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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ist, sieht man es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt tiefer sinken, die Denkmale
seiner alten Größe und Kraft verfallen, die Merkmale der Altersschwäche
immer deutlicher hervortreten, und es ist kam" eine Frage, daß binnen hundert
Jahren das "Chalifat des äußersten Westens" aufgehört haben wird zu
existiren.

Während der vieljährigen Bürgerkriege, welche das Reich im sechzehnten
Jahrhundert verwüsteten, hatten die beiden Städte Sales und Rabat sich
unabhängig gemacht und sich dadurch den Zerstörungen und Belastungen ent¬
zogen, welche so viele andere Orte Marokkos in dieser Zeit für immer zu
Grunde richteten. Später wurden sie zwar wieder unterworfen, indeß haben
sie sich noch heute gewisse städtische Vorrechte bewahrt. Sie verstehe" es, sich
gegen die Alles an sich reißende Habsucht der Regierungen und gegen die
räuberischen Gelüste des Paschas zu wehren, so daß sie sich eines Grades von
Freiheit und Wohlstand erfreuen, den man sonst in Marokko vergeblich sucht-
Die Häuser in Rabat sind solider gebaut und haben ein besseres Ansehen,
als die der übrigen Städte. Die innere Eintheilung und Einrichtung gleicht
der, welche man in den Städten Algeriens sowie in den alten maurischen
Wohnungen Granadas und Sevillcis antrifft. Jedes Haus hat einen innern
Hof mit Gallerten, auf welche sich die Fenster und Thüren öffnen. Da die
Stadt ganz so wie Sales auf dem Abhang einer Anhöhe gebaut ist, so sind
die (beiläufig auch sehr unregelmäßig gepflasterten) Straßen steil und abschüssig-
überdieß aber, wie in allen Städten Mauretaniens, dunkel, eng und gewunden,
das Ganze ein Labyrinth ohne irgendwelchen Plan.

Die Kasbah oder Burg von Rabat, die sich am östlichen Ende der Stadt
erhebt, ist von ungeheurer Größe und schließt einen Palast des Sultans ein,
hat aber mehre Stellen, wo sie dem Verfall entgegengeht. Es ist eben hier
wie in allen mohammedanischen Ländern, was einfallen will mag einfallen
und bleibt liegen. Eher baut mau neu, als daß man das Alte ausbesserte-
Das höchste, was man thut, ist, daß man die Ruine übertüncht, als ob der
Schein des weißen Kalknberwurfs das Haus oder die Mauer wirklich neu
werden ließe. Sales erscheint, wenn man sich der Stadt von der See her
nähert, auf dem grauen Grunde des Gestades in Gestalt eines gewaltigen
Vierecks von weißen Steinen, welches sich an die' Seite eines großen mit
Gärten bedeckten Hügels lehnt. Es besitzt eine bedeutende Anzahl von Mo¬
scheen, von welchen jedoch nur eine einzige den Ruf der maurischen Baukunst
rechtfertigt. Die Stadt ist älter als ihre Nachbarin auf dem andern Ufer des
Flusses, aber zugleich schmutziger und verfallener. Ihre vierseitige Ringmauer
wird von einer starken Kasbah überragt und von runden und viereckigen
Thürmen flankirt. Die in den vier Winkeln sind ungemein groß und mit
Bastionen versehen. Die Schießscharten aller Vertheidigungswerke Salehs sind


ist, sieht man es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt tiefer sinken, die Denkmale
seiner alten Größe und Kraft verfallen, die Merkmale der Altersschwäche
immer deutlicher hervortreten, und es ist kam» eine Frage, daß binnen hundert
Jahren das „Chalifat des äußersten Westens" aufgehört haben wird zu
existiren.

Während der vieljährigen Bürgerkriege, welche das Reich im sechzehnten
Jahrhundert verwüsteten, hatten die beiden Städte Sales und Rabat sich
unabhängig gemacht und sich dadurch den Zerstörungen und Belastungen ent¬
zogen, welche so viele andere Orte Marokkos in dieser Zeit für immer zu
Grunde richteten. Später wurden sie zwar wieder unterworfen, indeß haben
sie sich noch heute gewisse städtische Vorrechte bewahrt. Sie verstehe» es, sich
gegen die Alles an sich reißende Habsucht der Regierungen und gegen die
räuberischen Gelüste des Paschas zu wehren, so daß sie sich eines Grades von
Freiheit und Wohlstand erfreuen, den man sonst in Marokko vergeblich sucht-
Die Häuser in Rabat sind solider gebaut und haben ein besseres Ansehen,
als die der übrigen Städte. Die innere Eintheilung und Einrichtung gleicht
der, welche man in den Städten Algeriens sowie in den alten maurischen
Wohnungen Granadas und Sevillcis antrifft. Jedes Haus hat einen innern
Hof mit Gallerten, auf welche sich die Fenster und Thüren öffnen. Da die
Stadt ganz so wie Sales auf dem Abhang einer Anhöhe gebaut ist, so sind
die (beiläufig auch sehr unregelmäßig gepflasterten) Straßen steil und abschüssig-
überdieß aber, wie in allen Städten Mauretaniens, dunkel, eng und gewunden,
das Ganze ein Labyrinth ohne irgendwelchen Plan.

Die Kasbah oder Burg von Rabat, die sich am östlichen Ende der Stadt
erhebt, ist von ungeheurer Größe und schließt einen Palast des Sultans ein,
hat aber mehre Stellen, wo sie dem Verfall entgegengeht. Es ist eben hier
wie in allen mohammedanischen Ländern, was einfallen will mag einfallen
und bleibt liegen. Eher baut mau neu, als daß man das Alte ausbesserte-
Das höchste, was man thut, ist, daß man die Ruine übertüncht, als ob der
Schein des weißen Kalknberwurfs das Haus oder die Mauer wirklich neu
werden ließe. Sales erscheint, wenn man sich der Stadt von der See her
nähert, auf dem grauen Grunde des Gestades in Gestalt eines gewaltigen
Vierecks von weißen Steinen, welches sich an die' Seite eines großen mit
Gärten bedeckten Hügels lehnt. Es besitzt eine bedeutende Anzahl von Mo¬
scheen, von welchen jedoch nur eine einzige den Ruf der maurischen Baukunst
rechtfertigt. Die Stadt ist älter als ihre Nachbarin auf dem andern Ufer des
Flusses, aber zugleich schmutziger und verfallener. Ihre vierseitige Ringmauer
wird von einer starken Kasbah überragt und von runden und viereckigen
Thürmen flankirt. Die in den vier Winkeln sind ungemein groß und mit
Bastionen versehen. Die Schießscharten aller Vertheidigungswerke Salehs sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/514>, abgerufen am 03.10.2024.