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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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widerlich zu werden, und daß sie in selbstgefälliger Verblendung davon keine
Ahnung hatte, mußte eine Katastrophe beschleunigen. Und es geHort kein
großer Scharfsinn dazu, den wahrscheinlichen Verlauf dieser Katastrophe zu
erkennen. Ein offner und versteckter Kampf gegen die Privilegien, welche dem
Adel in Deutschland geblieben sind, gegen die leidige Hoffähigkcit, gegen die
adligen Orden. Stifter und Korporationen, gegen die sogenannten adligen
Offiziercorps, drohte zunächst in Literatur und Tagespreise, bald aus der Tri¬
büne aufzulodern; seine Konsequenz wurde eine neue Demokratie, furchtbarer,
weil besser berechtigt, als die alte, und mit ihr kam ein neuer Streit in das
Leben des Staates, ein Kampf der Stände, der gefährlichste, der uns Preußen
zu Theil werden kann, in dem die wildesten Leidenschaften, der grimmigste
Haß sich zusammenzieht, der uns alle in Gefahr setzte, dem trüben Gewirr
revolutionärer Forderungen zu verfallen und der, einmal entbrannt, am Ende
damit enden mußte, wie er überall geendigt hat, daß die Minderzahl zu Boden
geworfen und grausam vernichtet wird. --

Vor solchem langen Leiden hat uns das neue Ministerium gerettet, das
schon in den Personen seiner neuen Mitglieder die Versöhnung zwischen Adel
und Volk ausdrückt. Die neuen Minister gehören sämmtlich dem preußischen
Adel an. und haben sämmtlich im Kampfe gegen das Junkerthum da gestan¬
den, wo preußische Ehre und die Interessen der Nation hinwiesen. Fortan ver¬
mögen wir ohne Schamröthe anzusehn, wenn ein preußischer Landrath aus
der Zeit Westfalens das Bild des Kaiser Nikolaus. -- sein Partei¬
zeichen -- an der Uhrkette trägt und an das Armband seiner Frau hängt.
Und wenn vornehme Damen in Berlin ihre Fenster verhängen sollten, um
nichtmehr aufdieWohnungen"demokratischer"Minister sehn zu dürfen, so wollen
wir solche Strenge resignirt. aber gemüthlich ertragen, seit ihren Freunden
die Fähigkeit genommen ist. durch einen gefälligen Beamten Bürgerrechte und
persönliche Freiheit der einzelnen Staatsangehörigen zu beeinträchtigen.

Der letzte Grund aber, welcher die neue Ministerwahl des Regenten
dem Volke so lieb gemacht hat. ist echt deutsch, und er vermag über manches Un¬
sichere zu beruhigen. Die neuen Minister sind politisch rein und makellos,
und in ihrem Privatleben als gute und feinfühlende Männer längst verehrt.
Daß der Prinzregent aus dem Kreise derer, die ihm persönlich werth waren,
vorzugsweise nach solcher Rücksicht gewählt hat, das ist ein deutliches Zeichen,
wie gut er verstanden hat, worauf es im Staat jetzt vor allem ankomme.

Freilich beginnen die größten Schwierigkeiten ihrer Lage erst, seit die
Kammerwahlen bewiesen haben, wie richtig auch das Volk seine und ihre
Situation virsteht. Zwar ist schon ihre Existenz eine rettende That,
aber diese That ist das Verdienst des Fürsten, der sie berief. Sie selbst
haben sich den Dank des Volkes erst zu verdienen. Und grade die Art, wie sie


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widerlich zu werden, und daß sie in selbstgefälliger Verblendung davon keine
Ahnung hatte, mußte eine Katastrophe beschleunigen. Und es geHort kein
großer Scharfsinn dazu, den wahrscheinlichen Verlauf dieser Katastrophe zu
erkennen. Ein offner und versteckter Kampf gegen die Privilegien, welche dem
Adel in Deutschland geblieben sind, gegen die leidige Hoffähigkcit, gegen die
adligen Orden. Stifter und Korporationen, gegen die sogenannten adligen
Offiziercorps, drohte zunächst in Literatur und Tagespreise, bald aus der Tri¬
büne aufzulodern; seine Konsequenz wurde eine neue Demokratie, furchtbarer,
weil besser berechtigt, als die alte, und mit ihr kam ein neuer Streit in das
Leben des Staates, ein Kampf der Stände, der gefährlichste, der uns Preußen
zu Theil werden kann, in dem die wildesten Leidenschaften, der grimmigste
Haß sich zusammenzieht, der uns alle in Gefahr setzte, dem trüben Gewirr
revolutionärer Forderungen zu verfallen und der, einmal entbrannt, am Ende
damit enden mußte, wie er überall geendigt hat, daß die Minderzahl zu Boden
geworfen und grausam vernichtet wird. —

Vor solchem langen Leiden hat uns das neue Ministerium gerettet, das
schon in den Personen seiner neuen Mitglieder die Versöhnung zwischen Adel
und Volk ausdrückt. Die neuen Minister gehören sämmtlich dem preußischen
Adel an. und haben sämmtlich im Kampfe gegen das Junkerthum da gestan¬
den, wo preußische Ehre und die Interessen der Nation hinwiesen. Fortan ver¬
mögen wir ohne Schamröthe anzusehn, wenn ein preußischer Landrath aus
der Zeit Westfalens das Bild des Kaiser Nikolaus. — sein Partei¬
zeichen — an der Uhrkette trägt und an das Armband seiner Frau hängt.
Und wenn vornehme Damen in Berlin ihre Fenster verhängen sollten, um
nichtmehr aufdieWohnungen„demokratischer"Minister sehn zu dürfen, so wollen
wir solche Strenge resignirt. aber gemüthlich ertragen, seit ihren Freunden
die Fähigkeit genommen ist. durch einen gefälligen Beamten Bürgerrechte und
persönliche Freiheit der einzelnen Staatsangehörigen zu beeinträchtigen.

Der letzte Grund aber, welcher die neue Ministerwahl des Regenten
dem Volke so lieb gemacht hat. ist echt deutsch, und er vermag über manches Un¬
sichere zu beruhigen. Die neuen Minister sind politisch rein und makellos,
und in ihrem Privatleben als gute und feinfühlende Männer längst verehrt.
Daß der Prinzregent aus dem Kreise derer, die ihm persönlich werth waren,
vorzugsweise nach solcher Rücksicht gewählt hat, das ist ein deutliches Zeichen,
wie gut er verstanden hat, worauf es im Staat jetzt vor allem ankomme.

Freilich beginnen die größten Schwierigkeiten ihrer Lage erst, seit die
Kammerwahlen bewiesen haben, wie richtig auch das Volk seine und ihre
Situation virsteht. Zwar ist schon ihre Existenz eine rettende That,
aber diese That ist das Verdienst des Fürsten, der sie berief. Sie selbst
haben sich den Dank des Volkes erst zu verdienen. Und grade die Art, wie sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/13>, abgerufen am 24.07.2024.