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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Seit den ersten Anlaufen zum parlamentarischen Wesen in Preußen, also seit
dem Vereinigten Landtag von 186-7, ist keine Landesvertretung mit einem so ent¬
gegenkommenden Vertrauen des Volks begrüßt worden, als die gegenwärtige. Zu
andern Perioden -- 1847 und 1848 -- war die Hoffnung und Erwartung ge¬
spannter, aber sie war mit Unruhe und Mißtrauen zersetzt, die Zustände selbst waren
problematisch und das Volk sah sich einer in gewissem Sinn fremdartigen Macht
gegenüber, die es zu prüfen noch keine Gelegenheit gehabt. Die Majorität der
Mutigen Kammer hat bereits eine ausgeprägte Physiognomie, man weiß ziemlich
genau, was und wie viel man von ihr zu erwarten hat; und die Veränderungen
>n der Regierungssphärc haben eine so allgemeine Zufriedenheit hervorgerufen, daß
selbst Me gerechten Wünsche mit Geduld und Mäßigung überkleidet sind.

Es ist das sür die Wirksamkeit des Landtags eine höchst günstige Vorciussetzuug;
'udcß sind auch einige Umstände vorhanden, die seine Aufgabe erschweren. Auf
diese gleich von vornherein hinzuweisen, scheint uns um so nöthiger, da nichts die
politische Entwickelung so stört, als eine sanguinische Stimmung, der die Enttäu¬
schung folgt.

Zunächst müssen wirnocheinmal aufcincnPunkt kommen, den wirschonvor einigen
lochen erwähnt haben, der aber viel böses Blut machen wird, obgleich -- oder
weil er blos die Form betrifft. Wir meinen die Sprachverwirrung in Bezug aus
Rechts und Links. Der Landtag verliert dadurch sehr an Popularität, denn populär
^ nur, was dem Volk in handgreiflicher Bestimmtheit entgegentritt. Was bis jetzt
rechts und links war, hatte es sich ganz wohl gemerkt; nun soll es seine Vorstel¬
lungen plötzlich umschmelzen; und warum? Es ist wieder der leidige Nachahmungs¬
trieb der Deutschen ; sollen wir etwa von den Engländern auch die Sitte annehmen,
aß eine Erbschaft den Namen verändert? daß bei dem Todesfall eines Verwandten
^"s Lytton Bulwer ein Bulwer Lytton wird, aus Lord Stanley ein Lord Derby?
^'r Deutsche sind einmal gewöhnt, uns bei einem Namen, auch eine bestimmte
P"son zu denken, und unser Gemüth hält den Namen fest. wie die Person. Weil
wir die Männer lieb haben, wollen wir auch die Namen Vincke, Schwerin u. s. w.
'"behalten, und weil wir links nicht unrühmlich den Uebergriffe'n des Feudalismus
U"d des Polizciregimcnrs Widerstand geleistet haben, wollen wir links bleiben. Dem
"d kostet es einige Mühe, rechts und links zu unterscheiden; warum will man
"us wieder in die politische Kinderstube schicken? -- Und es liegt noch mehr darin,
cum wir aus einmal die ministerielle Partei sein sollen, so macht man das Mini¬
mum für das verantwortlich, was wir sagen (es geschieht ohnehin schon mehr
genug!), und uns macht man für das verantwortlich, was das Ministerium
Me und nicht thut. Es wird sür beide Theile bequemer und wahrer sein, wenn
ir unabhängig bleiben. Bis jetzt wjssen wir von dem, was das Ministerium
">le und will, nur durch das Organ der "Preußischen Zeitung", und ob man
Un die Grundsätze-derselben für richtig oder unrichtig hält, jedenfalls sind es nicht


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Von der preußischen Grenze.

Seit den ersten Anlaufen zum parlamentarischen Wesen in Preußen, also seit
dem Vereinigten Landtag von 186-7, ist keine Landesvertretung mit einem so ent¬
gegenkommenden Vertrauen des Volks begrüßt worden, als die gegenwärtige. Zu
andern Perioden — 1847 und 1848 — war die Hoffnung und Erwartung ge¬
spannter, aber sie war mit Unruhe und Mißtrauen zersetzt, die Zustände selbst waren
problematisch und das Volk sah sich einer in gewissem Sinn fremdartigen Macht
gegenüber, die es zu prüfen noch keine Gelegenheit gehabt. Die Majorität der
Mutigen Kammer hat bereits eine ausgeprägte Physiognomie, man weiß ziemlich
genau, was und wie viel man von ihr zu erwarten hat; und die Veränderungen
>n der Regierungssphärc haben eine so allgemeine Zufriedenheit hervorgerufen, daß
selbst Me gerechten Wünsche mit Geduld und Mäßigung überkleidet sind.

Es ist das sür die Wirksamkeit des Landtags eine höchst günstige Vorciussetzuug;
'udcß sind auch einige Umstände vorhanden, die seine Aufgabe erschweren. Auf
diese gleich von vornherein hinzuweisen, scheint uns um so nöthiger, da nichts die
politische Entwickelung so stört, als eine sanguinische Stimmung, der die Enttäu¬
schung folgt.

Zunächst müssen wirnocheinmal aufcincnPunkt kommen, den wirschonvor einigen
lochen erwähnt haben, der aber viel böses Blut machen wird, obgleich — oder
weil er blos die Form betrifft. Wir meinen die Sprachverwirrung in Bezug aus
Rechts und Links. Der Landtag verliert dadurch sehr an Popularität, denn populär
^ nur, was dem Volk in handgreiflicher Bestimmtheit entgegentritt. Was bis jetzt
rechts und links war, hatte es sich ganz wohl gemerkt; nun soll es seine Vorstel¬
lungen plötzlich umschmelzen; und warum? Es ist wieder der leidige Nachahmungs¬
trieb der Deutschen ; sollen wir etwa von den Engländern auch die Sitte annehmen,
aß eine Erbschaft den Namen verändert? daß bei dem Todesfall eines Verwandten
^"s Lytton Bulwer ein Bulwer Lytton wird, aus Lord Stanley ein Lord Derby?
^'r Deutsche sind einmal gewöhnt, uns bei einem Namen, auch eine bestimmte
P"son zu denken, und unser Gemüth hält den Namen fest. wie die Person. Weil
wir die Männer lieb haben, wollen wir auch die Namen Vincke, Schwerin u. s. w.
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U"d des Polizciregimcnrs Widerstand geleistet haben, wollen wir links bleiben. Dem
"d kostet es einige Mühe, rechts und links zu unterscheiden; warum will man
"us wieder in die politische Kinderstube schicken? — Und es liegt noch mehr darin,
cum wir aus einmal die ministerielle Partei sein sollen, so macht man das Mini¬
mum für das verantwortlich, was wir sagen (es geschieht ohnehin schon mehr
genug!), und uns macht man für das verantwortlich, was das Ministerium
Me und nicht thut. Es wird sür beide Theile bequemer und wahrer sein, wenn
ir unabhängig bleiben. Bis jetzt wjssen wir von dem, was das Ministerium
">le und will, nur durch das Organ der „Preußischen Zeitung", und ob man
Un die Grundsätze-derselben für richtig oder unrichtig hält, jedenfalls sind es nicht


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[0125] Von der preußischen Grenze. Seit den ersten Anlaufen zum parlamentarischen Wesen in Preußen, also seit dem Vereinigten Landtag von 186-7, ist keine Landesvertretung mit einem so ent¬ gegenkommenden Vertrauen des Volks begrüßt worden, als die gegenwärtige. Zu andern Perioden — 1847 und 1848 — war die Hoffnung und Erwartung ge¬ spannter, aber sie war mit Unruhe und Mißtrauen zersetzt, die Zustände selbst waren problematisch und das Volk sah sich einer in gewissem Sinn fremdartigen Macht gegenüber, die es zu prüfen noch keine Gelegenheit gehabt. Die Majorität der Mutigen Kammer hat bereits eine ausgeprägte Physiognomie, man weiß ziemlich genau, was und wie viel man von ihr zu erwarten hat; und die Veränderungen >n der Regierungssphärc haben eine so allgemeine Zufriedenheit hervorgerufen, daß selbst Me gerechten Wünsche mit Geduld und Mäßigung überkleidet sind. Es ist das sür die Wirksamkeit des Landtags eine höchst günstige Vorciussetzuug; 'udcß sind auch einige Umstände vorhanden, die seine Aufgabe erschweren. Auf diese gleich von vornherein hinzuweisen, scheint uns um so nöthiger, da nichts die politische Entwickelung so stört, als eine sanguinische Stimmung, der die Enttäu¬ schung folgt. Zunächst müssen wirnocheinmal aufcincnPunkt kommen, den wirschonvor einigen lochen erwähnt haben, der aber viel böses Blut machen wird, obgleich — oder weil er blos die Form betrifft. Wir meinen die Sprachverwirrung in Bezug aus Rechts und Links. Der Landtag verliert dadurch sehr an Popularität, denn populär ^ nur, was dem Volk in handgreiflicher Bestimmtheit entgegentritt. Was bis jetzt rechts und links war, hatte es sich ganz wohl gemerkt; nun soll es seine Vorstel¬ lungen plötzlich umschmelzen; und warum? Es ist wieder der leidige Nachahmungs¬ trieb der Deutschen ; sollen wir etwa von den Engländern auch die Sitte annehmen, aß eine Erbschaft den Namen verändert? daß bei dem Todesfall eines Verwandten ^"s Lytton Bulwer ein Bulwer Lytton wird, aus Lord Stanley ein Lord Derby? ^'r Deutsche sind einmal gewöhnt, uns bei einem Namen, auch eine bestimmte P"son zu denken, und unser Gemüth hält den Namen fest. wie die Person. Weil wir die Männer lieb haben, wollen wir auch die Namen Vincke, Schwerin u. s. w. '«behalten, und weil wir links nicht unrühmlich den Uebergriffe'n des Feudalismus U"d des Polizciregimcnrs Widerstand geleistet haben, wollen wir links bleiben. Dem "d kostet es einige Mühe, rechts und links zu unterscheiden; warum will man "us wieder in die politische Kinderstube schicken? — Und es liegt noch mehr darin, cum wir aus einmal die ministerielle Partei sein sollen, so macht man das Mini¬ mum für das verantwortlich, was wir sagen (es geschieht ohnehin schon mehr genug!), und uns macht man für das verantwortlich, was das Ministerium Me und nicht thut. Es wird sür beide Theile bequemer und wahrer sein, wenn ir unabhängig bleiben. Bis jetzt wjssen wir von dem, was das Ministerium ">le und will, nur durch das Organ der „Preußischen Zeitung", und ob man Un die Grundsätze-derselben für richtig oder unrichtig hält, jedenfalls sind es nicht 15"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/125>, abgerufen am 24.07.2024.