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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Angesichts ihre beste Kraft in den kleinlichsten Vorschriften aller Art, die dann
doch großentheils nicht gehandhabt wurden und unbeachtet blieben, oder gar
Spott und Murren erregten. -- Der Regierungsorganismus begriff das bunte
und weite Getriebe eng unter sich verschlungener Aemter und Behörden, die
nach verschiedenen Seiten hin in die Leitung der innern Angelegenheiten ein-
griffen. Neben dem Staatsrath und den Ministerialconferenzcn standen
sieben Hofstellen, die collegialisch eingerichtet waren und nach Stimmenmehr¬
heit entschieden; doch konnte durch den Präsidenten die Entscheidung des Kolle¬
giums umgangen und die des Kaisers unmittelbar eingeholt werden. Später
stellte Kaiser Franz den persönlichen Verkehr mit den Chefs der Hofstellen mehr
und mehr ab, ließ sich alles schriftlich vorlegen und zog nur nach Belieben
bald diesen bald jenen Conferenzrath zu Rathe. So sanken die Hofstcllen zu
bloßen Verwaltungsbehörden herab, und jede bewegte sich in ihrem Kreise,
ohne Rücksicht auf die Bewegung der andern. Ebenso zerfiel der Staatsrath
w seine Sectionen. Die Idee des Gesammtstaatsraths war einzig und allein
in der Person des Kaisers vertreten; nur er konnte alles wissen; nur er konnte
die Anträge der verschiedenen Hofstellen und die Gutachten der verschiedenen
Staatsrathsscctionen vermitteln, wenn sie untereinander abwichen oder gar
unverträglich waren. Der Kaiser sollte und wollte alles sein und alles allein
sein, und das war selbst für die größte Kapacität zu viel.

Die seltsamen Abgrenzungen in den Competenzen der Hofstellen führten
5" einer mehr als peinlichen Ueberwachung ihrer Protokolle durch den Kaiser.
Die Weise der allerhöchsten Handbillete war vollends darnach angethan, die
Hofstellen scheu und unsicher in ihrer Haltung zu machen. Weil es mit der
absoluten Herrschergewalt uicht für verträglich erachtet wurde, Rechenschaft
über die Motive eines kaiserlichen Beschlusses zu geben, so wußten die Hof-
stellen in allen Fällen, wo ihre Anträge gar nicht oder nur mit Abänderungen
angenommen wurden, nicht den Grund der Verwerfung oder Amendirung.
Und waren auf die Vollziehung dessen beschränkt. waS ihnen in dem todten
Buchstaben des Befehls zu liegen schien. Mißverständnisse, Gleichgiltigkeit
Segen die Folgen der Ausführung, Kränkung des Selbstgefühls, ja manch¬
mal Schadenfreude über den nicht günstigen Erfolg eines gegen ihren An-
^ag an sie gelangten unmotivirten Entschlusses blieben nicht aus, so daß oft
^ Hofstcllen in moralischer Opposition gegen ihren Herrn standen. -- Von
alter Zeit her war das Volk gewohnt, jede väterliche Fürsorge für sein Wohl
dem geliebten Herrscher. jede mißliebige Maßregel dagegen den Ministern und
denjenigen Beamten beizumessen, mit denen es in unmittelbare Berührung
kam.')



') ..Die Beamten, heißt es in einem handschriftlichen Bericht jener Zeit, bilden in Bos-
°n und den deutschen Provinzen den einzigen Stand, der den Grundsätzen der Revolution

Angesichts ihre beste Kraft in den kleinlichsten Vorschriften aller Art, die dann
doch großentheils nicht gehandhabt wurden und unbeachtet blieben, oder gar
Spott und Murren erregten. — Der Regierungsorganismus begriff das bunte
und weite Getriebe eng unter sich verschlungener Aemter und Behörden, die
nach verschiedenen Seiten hin in die Leitung der innern Angelegenheiten ein-
griffen. Neben dem Staatsrath und den Ministerialconferenzcn standen
sieben Hofstellen, die collegialisch eingerichtet waren und nach Stimmenmehr¬
heit entschieden; doch konnte durch den Präsidenten die Entscheidung des Kolle¬
giums umgangen und die des Kaisers unmittelbar eingeholt werden. Später
stellte Kaiser Franz den persönlichen Verkehr mit den Chefs der Hofstellen mehr
und mehr ab, ließ sich alles schriftlich vorlegen und zog nur nach Belieben
bald diesen bald jenen Conferenzrath zu Rathe. So sanken die Hofstcllen zu
bloßen Verwaltungsbehörden herab, und jede bewegte sich in ihrem Kreise,
ohne Rücksicht auf die Bewegung der andern. Ebenso zerfiel der Staatsrath
w seine Sectionen. Die Idee des Gesammtstaatsraths war einzig und allein
in der Person des Kaisers vertreten; nur er konnte alles wissen; nur er konnte
die Anträge der verschiedenen Hofstellen und die Gutachten der verschiedenen
Staatsrathsscctionen vermitteln, wenn sie untereinander abwichen oder gar
unverträglich waren. Der Kaiser sollte und wollte alles sein und alles allein
sein, und das war selbst für die größte Kapacität zu viel.

Die seltsamen Abgrenzungen in den Competenzen der Hofstellen führten
5» einer mehr als peinlichen Ueberwachung ihrer Protokolle durch den Kaiser.
Die Weise der allerhöchsten Handbillete war vollends darnach angethan, die
Hofstellen scheu und unsicher in ihrer Haltung zu machen. Weil es mit der
absoluten Herrschergewalt uicht für verträglich erachtet wurde, Rechenschaft
über die Motive eines kaiserlichen Beschlusses zu geben, so wußten die Hof-
stellen in allen Fällen, wo ihre Anträge gar nicht oder nur mit Abänderungen
angenommen wurden, nicht den Grund der Verwerfung oder Amendirung.
Und waren auf die Vollziehung dessen beschränkt. waS ihnen in dem todten
Buchstaben des Befehls zu liegen schien. Mißverständnisse, Gleichgiltigkeit
Segen die Folgen der Ausführung, Kränkung des Selbstgefühls, ja manch¬
mal Schadenfreude über den nicht günstigen Erfolg eines gegen ihren An-
^ag an sie gelangten unmotivirten Entschlusses blieben nicht aus, so daß oft
^ Hofstcllen in moralischer Opposition gegen ihren Herrn standen. — Von
alter Zeit her war das Volk gewohnt, jede väterliche Fürsorge für sein Wohl
dem geliebten Herrscher. jede mißliebige Maßregel dagegen den Ministern und
denjenigen Beamten beizumessen, mit denen es in unmittelbare Berührung
kam.')



') ..Die Beamten, heißt es in einem handschriftlichen Bericht jener Zeit, bilden in Bos-
°n und den deutschen Provinzen den einzigen Stand, der den Grundsätzen der Revolution
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[0137] Angesichts ihre beste Kraft in den kleinlichsten Vorschriften aller Art, die dann doch großentheils nicht gehandhabt wurden und unbeachtet blieben, oder gar Spott und Murren erregten. — Der Regierungsorganismus begriff das bunte und weite Getriebe eng unter sich verschlungener Aemter und Behörden, die nach verschiedenen Seiten hin in die Leitung der innern Angelegenheiten ein- griffen. Neben dem Staatsrath und den Ministerialconferenzcn standen sieben Hofstellen, die collegialisch eingerichtet waren und nach Stimmenmehr¬ heit entschieden; doch konnte durch den Präsidenten die Entscheidung des Kolle¬ giums umgangen und die des Kaisers unmittelbar eingeholt werden. Später stellte Kaiser Franz den persönlichen Verkehr mit den Chefs der Hofstellen mehr und mehr ab, ließ sich alles schriftlich vorlegen und zog nur nach Belieben bald diesen bald jenen Conferenzrath zu Rathe. So sanken die Hofstcllen zu bloßen Verwaltungsbehörden herab, und jede bewegte sich in ihrem Kreise, ohne Rücksicht auf die Bewegung der andern. Ebenso zerfiel der Staatsrath w seine Sectionen. Die Idee des Gesammtstaatsraths war einzig und allein in der Person des Kaisers vertreten; nur er konnte alles wissen; nur er konnte die Anträge der verschiedenen Hofstellen und die Gutachten der verschiedenen Staatsrathsscctionen vermitteln, wenn sie untereinander abwichen oder gar unverträglich waren. Der Kaiser sollte und wollte alles sein und alles allein sein, und das war selbst für die größte Kapacität zu viel. Die seltsamen Abgrenzungen in den Competenzen der Hofstellen führten 5» einer mehr als peinlichen Ueberwachung ihrer Protokolle durch den Kaiser. Die Weise der allerhöchsten Handbillete war vollends darnach angethan, die Hofstellen scheu und unsicher in ihrer Haltung zu machen. Weil es mit der absoluten Herrschergewalt uicht für verträglich erachtet wurde, Rechenschaft über die Motive eines kaiserlichen Beschlusses zu geben, so wußten die Hof- stellen in allen Fällen, wo ihre Anträge gar nicht oder nur mit Abänderungen angenommen wurden, nicht den Grund der Verwerfung oder Amendirung. Und waren auf die Vollziehung dessen beschränkt. waS ihnen in dem todten Buchstaben des Befehls zu liegen schien. Mißverständnisse, Gleichgiltigkeit Segen die Folgen der Ausführung, Kränkung des Selbstgefühls, ja manch¬ mal Schadenfreude über den nicht günstigen Erfolg eines gegen ihren An- ^ag an sie gelangten unmotivirten Entschlusses blieben nicht aus, so daß oft ^ Hofstcllen in moralischer Opposition gegen ihren Herrn standen. — Von alter Zeit her war das Volk gewohnt, jede väterliche Fürsorge für sein Wohl dem geliebten Herrscher. jede mißliebige Maßregel dagegen den Ministern und denjenigen Beamten beizumessen, mit denen es in unmittelbare Berührung kam.') ') ..Die Beamten, heißt es in einem handschriftlichen Bericht jener Zeit, bilden in Bos- °n und den deutschen Provinzen den einzigen Stand, der den Grundsätzen der Revolution

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/137>, abgerufen am 24.07.2024.