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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Weissemberg mit andern Vorschlägen auf: die Lombardei und Venedig sollten
zu einem "Staat" vereinigt werden: Constitution, die Armee und Verwaltung
mit Italienern besetzt, getrenntes Budget, das Vicekönigreich eines Erzherzogs.
Diese Vorschlüge begrüßte Bastide als einen wichtigen Fortschritt gegen die des
24. Mai! Und als Grund dieser Befriedigung führt er in der Depesche vom
11. October an den Gesandten in London ausdrücklich an, daß unter diesen
Umständen eine Vergrößerung des Hauses Savoyen vermieden wird.

Von minderem Belang sind die Verwickelungen von Venedig und Sicilien.
Nachdem Venedig durch den sardinisch-östreichischen Waffenstillstand feinem
Schicksal überlassen war, schrieb Lord Palmerston, in dessen Absicht es nie
gelegen hatte, dies Gebiet von Oestreich loszureißen, den 16. October an
den Dictator Menin, daß er von England nichts zu erwarten habe. Bastide
versprach noch am 17. November, freilich unter der Bedingung, daß seine
Negierung am Ruder bleibe, den^Venetianern jede Hilfe; offenbar aber war
es eine Absurdität, auf die Länge Venedig gegen Oestreich behaupten zu
wollen, wenn Mailand verloren war. Was Sicilien betrifft, so haben beide
Mächte ein falsches Spiel getrieben. Freilich ist Englands Rolle dabei noch
gehässiger als die Frankreichs, da das letztere wenigstens einige Anstalten
machte, den Angriffen Neapels zu widerstehn. Uebrigens gingen auch hier
die Interessen beider Staaten auseinander. England hätte am liebsten ge¬
sehn, wenn Sicilien unter seiner Protection einen eignen Staat bildete, wäh¬
rend Frankreich die Fortdauer der neapolitanischen Oberherrschaft. doch mit
zu Grundlegung der Verfassung von 1812. vorzog. Eventuell schlug es den
Sicilicmern wie den Einwohnern von Parma und Modena die Vereinigung
mit Toscana vor.

Am schlechtesten ist die Rolle, welche die Republik in Rom gespielt hat.
Wie man auch über deu Charakter Pius IX. denken mag. er hatte für Italien
sehr viel gethan und sein vollständiger Abfall von der Sache des Vaterlandes
war die gerechte Reaction gegen eine Folge von Schandthaten. Die Ermor¬
dung Rossis war der schändlichste Frevel, mit dem sich der italienische Auf¬
stand befleckt hat, und diese Ermordung war wenigstens indirect durch die
Agenten der französischen Republik hervorgerufen. Die Erhebung Rossis in
das Ministerium war die glücklichste Wahl, die Pius treffen konnte, und als
die französische Republik diese Wahl für eine offene Beleidigung erklärte,
4. August, that sie damit den ersten Schritt, der endlich zum gewaltsamen
Einmarsch in Rom führte.

Der Eindruck dieses ganzen Berichts ist deutlich genug. Welche Regiemngs-
form sich Frankreich geben mag. die auswärtige Politik, namentlich gegen
Italien, bleibt dieselbe. Die Zertheilung Italiens in eine Reihe unbedeuten¬
der Staaten, deren gegenseitige Eifersucht ein gemeinschaftliches Wirken aus-


Weissemberg mit andern Vorschlägen auf: die Lombardei und Venedig sollten
zu einem „Staat" vereinigt werden: Constitution, die Armee und Verwaltung
mit Italienern besetzt, getrenntes Budget, das Vicekönigreich eines Erzherzogs.
Diese Vorschlüge begrüßte Bastide als einen wichtigen Fortschritt gegen die des
24. Mai! Und als Grund dieser Befriedigung führt er in der Depesche vom
11. October an den Gesandten in London ausdrücklich an, daß unter diesen
Umständen eine Vergrößerung des Hauses Savoyen vermieden wird.

Von minderem Belang sind die Verwickelungen von Venedig und Sicilien.
Nachdem Venedig durch den sardinisch-östreichischen Waffenstillstand feinem
Schicksal überlassen war, schrieb Lord Palmerston, in dessen Absicht es nie
gelegen hatte, dies Gebiet von Oestreich loszureißen, den 16. October an
den Dictator Menin, daß er von England nichts zu erwarten habe. Bastide
versprach noch am 17. November, freilich unter der Bedingung, daß seine
Negierung am Ruder bleibe, den^Venetianern jede Hilfe; offenbar aber war
es eine Absurdität, auf die Länge Venedig gegen Oestreich behaupten zu
wollen, wenn Mailand verloren war. Was Sicilien betrifft, so haben beide
Mächte ein falsches Spiel getrieben. Freilich ist Englands Rolle dabei noch
gehässiger als die Frankreichs, da das letztere wenigstens einige Anstalten
machte, den Angriffen Neapels zu widerstehn. Uebrigens gingen auch hier
die Interessen beider Staaten auseinander. England hätte am liebsten ge¬
sehn, wenn Sicilien unter seiner Protection einen eignen Staat bildete, wäh¬
rend Frankreich die Fortdauer der neapolitanischen Oberherrschaft. doch mit
zu Grundlegung der Verfassung von 1812. vorzog. Eventuell schlug es den
Sicilicmern wie den Einwohnern von Parma und Modena die Vereinigung
mit Toscana vor.

Am schlechtesten ist die Rolle, welche die Republik in Rom gespielt hat.
Wie man auch über deu Charakter Pius IX. denken mag. er hatte für Italien
sehr viel gethan und sein vollständiger Abfall von der Sache des Vaterlandes
war die gerechte Reaction gegen eine Folge von Schandthaten. Die Ermor¬
dung Rossis war der schändlichste Frevel, mit dem sich der italienische Auf¬
stand befleckt hat, und diese Ermordung war wenigstens indirect durch die
Agenten der französischen Republik hervorgerufen. Die Erhebung Rossis in
das Ministerium war die glücklichste Wahl, die Pius treffen konnte, und als
die französische Republik diese Wahl für eine offene Beleidigung erklärte,
4. August, that sie damit den ersten Schritt, der endlich zum gewaltsamen
Einmarsch in Rom führte.

Der Eindruck dieses ganzen Berichts ist deutlich genug. Welche Regiemngs-
form sich Frankreich geben mag. die auswärtige Politik, namentlich gegen
Italien, bleibt dieselbe. Die Zertheilung Italiens in eine Reihe unbedeuten¬
der Staaten, deren gegenseitige Eifersucht ein gemeinschaftliches Wirken aus-


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[0100] Weissemberg mit andern Vorschlägen auf: die Lombardei und Venedig sollten zu einem „Staat" vereinigt werden: Constitution, die Armee und Verwaltung mit Italienern besetzt, getrenntes Budget, das Vicekönigreich eines Erzherzogs. Diese Vorschlüge begrüßte Bastide als einen wichtigen Fortschritt gegen die des 24. Mai! Und als Grund dieser Befriedigung führt er in der Depesche vom 11. October an den Gesandten in London ausdrücklich an, daß unter diesen Umständen eine Vergrößerung des Hauses Savoyen vermieden wird. Von minderem Belang sind die Verwickelungen von Venedig und Sicilien. Nachdem Venedig durch den sardinisch-östreichischen Waffenstillstand feinem Schicksal überlassen war, schrieb Lord Palmerston, in dessen Absicht es nie gelegen hatte, dies Gebiet von Oestreich loszureißen, den 16. October an den Dictator Menin, daß er von England nichts zu erwarten habe. Bastide versprach noch am 17. November, freilich unter der Bedingung, daß seine Negierung am Ruder bleibe, den^Venetianern jede Hilfe; offenbar aber war es eine Absurdität, auf die Länge Venedig gegen Oestreich behaupten zu wollen, wenn Mailand verloren war. Was Sicilien betrifft, so haben beide Mächte ein falsches Spiel getrieben. Freilich ist Englands Rolle dabei noch gehässiger als die Frankreichs, da das letztere wenigstens einige Anstalten machte, den Angriffen Neapels zu widerstehn. Uebrigens gingen auch hier die Interessen beider Staaten auseinander. England hätte am liebsten ge¬ sehn, wenn Sicilien unter seiner Protection einen eignen Staat bildete, wäh¬ rend Frankreich die Fortdauer der neapolitanischen Oberherrschaft. doch mit zu Grundlegung der Verfassung von 1812. vorzog. Eventuell schlug es den Sicilicmern wie den Einwohnern von Parma und Modena die Vereinigung mit Toscana vor. Am schlechtesten ist die Rolle, welche die Republik in Rom gespielt hat. Wie man auch über deu Charakter Pius IX. denken mag. er hatte für Italien sehr viel gethan und sein vollständiger Abfall von der Sache des Vaterlandes war die gerechte Reaction gegen eine Folge von Schandthaten. Die Ermor¬ dung Rossis war der schändlichste Frevel, mit dem sich der italienische Auf¬ stand befleckt hat, und diese Ermordung war wenigstens indirect durch die Agenten der französischen Republik hervorgerufen. Die Erhebung Rossis in das Ministerium war die glücklichste Wahl, die Pius treffen konnte, und als die französische Republik diese Wahl für eine offene Beleidigung erklärte, 4. August, that sie damit den ersten Schritt, der endlich zum gewaltsamen Einmarsch in Rom führte. Der Eindruck dieses ganzen Berichts ist deutlich genug. Welche Regiemngs- form sich Frankreich geben mag. die auswärtige Politik, namentlich gegen Italien, bleibt dieselbe. Die Zertheilung Italiens in eine Reihe unbedeuten¬ der Staaten, deren gegenseitige Eifersucht ein gemeinschaftliches Wirken aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/100>, abgerufen am 24.07.2024.