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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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kein. hieß nach seinem System. Oestreichs Integrität in Frage stellen. Als
Diplomat von Fach übertrug er alle Gesichtspunkte seiner auswärtigen Politik
auf die innere: er betrachtete die Parteien im Verhältniß zur Staatsgewalt
ebenso als rivalisirendc Mächte wie die auswärtigen Staaten. Wie jeder
Krieg in Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf Oestreichs
Machtstellung, so wurde jede revolutionäre Bewegung auf irgend einem Punkt
von Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf die Regierungs-
gewalt in Oestreich betrachtet. Mettemich war nicht eigentlich Absolutist wie
sein Herr, sondern nur conservativ. Er spricht sich selbst in einem Brief da¬
hin aus: "Das Ziel in unsern Zeiten ist nichts mehr und nichts weniger
als die Aufrechthaltung dessen, was vorhanden ist; darunter verstehn wir nicht
nur die alte Ordnung der Dinge, sondern auch alle neuen gesetzlich geschafft¬
en Institutionen. Die Rückkehr vom Neuen zu dem, was nicht mehr vor¬
handen, ist mit ebenso viel Gefahr verbunden als der Uebergang vom Alten
Ma Neuen, beides kann den Ausbruch von Unruhen herbeiführen, welche um
jeden Preis zu vermeiden sind." So unternahm die Negierung zu seiner Zeit
niemals. die doch sehr unbequemen Freiheiten Ungarns zu beeinträchtigen.

Allein der conseauenten Durchführung seines künstlichen Friedenssystems
Kar seine eigene Friedensliebe hinderlich. Dem russischen Eroberungszug in
der Türkei von 1829 setzte er sehr geistvolle Doctrinen -- wie er denn über¬
haupt gern über sein System sich vernehmen ließ -- aber keine Thaten ent¬
gegen. Ebenso war es mit der Julirevolution. Schmidt theilt über diese
Periode einige sehr bemerkenswerthe Depeschen des schweizer Bevollmächtigten
'"it. Kaiser Nikolaus war im Anfang zu strengen Maßregeln geneigt; seine
Gereiztheit war "hauptsächlich durch die bittern Gefühle veranlaßt worden,
welche die zu Anfang des Sommers in Sebnstopol ausgebrochene Verschwö¬
rung in seinem Gemüth zurückgelassen hatte, eine Jnsurrection. die mit einiger
Mühe gedämpft wurde und tiefere Wurzeln gefaßt zu haben scheint, als man
Ausland überhaupt ahnte." Metternich ging in der Anerkennung des
neuen gesetzlichen Zustandes in Frankreich den übrigen Mächten voran, weil
^e Legitimität des Thrones nur "bis an die Grenzen der Möglichkeit" zu
vertheidigen sei. Dies war fortan sein Stichwort. Als nach der polnischen
Jnsurrection Kaiser Nikolaus den constitutionellen Staat Polen dem russischen
Absolutismus einverleibte, und damit ein russisches Heer hart an die offene
östreichische Grenze führte, ließ es sich Metternich in mürrischem Schweigen
^fallen.

Warschau war eben gefallen, als Ludwig Napoleon, dessen Entwürfe
Italien gescheitert waren, auf sächsischem Gebiet auf einer Reise nach Po-
^n begriffen war. Ueber die Umtriebe des Vonapartismus. die sich in jener
noch an die Person des Herzogs von Reichstadt knüpften, gibt die schwei-


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kein. hieß nach seinem System. Oestreichs Integrität in Frage stellen. Als
Diplomat von Fach übertrug er alle Gesichtspunkte seiner auswärtigen Politik
auf die innere: er betrachtete die Parteien im Verhältniß zur Staatsgewalt
ebenso als rivalisirendc Mächte wie die auswärtigen Staaten. Wie jeder
Krieg in Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf Oestreichs
Machtstellung, so wurde jede revolutionäre Bewegung auf irgend einem Punkt
von Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf die Regierungs-
gewalt in Oestreich betrachtet. Mettemich war nicht eigentlich Absolutist wie
sein Herr, sondern nur conservativ. Er spricht sich selbst in einem Brief da¬
hin aus: „Das Ziel in unsern Zeiten ist nichts mehr und nichts weniger
als die Aufrechthaltung dessen, was vorhanden ist; darunter verstehn wir nicht
nur die alte Ordnung der Dinge, sondern auch alle neuen gesetzlich geschafft¬
en Institutionen. Die Rückkehr vom Neuen zu dem, was nicht mehr vor¬
handen, ist mit ebenso viel Gefahr verbunden als der Uebergang vom Alten
Ma Neuen, beides kann den Ausbruch von Unruhen herbeiführen, welche um
jeden Preis zu vermeiden sind." So unternahm die Negierung zu seiner Zeit
niemals. die doch sehr unbequemen Freiheiten Ungarns zu beeinträchtigen.

Allein der conseauenten Durchführung seines künstlichen Friedenssystems
Kar seine eigene Friedensliebe hinderlich. Dem russischen Eroberungszug in
der Türkei von 1829 setzte er sehr geistvolle Doctrinen — wie er denn über¬
haupt gern über sein System sich vernehmen ließ — aber keine Thaten ent¬
gegen. Ebenso war es mit der Julirevolution. Schmidt theilt über diese
Periode einige sehr bemerkenswerthe Depeschen des schweizer Bevollmächtigten
'"it. Kaiser Nikolaus war im Anfang zu strengen Maßregeln geneigt; seine
Gereiztheit war „hauptsächlich durch die bittern Gefühle veranlaßt worden,
welche die zu Anfang des Sommers in Sebnstopol ausgebrochene Verschwö¬
rung in seinem Gemüth zurückgelassen hatte, eine Jnsurrection. die mit einiger
Mühe gedämpft wurde und tiefere Wurzeln gefaßt zu haben scheint, als man
Ausland überhaupt ahnte." Metternich ging in der Anerkennung des
neuen gesetzlichen Zustandes in Frankreich den übrigen Mächten voran, weil
^e Legitimität des Thrones nur „bis an die Grenzen der Möglichkeit" zu
vertheidigen sei. Dies war fortan sein Stichwort. Als nach der polnischen
Jnsurrection Kaiser Nikolaus den constitutionellen Staat Polen dem russischen
Absolutismus einverleibte, und damit ein russisches Heer hart an die offene
östreichische Grenze führte, ließ es sich Metternich in mürrischem Schweigen
^fallen.

Warschau war eben gefallen, als Ludwig Napoleon, dessen Entwürfe
Italien gescheitert waren, auf sächsischem Gebiet auf einer Reise nach Po-
^n begriffen war. Ueber die Umtriebe des Vonapartismus. die sich in jener
noch an die Person des Herzogs von Reichstadt knüpften, gibt die schwei-


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[0133] kein. hieß nach seinem System. Oestreichs Integrität in Frage stellen. Als Diplomat von Fach übertrug er alle Gesichtspunkte seiner auswärtigen Politik auf die innere: er betrachtete die Parteien im Verhältniß zur Staatsgewalt ebenso als rivalisirendc Mächte wie die auswärtigen Staaten. Wie jeder Krieg in Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf Oestreichs Machtstellung, so wurde jede revolutionäre Bewegung auf irgend einem Punkt von Europa als ein wenn auch nur indirecter Angriff auf die Regierungs- gewalt in Oestreich betrachtet. Mettemich war nicht eigentlich Absolutist wie sein Herr, sondern nur conservativ. Er spricht sich selbst in einem Brief da¬ hin aus: „Das Ziel in unsern Zeiten ist nichts mehr und nichts weniger als die Aufrechthaltung dessen, was vorhanden ist; darunter verstehn wir nicht nur die alte Ordnung der Dinge, sondern auch alle neuen gesetzlich geschafft¬ en Institutionen. Die Rückkehr vom Neuen zu dem, was nicht mehr vor¬ handen, ist mit ebenso viel Gefahr verbunden als der Uebergang vom Alten Ma Neuen, beides kann den Ausbruch von Unruhen herbeiführen, welche um jeden Preis zu vermeiden sind." So unternahm die Negierung zu seiner Zeit niemals. die doch sehr unbequemen Freiheiten Ungarns zu beeinträchtigen. Allein der conseauenten Durchführung seines künstlichen Friedenssystems Kar seine eigene Friedensliebe hinderlich. Dem russischen Eroberungszug in der Türkei von 1829 setzte er sehr geistvolle Doctrinen — wie er denn über¬ haupt gern über sein System sich vernehmen ließ — aber keine Thaten ent¬ gegen. Ebenso war es mit der Julirevolution. Schmidt theilt über diese Periode einige sehr bemerkenswerthe Depeschen des schweizer Bevollmächtigten '"it. Kaiser Nikolaus war im Anfang zu strengen Maßregeln geneigt; seine Gereiztheit war „hauptsächlich durch die bittern Gefühle veranlaßt worden, welche die zu Anfang des Sommers in Sebnstopol ausgebrochene Verschwö¬ rung in seinem Gemüth zurückgelassen hatte, eine Jnsurrection. die mit einiger Mühe gedämpft wurde und tiefere Wurzeln gefaßt zu haben scheint, als man Ausland überhaupt ahnte." Metternich ging in der Anerkennung des neuen gesetzlichen Zustandes in Frankreich den übrigen Mächten voran, weil ^e Legitimität des Thrones nur „bis an die Grenzen der Möglichkeit" zu vertheidigen sei. Dies war fortan sein Stichwort. Als nach der polnischen Jnsurrection Kaiser Nikolaus den constitutionellen Staat Polen dem russischen Absolutismus einverleibte, und damit ein russisches Heer hart an die offene östreichische Grenze führte, ließ es sich Metternich in mürrischem Schweigen ^fallen. Warschau war eben gefallen, als Ludwig Napoleon, dessen Entwürfe Italien gescheitert waren, auf sächsischem Gebiet auf einer Reise nach Po- ^n begriffen war. Ueber die Umtriebe des Vonapartismus. die sich in jener noch an die Person des Herzogs von Reichstadt knüpften, gibt die schwei- 16'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/133>, abgerufen am 24.07.2024.