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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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unvollständig und ungenau mitgetheilt, und es ist nicht zu entscheiden, wie viel
die Folter in die Bekenntnisse hineingedichtet. Aber Einiges ist sehr deutlich, die
erschreckende Menge des fahrenden Gesindels. ferner daß sie zum Theil mit ihren
Genossen in festem Zusammenhange stehn, daß sie keine stetigen Banden bilden,
sondern für die einzelnen Unternehmungen geworben werden, und zwar, wie sie
mehrfach aussagen, von nicht >zu ermittelnder Unbekannten um Geld, endlich daß
ihr geheimer Verkehr durch Zeichen vermittelt wird, welche sie an auf¬
fallenden Orten, Wirthshäusern, Wänden, Thüren u. s. w. einkratzen oder
einschneiden. Diese Zeichen sind zum Theil dieselben uralten deutschen Personen¬
bezeichnungen, welche Michelsen in seinen sehr dankenswerthen Untersuchungen
"Hausmarken" genannt hat, zum Theil aber auch besondere Spitzbubenzinken.
Vor allem das charakteristische Zeichen der Fahrenden: der Pfeil, einst das ankün¬
digende Symbol der Feindschaft; die Richtung seiner Spitze zeigt den Weg,
den der Zeichner genommen, kleine Striche senkrecht auf ihm, oft mit Nullen
darüber geben wahrscheinlich die Personenzahl an. Noch heute sind dieselben
Zeichen zuweilen an Bäumen und Mauern der Landstraße zu sehen, und sie
bezeichnen noch setzt wie damals dem Mitglied einer Bande, daß der Einge¬
weihte mit seiner Kawrusse den Weg gegangen sei.

Der große "deutsche" Krieg im 17. Jahrhundert war die goldne Zeit
aller Vagabunden. Diebe. Einbrecher, Wegelagerer. Die schnelle, fürchterliche
Demoralisation der Heere ist zum großen Theil dem Einstromen der Gauner
in die Heerhaufen zuzuschreiben. Wir besitzen vortreffliche Gaunererzählungen
aus jener wilden Zeit von Grimmclshausen: "den lustigen Springinsfeld" und
"die Landstörtzerin Courage", zwei Biographien, deren Helden zwar mit freier
Laune von dem weltkundigen Verfasser des Simplicissimus ausgeschmückt,
deren Einzelheiten aber sämmtlich charakteristisch für jene Zeit und von einer
furchtbaren realistischen Wahrheit sind. Besser, als in Philander und den
spätern Schelmenromanen, erkennt man aus ihnen, wie innig das Soldaten-
leben und das Treiben der Gauner zusammenhing. -- Es sind die Nach'
kommen jener alten Landstörzer, welche bis in den Anfang dieses Jahrhun¬
derts die deutschen Landschaften unsicher machten.

Seitdem haben Eisenbahnen, der künstlichere Geldverkehr und die An¬
strengungen der Sicherheitspolizei auch dem Gaunerthum eine andere Physiog¬
nomie gegeben; die größten Gauner sind nicht mehr, welche in der alten
Spitzbubensprache zueinander reden.

Möge das Werk Lallcmcmts die Theilnahme finden, welche der fleißige
? und wohlunterrichtete Verfasser zu beanspruchen vorzüglich berechtigt ist.




Stoffeln von Oberge und Christofftln von Wrisberg, -- der Mordbrenner halben. 1542. 4°
Zwei Parteigänger des Vrnunschwcigers, welche als Mitschuldige bezeichnet waren. Andere Notizen über die Mordbrenner von 1540 in Bechstein, Museum I. und II.

unvollständig und ungenau mitgetheilt, und es ist nicht zu entscheiden, wie viel
die Folter in die Bekenntnisse hineingedichtet. Aber Einiges ist sehr deutlich, die
erschreckende Menge des fahrenden Gesindels. ferner daß sie zum Theil mit ihren
Genossen in festem Zusammenhange stehn, daß sie keine stetigen Banden bilden,
sondern für die einzelnen Unternehmungen geworben werden, und zwar, wie sie
mehrfach aussagen, von nicht >zu ermittelnder Unbekannten um Geld, endlich daß
ihr geheimer Verkehr durch Zeichen vermittelt wird, welche sie an auf¬
fallenden Orten, Wirthshäusern, Wänden, Thüren u. s. w. einkratzen oder
einschneiden. Diese Zeichen sind zum Theil dieselben uralten deutschen Personen¬
bezeichnungen, welche Michelsen in seinen sehr dankenswerthen Untersuchungen
„Hausmarken" genannt hat, zum Theil aber auch besondere Spitzbubenzinken.
Vor allem das charakteristische Zeichen der Fahrenden: der Pfeil, einst das ankün¬
digende Symbol der Feindschaft; die Richtung seiner Spitze zeigt den Weg,
den der Zeichner genommen, kleine Striche senkrecht auf ihm, oft mit Nullen
darüber geben wahrscheinlich die Personenzahl an. Noch heute sind dieselben
Zeichen zuweilen an Bäumen und Mauern der Landstraße zu sehen, und sie
bezeichnen noch setzt wie damals dem Mitglied einer Bande, daß der Einge¬
weihte mit seiner Kawrusse den Weg gegangen sei.

Der große „deutsche" Krieg im 17. Jahrhundert war die goldne Zeit
aller Vagabunden. Diebe. Einbrecher, Wegelagerer. Die schnelle, fürchterliche
Demoralisation der Heere ist zum großen Theil dem Einstromen der Gauner
in die Heerhaufen zuzuschreiben. Wir besitzen vortreffliche Gaunererzählungen
aus jener wilden Zeit von Grimmclshausen: „den lustigen Springinsfeld" und
„die Landstörtzerin Courage", zwei Biographien, deren Helden zwar mit freier
Laune von dem weltkundigen Verfasser des Simplicissimus ausgeschmückt,
deren Einzelheiten aber sämmtlich charakteristisch für jene Zeit und von einer
furchtbaren realistischen Wahrheit sind. Besser, als in Philander und den
spätern Schelmenromanen, erkennt man aus ihnen, wie innig das Soldaten-
leben und das Treiben der Gauner zusammenhing. — Es sind die Nach'
kommen jener alten Landstörzer, welche bis in den Anfang dieses Jahrhun¬
derts die deutschen Landschaften unsicher machten.

Seitdem haben Eisenbahnen, der künstlichere Geldverkehr und die An¬
strengungen der Sicherheitspolizei auch dem Gaunerthum eine andere Physiog¬
nomie gegeben; die größten Gauner sind nicht mehr, welche in der alten
Spitzbubensprache zueinander reden.

Möge das Werk Lallcmcmts die Theilnahme finden, welche der fleißige
? und wohlunterrichtete Verfasser zu beanspruchen vorzüglich berechtigt ist.




Stoffeln von Oberge und Christofftln von Wrisberg, — der Mordbrenner halben. 1542. 4°
Zwei Parteigänger des Vrnunschwcigers, welche als Mitschuldige bezeichnet waren. Andere Notizen über die Mordbrenner von 1540 in Bechstein, Museum I. und II.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/106>, abgerufen am 24.07.2024.