aus.

Im Anfang sträubten sich die Nationalisten, in dem guten Glauben, der
christlich-evangelischen Gemeinschaft anzugehören, auf daS entschiedenste da¬
gegen, auf diesen Plan einzugehn; aber das Kirchenregiment in seinem theo¬
logisch-juristischen Eifer wurde immer dringender, seine Beaufsichtigung der
rechten Lehre innerhalb der Kirche immer unbequemer, und so erfolgte endlich
die Bildung der sogenannten freien Gemeinden. Wenn wir dieselbe nicht
völlig ungerecht beurtheilen wollen, so müssen wir stets daran erinnern, daß
sie nicht freiwillig aus der Kirche getreten, sondern durch eine Reihe künst¬
licher Maßregeln und mit dem Versprechen der Duldung aus derselben hinaus¬
gedrängt worden sind.

Nun aber trat eine neue Phase ein. Das Kirchenregiment war offenbar
über den Erfolg seiner Maßregeln überrascht, es hatte sich unter Sekten etwas
Anderes vorgestellt, und wußte im Anfang nicht, wie es sich dieser neuen
Erscheinung gegenüber verhalten sollte. Da es das Christenthum nur vom
theologisch-juristischen Standpunkt auffaßte, war es der festen Ueberzeugung,
die neuen Gemeinden ständen überhaupt nicht mehr auf dem Boden des
Christenthums, ihr vorgeblicher Gottesdienst müsse also den wahrhaft Gläu¬
bigen ein Aergerniß sein.

Wir wollen über diese Ansicht keine nähere Untersuchung anstellen; jeden¬
falls war es nur eine subjective Ansicht, und der Protestantismus kennt über¬
haupt keine Form, objectiv festzustellen, welche Sekte auf dem Boden des
Christenthums steht, und welche nicht. Die katholische Kirche hat den Papst
und die Concilien, die Autorität derselben ist aber durch Luther gebrochen;


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[0017] Allein die Reinigung blieb bei der Besetzung neuer Aemter nicht stehn, man ging den alten Nationalisten scharf zu Leibe, und nöthigte sie zuweilen, wenn auch die Fülle nicht zu häufig vorkamen, ihr Amt niederzulegen. Eich¬ horn, als aufrichtig liberaler Mann, wollte damit keineswegs einen Glaubens¬ zwang ausüben, er wollte das Denken nicht an bestimmte Formen fesseln. Das Raisonnement dieses theologischen Juristen war vielmehr folgendes: die evangelische Landeskirche ist durch die Bckenntnißschriften rechtskräftig con- stituirt und begrenzt; wer dieselben nicht anerkennt, gehört rechtlich nicht zur evangelischen Landeskirche, aber es steht ihm frei, sich einer von jenen Sekten anzuschließen, welche diese Kirche außer sich bestehen läßt, und falls sein Ge- wissen ihm verbietet, einer der bestehenden Sekten beizutreten, so soll der Staat ihm die Möglichkeit offen lassen, mit den Gleichgesinnten eine neue Sekte zu bilden, und so auf seine Art Gott dem Herrn zu dienen. Bei der ehrlichen Gesinnung des Mannes zweifeln wir keinen Augenblick daran, daß solches seine aufrichtige Meinung war. und das Ncligionsedict vom März 1847 spricht sich in der That so unzweideutig als möglich dar¬ über aus. Im Anfang sträubten sich die Nationalisten, in dem guten Glauben, der christlich-evangelischen Gemeinschaft anzugehören, auf daS entschiedenste da¬ gegen, auf diesen Plan einzugehn; aber das Kirchenregiment in seinem theo¬ logisch-juristischen Eifer wurde immer dringender, seine Beaufsichtigung der rechten Lehre innerhalb der Kirche immer unbequemer, und so erfolgte endlich die Bildung der sogenannten freien Gemeinden. Wenn wir dieselbe nicht völlig ungerecht beurtheilen wollen, so müssen wir stets daran erinnern, daß sie nicht freiwillig aus der Kirche getreten, sondern durch eine Reihe künst¬ licher Maßregeln und mit dem Versprechen der Duldung aus derselben hinaus¬ gedrängt worden sind. Nun aber trat eine neue Phase ein. Das Kirchenregiment war offenbar über den Erfolg seiner Maßregeln überrascht, es hatte sich unter Sekten etwas Anderes vorgestellt, und wußte im Anfang nicht, wie es sich dieser neuen Erscheinung gegenüber verhalten sollte. Da es das Christenthum nur vom theologisch-juristischen Standpunkt auffaßte, war es der festen Ueberzeugung, die neuen Gemeinden ständen überhaupt nicht mehr auf dem Boden des Christenthums, ihr vorgeblicher Gottesdienst müsse also den wahrhaft Gläu¬ bigen ein Aergerniß sein. Wir wollen über diese Ansicht keine nähere Untersuchung anstellen; jeden¬ falls war es nur eine subjective Ansicht, und der Protestantismus kennt über¬ haupt keine Form, objectiv festzustellen, welche Sekte auf dem Boden des Christenthums steht, und welche nicht. Die katholische Kirche hat den Papst und die Concilien, die Autorität derselben ist aber durch Luther gebrochen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/17>, abgerufen am 24.07.2024.