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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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feuchten Sand, und während er, auf den Bauch hingestreckt, sein Gewehr
nach der Stelle richtete, übernahm ich, um mich doch auch nützlich zu machen,
die bescheidene Rolle des Huckseljungens. Aber das Thier schien doch einige
Zweifel zu hegen, ob ich mit meinen Brillengläser moor den Augen ein Bru¬
der Seehund sei; denn es tauchte noch einmal an einer andern Stelle auf,
verschwand aber im Nu wieder, um uns auf immer Lebewohl zu sagen. An¬
dere von der Gesellschaft versuchten anderswo ihr Glück, aber mit ebenso
wenig Erfolg. Es sielen Schüsse; aber nur die Wasserfläche, keine Robbe
wurde verwundet. Die Festlandjäger stießen einige Flüche über dies nasse
Weidwerk aus.

Unterdessen begann das Meer in bedenklicher Weise zu steigen, und wir
sammelten uns vor dem Boote, um nicht von der Flut überrascht zu werden.
Nur der wangeroger Jäger, der sich zuletzt noch von den andern getrennt hatte
und mit seiner langen rostigen Flinte am weitesten gegangen war, fehlte noch.
Wir äußerten seinetwegen Besorgniß gegen unsern Steuermann; aber dieser
gab lachend zur Antwort: das sei ein alter Praktikus, der gewiß zur rechten
Zeit, und wahrscheinlich auch nicht mit leeren Händen kommen werde.

In der That sahen wir ihn jetzt in der Ferne auftauchen, beladen mit
einem Thier, das so groß als er selber war. Einer der Schiffer eilte ihm
entgegen, um die Last mit ihm zu theilen; denn es war die höchste Zeit, daß
wir zu Schiffe gingen. Der von ihm erbeutete schöne, fette Seehund wurde
in das Boot geworfen, und wir verließen den Strand, der sich nun schnell
vor unsern Blicken in Meer verwandelte. Wir spannten das Segel, und mit
reißender Geschwindigkeit durchschnitt das schiefliegende Fahrzeug die brausen¬
den Wogen, welche schäumend an dessen Brust emporschlugen.

Als wir vor Wanger-Oge anlangten, war es Nacht geworden. Aus dem
Dunkel tauchten hier und dort, wie Feuerwürmchen, die Lichter der Badeinsel
hervor; die Laterne auf der dunklen Säule des Leuchtthurms begann auf ein¬
mal zu stammen, und über das Meer zu uns her lief in wunderbarer Schön¬
heit eine goldene Straße, die mit den schwankenden Wellen auf und nieder
Zitterte.

Uebrigens hatte der Schluß unserer Jagdfahrt auch seine komische Seite.
Da selbst die höheren Theile des Watts vor der Insel von der Flut überspült
waren, aber uoch nicht Fahrwasser genug sür unser Boot hatten: so wurde
dieses an einem eingerammten Pfahle festgekeilet, wir Badegäste aber, d. h.
die zwei Festlandjäger und ich , der Hucksler, bestiegen den Rücken der drei
Wanger-Oger, welche ihre Beinkleider bis unter den Leib ausgerollt hatten.
So langten wir rittlings in voller Nacht auf der Insel an, wo unsere Frauen
weht ohne große Besorgniß uns entgegenharrten. Auch Dr. Chemnitz, der
Badearzt, stellte sich ein und sprach, indem er den Finger dräuend erhob:


feuchten Sand, und während er, auf den Bauch hingestreckt, sein Gewehr
nach der Stelle richtete, übernahm ich, um mich doch auch nützlich zu machen,
die bescheidene Rolle des Huckseljungens. Aber das Thier schien doch einige
Zweifel zu hegen, ob ich mit meinen Brillengläser moor den Augen ein Bru¬
der Seehund sei; denn es tauchte noch einmal an einer andern Stelle auf,
verschwand aber im Nu wieder, um uns auf immer Lebewohl zu sagen. An¬
dere von der Gesellschaft versuchten anderswo ihr Glück, aber mit ebenso
wenig Erfolg. Es sielen Schüsse; aber nur die Wasserfläche, keine Robbe
wurde verwundet. Die Festlandjäger stießen einige Flüche über dies nasse
Weidwerk aus.

Unterdessen begann das Meer in bedenklicher Weise zu steigen, und wir
sammelten uns vor dem Boote, um nicht von der Flut überrascht zu werden.
Nur der wangeroger Jäger, der sich zuletzt noch von den andern getrennt hatte
und mit seiner langen rostigen Flinte am weitesten gegangen war, fehlte noch.
Wir äußerten seinetwegen Besorgniß gegen unsern Steuermann; aber dieser
gab lachend zur Antwort: das sei ein alter Praktikus, der gewiß zur rechten
Zeit, und wahrscheinlich auch nicht mit leeren Händen kommen werde.

In der That sahen wir ihn jetzt in der Ferne auftauchen, beladen mit
einem Thier, das so groß als er selber war. Einer der Schiffer eilte ihm
entgegen, um die Last mit ihm zu theilen; denn es war die höchste Zeit, daß
wir zu Schiffe gingen. Der von ihm erbeutete schöne, fette Seehund wurde
in das Boot geworfen, und wir verließen den Strand, der sich nun schnell
vor unsern Blicken in Meer verwandelte. Wir spannten das Segel, und mit
reißender Geschwindigkeit durchschnitt das schiefliegende Fahrzeug die brausen¬
den Wogen, welche schäumend an dessen Brust emporschlugen.

Als wir vor Wanger-Oge anlangten, war es Nacht geworden. Aus dem
Dunkel tauchten hier und dort, wie Feuerwürmchen, die Lichter der Badeinsel
hervor; die Laterne auf der dunklen Säule des Leuchtthurms begann auf ein¬
mal zu stammen, und über das Meer zu uns her lief in wunderbarer Schön¬
heit eine goldene Straße, die mit den schwankenden Wellen auf und nieder
Zitterte.

Uebrigens hatte der Schluß unserer Jagdfahrt auch seine komische Seite.
Da selbst die höheren Theile des Watts vor der Insel von der Flut überspült
waren, aber uoch nicht Fahrwasser genug sür unser Boot hatten: so wurde
dieses an einem eingerammten Pfahle festgekeilet, wir Badegäste aber, d. h.
die zwei Festlandjäger und ich , der Hucksler, bestiegen den Rücken der drei
Wanger-Oger, welche ihre Beinkleider bis unter den Leib ausgerollt hatten.
So langten wir rittlings in voller Nacht auf der Insel an, wo unsere Frauen
weht ohne große Besorgniß uns entgegenharrten. Auch Dr. Chemnitz, der
Badearzt, stellte sich ein und sprach, indem er den Finger dräuend erhob:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/75>, abgerufen am 22.07.2024.