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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Interesse. Dagegen wurde vor dem Sphinx aus diesmal länger verweilt.
Auch er gibt keine Räthsel mehr auf. Man weiß, daß er ein Bild des
Sonnengottes Ra oder Re war, man weiß sogar seinen vollen Namen: Ra
Ma Schol. der Sonnengott am Horizont. Man glaubt endlich zu wissen,
daß der Erbauer der zweiten Pyramide auch der Schöpfer des Sphinx ge¬
wesen ist. Die Schlüsse, die dahin führten, gehören nicht hierher. Auch eine
ausführliche Beschreibung des Kolosses möge mir erlassen sein. Es möge ge¬
nügen, zu erwähnen, daß das Antlitz des Mannlöwen (der Sphinx hat einen
Bart gehabt, daher der ungewöhnliche Masculinartikel) 28 Fuß in der Höhe
mißt, und daß das ganze Steinbild eine Länge von 172 Fuß hat, daß das
Gesicht, jetzt sehr verstümmelt, einst braunroth bemalt war, daß nur der Kopf
ein Werk des Meißels, alles Uebrige aber natürlicher Fels, oder, wie eine
griechische Inschrift auf einer der Tatzen des Ungeheuers sagt, ein Bildwerk
der Götter ist/)

Eine wichtige Entdeckung, die nicht allen Lesern bekannt sein möchte, hat im
Jahre 1852 der Franzose Mariette gemacht. Derselbe fand, daß der Sand
rings um den Sphinx eine große Mauer und mehre größere und kleinere
Gänge bedeckt, welche nach einem vor dem Sphinx gelegenen Tempel führen.
Das Material dieser jetzt wieder verschütteten Bauten besteht aus rosenfarbenen
Granit und Tafeln von gelblichem Alabaster, dessen Politur das Licht der
Kerzen in zauberhafter Weise abspiegelte. Leider war nirgend eine Inschrift
oder ein Basrelief zu finden, welches über das Alter dieses Prachtbaus Aus¬
kunft gegeben hätte.

Das Bewußtsein, auf unterirdischen Geheimnissen zu wandeln, wirkt
sast noch mehr, als das was man sieht, auf die Stimmung, die dieser Fried¬
hof mit der Riesenhaftigkeit seiner Grabmonumente und seinen Erinnerungen
an das Uralterthum erweckt. Alles so antcdiluvianisch, so unverständlich vor¬
zeitlich. Alles solch ein gigantisches Aufthürmen von Wehren, und Wällen
gegen die Vergänglichkeit, und doch überwunden und versunken! Sie kannten
einen Gott am Horizont, aber es war der Horizont des Sonnenuntergangs.
Noch lagert er als Wächter an den Königsgrübern, aber die Grüber sind
leer, ohne daß ihre Todten auferstanden wären, wie die Todten von Juda und
Hellas, und die Araber nennen ihn Löwe der Nacht!





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Interesse. Dagegen wurde vor dem Sphinx aus diesmal länger verweilt.
Auch er gibt keine Räthsel mehr auf. Man weiß, daß er ein Bild des
Sonnengottes Ra oder Re war, man weiß sogar seinen vollen Namen: Ra
Ma Schol. der Sonnengott am Horizont. Man glaubt endlich zu wissen,
daß der Erbauer der zweiten Pyramide auch der Schöpfer des Sphinx ge¬
wesen ist. Die Schlüsse, die dahin führten, gehören nicht hierher. Auch eine
ausführliche Beschreibung des Kolosses möge mir erlassen sein. Es möge ge¬
nügen, zu erwähnen, daß das Antlitz des Mannlöwen (der Sphinx hat einen
Bart gehabt, daher der ungewöhnliche Masculinartikel) 28 Fuß in der Höhe
mißt, und daß das ganze Steinbild eine Länge von 172 Fuß hat, daß das
Gesicht, jetzt sehr verstümmelt, einst braunroth bemalt war, daß nur der Kopf
ein Werk des Meißels, alles Uebrige aber natürlicher Fels, oder, wie eine
griechische Inschrift auf einer der Tatzen des Ungeheuers sagt, ein Bildwerk
der Götter ist/)

Eine wichtige Entdeckung, die nicht allen Lesern bekannt sein möchte, hat im
Jahre 1852 der Franzose Mariette gemacht. Derselbe fand, daß der Sand
rings um den Sphinx eine große Mauer und mehre größere und kleinere
Gänge bedeckt, welche nach einem vor dem Sphinx gelegenen Tempel führen.
Das Material dieser jetzt wieder verschütteten Bauten besteht aus rosenfarbenen
Granit und Tafeln von gelblichem Alabaster, dessen Politur das Licht der
Kerzen in zauberhafter Weise abspiegelte. Leider war nirgend eine Inschrift
oder ein Basrelief zu finden, welches über das Alter dieses Prachtbaus Aus¬
kunft gegeben hätte.

Das Bewußtsein, auf unterirdischen Geheimnissen zu wandeln, wirkt
sast noch mehr, als das was man sieht, auf die Stimmung, die dieser Fried¬
hof mit der Riesenhaftigkeit seiner Grabmonumente und seinen Erinnerungen
an das Uralterthum erweckt. Alles so antcdiluvianisch, so unverständlich vor¬
zeitlich. Alles solch ein gigantisches Aufthürmen von Wehren, und Wällen
gegen die Vergänglichkeit, und doch überwunden und versunken! Sie kannten
einen Gott am Horizont, aber es war der Horizont des Sonnenuntergangs.
Noch lagert er als Wächter an den Königsgrübern, aber die Grüber sind
leer, ohne daß ihre Todten auferstanden wären, wie die Todten von Juda und
Hellas, und die Araber nennen ihn Löwe der Nacht!





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[0124] Interesse. Dagegen wurde vor dem Sphinx aus diesmal länger verweilt. Auch er gibt keine Räthsel mehr auf. Man weiß, daß er ein Bild des Sonnengottes Ra oder Re war, man weiß sogar seinen vollen Namen: Ra Ma Schol. der Sonnengott am Horizont. Man glaubt endlich zu wissen, daß der Erbauer der zweiten Pyramide auch der Schöpfer des Sphinx ge¬ wesen ist. Die Schlüsse, die dahin führten, gehören nicht hierher. Auch eine ausführliche Beschreibung des Kolosses möge mir erlassen sein. Es möge ge¬ nügen, zu erwähnen, daß das Antlitz des Mannlöwen (der Sphinx hat einen Bart gehabt, daher der ungewöhnliche Masculinartikel) 28 Fuß in der Höhe mißt, und daß das ganze Steinbild eine Länge von 172 Fuß hat, daß das Gesicht, jetzt sehr verstümmelt, einst braunroth bemalt war, daß nur der Kopf ein Werk des Meißels, alles Uebrige aber natürlicher Fels, oder, wie eine griechische Inschrift auf einer der Tatzen des Ungeheuers sagt, ein Bildwerk der Götter ist/) Eine wichtige Entdeckung, die nicht allen Lesern bekannt sein möchte, hat im Jahre 1852 der Franzose Mariette gemacht. Derselbe fand, daß der Sand rings um den Sphinx eine große Mauer und mehre größere und kleinere Gänge bedeckt, welche nach einem vor dem Sphinx gelegenen Tempel führen. Das Material dieser jetzt wieder verschütteten Bauten besteht aus rosenfarbenen Granit und Tafeln von gelblichem Alabaster, dessen Politur das Licht der Kerzen in zauberhafter Weise abspiegelte. Leider war nirgend eine Inschrift oder ein Basrelief zu finden, welches über das Alter dieses Prachtbaus Aus¬ kunft gegeben hätte. Das Bewußtsein, auf unterirdischen Geheimnissen zu wandeln, wirkt sast noch mehr, als das was man sieht, auf die Stimmung, die dieser Fried¬ hof mit der Riesenhaftigkeit seiner Grabmonumente und seinen Erinnerungen an das Uralterthum erweckt. Alles so antcdiluvianisch, so unverständlich vor¬ zeitlich. Alles solch ein gigantisches Aufthürmen von Wehren, und Wällen gegen die Vergänglichkeit, und doch überwunden und versunken! Sie kannten einen Gott am Horizont, aber es war der Horizont des Sonnenuntergangs. Noch lagert er als Wächter an den Königsgrübern, aber die Grüber sind leer, ohne daß ihre Todten auferstanden wären, wie die Todten von Juda und Hellas, und die Araber nennen ihn Löwe der Nacht! *) Lo? <j>^t«x k/x?r«),),o>' re^L«^ Aeot «te», co^rex.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/124>, abgerufen am 24.07.2024.