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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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^ut ängstlich zu bewahren und wenigstens einen Fuß in Italien zu behal-
^n. Warum gab er die Stellung in Italien nicht ganz auf? Warum behielt
^ südlich von den Alpen das einzige Mailand, durch welches Oestreich in
alle Berwickluugen der Halbinsel hineingezogen wurde, und fortwährend eine
Annee daselbst zu unterhalten gezwungen war? Toscana wurde ebenso in¬
konsequent von der Monarchie getrennt. Warum gab man nicht auch Mai¬
land an diese Secundogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen und entsagte
damit jedem directen Besitz in Italien? Oestreich wäre dann auf einem andern
Schauplatz stärker und dennoch mächtig genug gewesen, um einer Ausbreitung
der französischen Macht in Italien mit Hilfe seiner stammverwandten italie¬
nischen Linie Schranken zu sehen. Oder wenn Oestreich Italien nicht aus¬
üben wollte, wäre es nicht weiser gewesen, nebst Mailand auch Toscana zu
schalten und den jüngern Sohn mit einem andern Fürstentum auszustatten,
^as in dieser Epoche, wo das Täuschen der Länder Mode war, ohne Au-
st""d auszuführen gewesen wäre? Dann wäre der Besitz in Italien bedeu¬
tender geworden, und die Anstrengungen zur Behauptung desselben würden
^es eher haben rechtfertigen lassen. Sich aber auf Mailand allein zu be-
schränken, in diesem den Keim unaufhörlicher Unruhen zu übernehmen und
^'gleich die Suprematie in Italien behaupten zu wollen, war eine der belieb-
halben Maßregeln östreichischer Politik, die überall sein wollte und nir¬
gend se^k war. Daß in diesem Umstand auch bei weitem die größte Schuld
den Unglücksfällen zu suchen ist, welche Oestreich in seinen Kriegen gegen
Frankreich erlitt, kann kaum geleugnet werden; nach Italien wurden ebenso
' arke Armeen gesendet als an den Rhein, und die Behauptung dieser einen
^°vinz absorbirte die Kräfte, welche zum Schutz Deutschlands und Wiens
"°klug gewesen wären.

Nach der auf dem wiener Congreß bewirkten Ordnung der Gebietsverhältnisse
^ Europa finden wir Oestreich im Besitz des lombardisch-venetianischen König¬
liches, aber trotz des Zuwachses an Land weniger sicher und stark als vor-
^ ^ Im vorigen Jahrhundert ertrug Italien die im Ganzen ziemlich milde,
°M italienischen Charakter angemessene Herrschaft der Fremden so willig als
^ der einheimischen Fürsten. Für Toscana war sogar das Ende des vori-
Jahrhunderts eine Epoche des Glanzes gewesen, und in der Lombardei
'"d noch jetzt die Zeiten von Maria Theresia unvergessen. Erst durch die
^Publiken, die von der französischen Mutterrepublik gegründet wurden, um dann
^ französische Königreiche umgewandelt zu werden, wurde der Factionsgeist im
°tke geweckt. Es tauchten Demagogen auf, an denen Italien jetzt ebenso reich
> als im Mittelalter. Der HoH gegen Fremdherrschaft und Absolutismus,
^publikcmismus, die Idee des einigen Italiens entwickelte sich, und in
^ Revolution Neapels und in der Carbonariverschwörung machte sich dieser


^""jboten I. 1859. 18

^ut ängstlich zu bewahren und wenigstens einen Fuß in Italien zu behal-
^n. Warum gab er die Stellung in Italien nicht ganz auf? Warum behielt
^ südlich von den Alpen das einzige Mailand, durch welches Oestreich in
alle Berwickluugen der Halbinsel hineingezogen wurde, und fortwährend eine
Annee daselbst zu unterhalten gezwungen war? Toscana wurde ebenso in¬
konsequent von der Monarchie getrennt. Warum gab man nicht auch Mai¬
land an diese Secundogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen und entsagte
damit jedem directen Besitz in Italien? Oestreich wäre dann auf einem andern
Schauplatz stärker und dennoch mächtig genug gewesen, um einer Ausbreitung
der französischen Macht in Italien mit Hilfe seiner stammverwandten italie¬
nischen Linie Schranken zu sehen. Oder wenn Oestreich Italien nicht aus¬
üben wollte, wäre es nicht weiser gewesen, nebst Mailand auch Toscana zu
schalten und den jüngern Sohn mit einem andern Fürstentum auszustatten,
^as in dieser Epoche, wo das Täuschen der Länder Mode war, ohne Au-
st""d auszuführen gewesen wäre? Dann wäre der Besitz in Italien bedeu¬
tender geworden, und die Anstrengungen zur Behauptung desselben würden
^es eher haben rechtfertigen lassen. Sich aber auf Mailand allein zu be-
schränken, in diesem den Keim unaufhörlicher Unruhen zu übernehmen und
^'gleich die Suprematie in Italien behaupten zu wollen, war eine der belieb-
halben Maßregeln östreichischer Politik, die überall sein wollte und nir¬
gend se^k war. Daß in diesem Umstand auch bei weitem die größte Schuld
den Unglücksfällen zu suchen ist, welche Oestreich in seinen Kriegen gegen
Frankreich erlitt, kann kaum geleugnet werden; nach Italien wurden ebenso
' arke Armeen gesendet als an den Rhein, und die Behauptung dieser einen
^°vinz absorbirte die Kräfte, welche zum Schutz Deutschlands und Wiens
"°klug gewesen wären.

Nach der auf dem wiener Congreß bewirkten Ordnung der Gebietsverhältnisse
^ Europa finden wir Oestreich im Besitz des lombardisch-venetianischen König¬
liches, aber trotz des Zuwachses an Land weniger sicher und stark als vor-
^ ^ Im vorigen Jahrhundert ertrug Italien die im Ganzen ziemlich milde,
°M italienischen Charakter angemessene Herrschaft der Fremden so willig als
^ der einheimischen Fürsten. Für Toscana war sogar das Ende des vori-
Jahrhunderts eine Epoche des Glanzes gewesen, und in der Lombardei
'"d noch jetzt die Zeiten von Maria Theresia unvergessen. Erst durch die
^Publiken, die von der französischen Mutterrepublik gegründet wurden, um dann
^ französische Königreiche umgewandelt zu werden, wurde der Factionsgeist im
°tke geweckt. Es tauchten Demagogen auf, an denen Italien jetzt ebenso reich
> als im Mittelalter. Der HoH gegen Fremdherrschaft und Absolutismus,
^publikcmismus, die Idee des einigen Italiens entwickelte sich, und in
^ Revolution Neapels und in der Carbonariverschwörung machte sich dieser


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[0147] ^ut ängstlich zu bewahren und wenigstens einen Fuß in Italien zu behal- ^n. Warum gab er die Stellung in Italien nicht ganz auf? Warum behielt ^ südlich von den Alpen das einzige Mailand, durch welches Oestreich in alle Berwickluugen der Halbinsel hineingezogen wurde, und fortwährend eine Annee daselbst zu unterhalten gezwungen war? Toscana wurde ebenso in¬ konsequent von der Monarchie getrennt. Warum gab man nicht auch Mai¬ land an diese Secundogenitur des Hauses Habsburg-Lothringen und entsagte damit jedem directen Besitz in Italien? Oestreich wäre dann auf einem andern Schauplatz stärker und dennoch mächtig genug gewesen, um einer Ausbreitung der französischen Macht in Italien mit Hilfe seiner stammverwandten italie¬ nischen Linie Schranken zu sehen. Oder wenn Oestreich Italien nicht aus¬ üben wollte, wäre es nicht weiser gewesen, nebst Mailand auch Toscana zu schalten und den jüngern Sohn mit einem andern Fürstentum auszustatten, ^as in dieser Epoche, wo das Täuschen der Länder Mode war, ohne Au- st""d auszuführen gewesen wäre? Dann wäre der Besitz in Italien bedeu¬ tender geworden, und die Anstrengungen zur Behauptung desselben würden ^es eher haben rechtfertigen lassen. Sich aber auf Mailand allein zu be- schränken, in diesem den Keim unaufhörlicher Unruhen zu übernehmen und ^'gleich die Suprematie in Italien behaupten zu wollen, war eine der belieb- halben Maßregeln östreichischer Politik, die überall sein wollte und nir¬ gend se^k war. Daß in diesem Umstand auch bei weitem die größte Schuld den Unglücksfällen zu suchen ist, welche Oestreich in seinen Kriegen gegen Frankreich erlitt, kann kaum geleugnet werden; nach Italien wurden ebenso ' arke Armeen gesendet als an den Rhein, und die Behauptung dieser einen ^°vinz absorbirte die Kräfte, welche zum Schutz Deutschlands und Wiens "°klug gewesen wären. Nach der auf dem wiener Congreß bewirkten Ordnung der Gebietsverhältnisse ^ Europa finden wir Oestreich im Besitz des lombardisch-venetianischen König¬ liches, aber trotz des Zuwachses an Land weniger sicher und stark als vor- ^ ^ Im vorigen Jahrhundert ertrug Italien die im Ganzen ziemlich milde, °M italienischen Charakter angemessene Herrschaft der Fremden so willig als ^ der einheimischen Fürsten. Für Toscana war sogar das Ende des vori- Jahrhunderts eine Epoche des Glanzes gewesen, und in der Lombardei '"d noch jetzt die Zeiten von Maria Theresia unvergessen. Erst durch die ^Publiken, die von der französischen Mutterrepublik gegründet wurden, um dann ^ französische Königreiche umgewandelt zu werden, wurde der Factionsgeist im °tke geweckt. Es tauchten Demagogen auf, an denen Italien jetzt ebenso reich > als im Mittelalter. Der HoH gegen Fremdherrschaft und Absolutismus, ^publikcmismus, die Idee des einigen Italiens entwickelte sich, und in ^ Revolution Neapels und in der Carbonariverschwörung machte sich dieser ^"»jboten I. 1859. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/147>, abgerufen am 24.07.2024.