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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Der Necurszug war durch alle Instanzen offen. In rein administrativen
Dingen konnte man sich von der Entscheidung der Ortsbehörde an das Kreis¬
amt, vom Kreisamt an die Landesstelle, von der Landesstelle an die Hofstelle, von
der Hofstelle an den Kaiser wenden. Fand dieser sich veranlaßt, die Beschwerde zu
signiren d. h. behufs seiner eignen Entscheidung Aufklärung zu begehren,
1o ging sie wieder die ganze Stufenleiter der Behörden hinab, behufs der Bei¬
legung sämmtlicher Acten oder auch neuer Erhebungen; und dann wieder bis zum
Thron herauf, um endlich mit der kaiserlichen Schlußfassung denselben Weg
zurückzunehmen. Metternich selbst sah ein, daß mittelst dieser Staatsmaschine
gar nicht regiert würde, und daß in diesem Nichtregieren das Hauptübel des
Staats liege. Aber die legislativen Arbeiten wurden in eine Masse divergi-
render Anträge zersplittert, welche im Centrum der Entscheidung, die Uebersicht
erschwerten, und da auch hier kein leitender Gedanke vorherrschte, so blieben
die durchdachtesten Vorschläge in den Archiven aller Verwaltungsbehörden ein¬
gesargt.

Als Kaiser Franz, 2. März 1835 starb, hinterließ er ein politisches
Testament, in welchem er seinen Nachfolger ermahnte, sich in keiner Weise auf
Veränderungen einzulassen und ohne den Fürsten Metternich nichts zu unter¬
nehmen. Ferdinand folgte den Rathschlägen seines Vaters; neben Metter-
nich blieb um der Negierung hauptsächlich sein Rival Graf Kollowrat,
ein vornehmer Aristokrat, der dem Staat umsonst diente, die innern Angelegen¬
heiten leitete, und sich ebenso zu fügen wußte als Metternich. und der mil>
liebigste aller Minister, Sedlnitzki, der allmächtige Chef der Polizei, betheiligt-
Der neue Kaiser, geb. 1793, zeichnete sich durch eine seltene, man kann sagen
rührende Herzensgüte aus; leider war seine Gesundheit seit 1829 durch epi¬
leptische Zufälle angegriffen, die auch auf seine Geisteskräfte sehr nachtheilig
einwirkten. Da nun sein Wohlwollen vielfältig gemißbraucht wurde, indem
man ihm in unbewachten Augenblicken seine Namensunterschrift ablockte,
mußte ein Weg gesunden werden, die entscheidende Stelle in der Regierung
ans eine ordnungsmäßige Weise zu ergänzen. Nach sehr lebhaften Kämpfe"
zwischen Metternich und Kollowrat einigte man sich endlich Dec. 1836 übe"'
die Bildung einer Staatsconscrenz, bestehend aus jenen beiden Minister"
und dem Erzherzog Ludwig, der in allen Collisionsfällen die entscheidende
Stimme hatte. Da er im Princip ganz mit dem verstorbenen Kaiser überein¬
kam. blieb im Wesentlichen der Gang der Negierungsmaschine ungeändert,


von jeher nicht abhold war. und der bei vorkommender Gelegenheit wol geneigt sein mochte
die Einführung dieser Grundsähc zu befördern. Bei dem hohen Adel würde er keine Unter-
stüjznug finde"; ebenso wenig bei dem gemeine" Mann, der gegen die Angestellten, die ihn
oft mit Uebermuth beHandel", im Ganzen die bittersten Emvfmdunge" im Herzen trägt, El/
möchte jeuer Haß gegen die allzuzahlrcichen Beamten bedenkliche Ahnungen hervorrufe"-"

Der Necurszug war durch alle Instanzen offen. In rein administrativen
Dingen konnte man sich von der Entscheidung der Ortsbehörde an das Kreis¬
amt, vom Kreisamt an die Landesstelle, von der Landesstelle an die Hofstelle, von
der Hofstelle an den Kaiser wenden. Fand dieser sich veranlaßt, die Beschwerde zu
signiren d. h. behufs seiner eignen Entscheidung Aufklärung zu begehren,
1o ging sie wieder die ganze Stufenleiter der Behörden hinab, behufs der Bei¬
legung sämmtlicher Acten oder auch neuer Erhebungen; und dann wieder bis zum
Thron herauf, um endlich mit der kaiserlichen Schlußfassung denselben Weg
zurückzunehmen. Metternich selbst sah ein, daß mittelst dieser Staatsmaschine
gar nicht regiert würde, und daß in diesem Nichtregieren das Hauptübel des
Staats liege. Aber die legislativen Arbeiten wurden in eine Masse divergi-
render Anträge zersplittert, welche im Centrum der Entscheidung, die Uebersicht
erschwerten, und da auch hier kein leitender Gedanke vorherrschte, so blieben
die durchdachtesten Vorschläge in den Archiven aller Verwaltungsbehörden ein¬
gesargt.

Als Kaiser Franz, 2. März 1835 starb, hinterließ er ein politisches
Testament, in welchem er seinen Nachfolger ermahnte, sich in keiner Weise auf
Veränderungen einzulassen und ohne den Fürsten Metternich nichts zu unter¬
nehmen. Ferdinand folgte den Rathschlägen seines Vaters; neben Metter-
nich blieb um der Negierung hauptsächlich sein Rival Graf Kollowrat,
ein vornehmer Aristokrat, der dem Staat umsonst diente, die innern Angelegen¬
heiten leitete, und sich ebenso zu fügen wußte als Metternich. und der mil>
liebigste aller Minister, Sedlnitzki, der allmächtige Chef der Polizei, betheiligt-
Der neue Kaiser, geb. 1793, zeichnete sich durch eine seltene, man kann sagen
rührende Herzensgüte aus; leider war seine Gesundheit seit 1829 durch epi¬
leptische Zufälle angegriffen, die auch auf seine Geisteskräfte sehr nachtheilig
einwirkten. Da nun sein Wohlwollen vielfältig gemißbraucht wurde, indem
man ihm in unbewachten Augenblicken seine Namensunterschrift ablockte,
mußte ein Weg gesunden werden, die entscheidende Stelle in der Regierung
ans eine ordnungsmäßige Weise zu ergänzen. Nach sehr lebhaften Kämpfe»
zwischen Metternich und Kollowrat einigte man sich endlich Dec. 1836 übe»'
die Bildung einer Staatsconscrenz, bestehend aus jenen beiden Minister"
und dem Erzherzog Ludwig, der in allen Collisionsfällen die entscheidende
Stimme hatte. Da er im Princip ganz mit dem verstorbenen Kaiser überein¬
kam. blieb im Wesentlichen der Gang der Negierungsmaschine ungeändert,


von jeher nicht abhold war. und der bei vorkommender Gelegenheit wol geneigt sein mochte
die Einführung dieser Grundsähc zu befördern. Bei dem hohen Adel würde er keine Unter-
stüjznug finde»; ebenso wenig bei dem gemeine» Mann, der gegen die Angestellten, die ihn
oft mit Uebermuth beHandel», im Ganzen die bittersten Emvfmdunge» im Herzen trägt, El/
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[0138] Der Necurszug war durch alle Instanzen offen. In rein administrativen Dingen konnte man sich von der Entscheidung der Ortsbehörde an das Kreis¬ amt, vom Kreisamt an die Landesstelle, von der Landesstelle an die Hofstelle, von der Hofstelle an den Kaiser wenden. Fand dieser sich veranlaßt, die Beschwerde zu signiren d. h. behufs seiner eignen Entscheidung Aufklärung zu begehren, 1o ging sie wieder die ganze Stufenleiter der Behörden hinab, behufs der Bei¬ legung sämmtlicher Acten oder auch neuer Erhebungen; und dann wieder bis zum Thron herauf, um endlich mit der kaiserlichen Schlußfassung denselben Weg zurückzunehmen. Metternich selbst sah ein, daß mittelst dieser Staatsmaschine gar nicht regiert würde, und daß in diesem Nichtregieren das Hauptübel des Staats liege. Aber die legislativen Arbeiten wurden in eine Masse divergi- render Anträge zersplittert, welche im Centrum der Entscheidung, die Uebersicht erschwerten, und da auch hier kein leitender Gedanke vorherrschte, so blieben die durchdachtesten Vorschläge in den Archiven aller Verwaltungsbehörden ein¬ gesargt. Als Kaiser Franz, 2. März 1835 starb, hinterließ er ein politisches Testament, in welchem er seinen Nachfolger ermahnte, sich in keiner Weise auf Veränderungen einzulassen und ohne den Fürsten Metternich nichts zu unter¬ nehmen. Ferdinand folgte den Rathschlägen seines Vaters; neben Metter- nich blieb um der Negierung hauptsächlich sein Rival Graf Kollowrat, ein vornehmer Aristokrat, der dem Staat umsonst diente, die innern Angelegen¬ heiten leitete, und sich ebenso zu fügen wußte als Metternich. und der mil> liebigste aller Minister, Sedlnitzki, der allmächtige Chef der Polizei, betheiligt- Der neue Kaiser, geb. 1793, zeichnete sich durch eine seltene, man kann sagen rührende Herzensgüte aus; leider war seine Gesundheit seit 1829 durch epi¬ leptische Zufälle angegriffen, die auch auf seine Geisteskräfte sehr nachtheilig einwirkten. Da nun sein Wohlwollen vielfältig gemißbraucht wurde, indem man ihm in unbewachten Augenblicken seine Namensunterschrift ablockte, mußte ein Weg gesunden werden, die entscheidende Stelle in der Regierung ans eine ordnungsmäßige Weise zu ergänzen. Nach sehr lebhaften Kämpfe» zwischen Metternich und Kollowrat einigte man sich endlich Dec. 1836 übe»' die Bildung einer Staatsconscrenz, bestehend aus jenen beiden Minister" und dem Erzherzog Ludwig, der in allen Collisionsfällen die entscheidende Stimme hatte. Da er im Princip ganz mit dem verstorbenen Kaiser überein¬ kam. blieb im Wesentlichen der Gang der Negierungsmaschine ungeändert, von jeher nicht abhold war. und der bei vorkommender Gelegenheit wol geneigt sein mochte die Einführung dieser Grundsähc zu befördern. Bei dem hohen Adel würde er keine Unter- stüjznug finde»; ebenso wenig bei dem gemeine» Mann, der gegen die Angestellten, die ihn oft mit Uebermuth beHandel», im Ganzen die bittersten Emvfmdunge» im Herzen trägt, El/ möchte jeuer Haß gegen die allzuzahlrcichen Beamten bedenkliche Ahnungen hervorrufe»-"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/138>, abgerufen am 28.08.2024.