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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Helty gehören in diesen Lebenskreis. In Adam sind die innern Kämpfe eines
robusten Gemüths auf eine ergreifende Weise dargestellt: eine harte Natur, die
aber um so tiefer erschüttert wird, wenn das Leben sie wirklich einmal trifft.
Man nimmt ernsten Antheil an diesen Lebenswirrcn -- freilich mit dem Gefühl,
daß sie uns eigentlich etwas fern liegen. Denn darin liegt der Mangel der
"realistischen" Schule: sie zwingt uns nicht durch Kunst, ihr Gehör zu geben,
sondern sie sucht zunächst Sympathien für unsere Mitmenschen in uns zu er¬
wecken, um des guten Zweckes willen, wir haben aber auch etwas Langeweile in
Kauf zu nehmen. -- W.Scott hat es anders gemacht; seine Jenny Deans und
die ganze Familie haben nicht erst nöthig, unsere Menschenliebe im Allgemeinen
aufzurufen. -- Aber als Studie einer wichtigen Volksschicht hat Adam Bete
doch großes Interesse, vielleicht gerade für den Ausländer.

Ausgewählte Werke von Fernau Caballero; aus dem Spanischen von
L. G. Lemcke. -- Braunschweig, Westermann. -- Bd. 1 u. 2. Die Möve. --
Wiederum eine Dichterin, und zwar, wie man allgemein annimmt, Frau
Cecilia de Arrom, geb. I7ö7 in der Schweiz, die Tochter I. N. Böhls,
eines Schülers von Campe, der den Lesern des Robinson als der kleine Jo¬
hannes bekannt ist. Ihr erstes Lebensjahr brachte sie in Hamburg und Braun¬
schweig zu, dann 7 Jahre in Spanien, dann wieder in Hamburg, 'wo ihre
Erziehung vollendet wurde. Seit 1813 lebt sie in Spanien; jetzt in dritter
Ehe in Sevilla, in den angenehmsten Verhältnissen. -- Die "Möve" ist ihr
erster Roman, 1847; es folgen eine ganze Reihe daraus, durch deren Ueber-
setzung sich Hr. Lemcke um uns ein wahrhaftes Verdienst erwirbt, denn er lehrt
uns ein ganz neues Genre kennen. Aber in einem Punkt können wir sein
Zerfahren nicht billigen. -- "Wir würden," sagt er, "geglaubt haben, den Ge-
nuß unserer Leser zu beeinträchtigen, wenn wir nicht Alles, was in diesen
Werken nach religiöser Polemik schmeckt, unterdrückt Hütten;" -- und das
scheint ziemlich viel zu sein. Wir glauben, daß die Erscheinung dieser fremden
Natur an Interesse gar nicht verlieren würde, wenn sie uns in ihrer ganzen
Fremdheit, mit allen Vorzügen und Schwächen vorgeführt wäre. Denn was
der Uebersetzer von dem deutschen Gemüth seiner Dichterin rühmt, möchte auf
^e Neigung herauskommen, die Deutschen als gemüthliche Schwachköpse zu
verspotten, wie hier in der Person des Dr. Stein geschieht. Gerade so macht
^ Sealssield mit seinem "Bohne" in "Süden und Norden." Gemüth finden
wir bei Fernau Caballero nicht viel, desto mehr Farbe und Zeichnung, und das
^ für das Studium des spanischen Volkslebens ungleich wichtiger. Die Fi¬
guren treten sammt und sonders aus der Leinwand hervor; vor allem die
b^den Hauptpersonen, die Sängerin Marisaladn und der Stierfechter Pepe
Aerci, beides Originalen, wenn auch die erste etwas an Mörimäes Carmen
Und ein Thackcraus Bccku Sharp erinnert; zwei brillante Erscheinungen in


Grenzboten IV. 1859. , 63

Helty gehören in diesen Lebenskreis. In Adam sind die innern Kämpfe eines
robusten Gemüths auf eine ergreifende Weise dargestellt: eine harte Natur, die
aber um so tiefer erschüttert wird, wenn das Leben sie wirklich einmal trifft.
Man nimmt ernsten Antheil an diesen Lebenswirrcn — freilich mit dem Gefühl,
daß sie uns eigentlich etwas fern liegen. Denn darin liegt der Mangel der
„realistischen" Schule: sie zwingt uns nicht durch Kunst, ihr Gehör zu geben,
sondern sie sucht zunächst Sympathien für unsere Mitmenschen in uns zu er¬
wecken, um des guten Zweckes willen, wir haben aber auch etwas Langeweile in
Kauf zu nehmen. — W.Scott hat es anders gemacht; seine Jenny Deans und
die ganze Familie haben nicht erst nöthig, unsere Menschenliebe im Allgemeinen
aufzurufen. — Aber als Studie einer wichtigen Volksschicht hat Adam Bete
doch großes Interesse, vielleicht gerade für den Ausländer.

Ausgewählte Werke von Fernau Caballero; aus dem Spanischen von
L. G. Lemcke. — Braunschweig, Westermann. — Bd. 1 u. 2. Die Möve. —
Wiederum eine Dichterin, und zwar, wie man allgemein annimmt, Frau
Cecilia de Arrom, geb. I7ö7 in der Schweiz, die Tochter I. N. Böhls,
eines Schülers von Campe, der den Lesern des Robinson als der kleine Jo¬
hannes bekannt ist. Ihr erstes Lebensjahr brachte sie in Hamburg und Braun¬
schweig zu, dann 7 Jahre in Spanien, dann wieder in Hamburg, 'wo ihre
Erziehung vollendet wurde. Seit 1813 lebt sie in Spanien; jetzt in dritter
Ehe in Sevilla, in den angenehmsten Verhältnissen. — Die „Möve" ist ihr
erster Roman, 1847; es folgen eine ganze Reihe daraus, durch deren Ueber-
setzung sich Hr. Lemcke um uns ein wahrhaftes Verdienst erwirbt, denn er lehrt
uns ein ganz neues Genre kennen. Aber in einem Punkt können wir sein
Zerfahren nicht billigen. — „Wir würden," sagt er, „geglaubt haben, den Ge-
nuß unserer Leser zu beeinträchtigen, wenn wir nicht Alles, was in diesen
Werken nach religiöser Polemik schmeckt, unterdrückt Hütten;" — und das
scheint ziemlich viel zu sein. Wir glauben, daß die Erscheinung dieser fremden
Natur an Interesse gar nicht verlieren würde, wenn sie uns in ihrer ganzen
Fremdheit, mit allen Vorzügen und Schwächen vorgeführt wäre. Denn was
der Uebersetzer von dem deutschen Gemüth seiner Dichterin rühmt, möchte auf
^e Neigung herauskommen, die Deutschen als gemüthliche Schwachköpse zu
verspotten, wie hier in der Person des Dr. Stein geschieht. Gerade so macht
^ Sealssield mit seinem „Bohne" in „Süden und Norden." Gemüth finden
wir bei Fernau Caballero nicht viel, desto mehr Farbe und Zeichnung, und das
^ für das Studium des spanischen Volkslebens ungleich wichtiger. Die Fi¬
guren treten sammt und sonders aus der Leinwand hervor; vor allem die
b^den Hauptpersonen, die Sängerin Marisaladn und der Stierfechter Pepe
Aerci, beides Originalen, wenn auch die erste etwas an Mörimäes Carmen
Und ein Thackcraus Bccku Sharp erinnert; zwei brillante Erscheinungen in


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[0509] Helty gehören in diesen Lebenskreis. In Adam sind die innern Kämpfe eines robusten Gemüths auf eine ergreifende Weise dargestellt: eine harte Natur, die aber um so tiefer erschüttert wird, wenn das Leben sie wirklich einmal trifft. Man nimmt ernsten Antheil an diesen Lebenswirrcn — freilich mit dem Gefühl, daß sie uns eigentlich etwas fern liegen. Denn darin liegt der Mangel der „realistischen" Schule: sie zwingt uns nicht durch Kunst, ihr Gehör zu geben, sondern sie sucht zunächst Sympathien für unsere Mitmenschen in uns zu er¬ wecken, um des guten Zweckes willen, wir haben aber auch etwas Langeweile in Kauf zu nehmen. — W.Scott hat es anders gemacht; seine Jenny Deans und die ganze Familie haben nicht erst nöthig, unsere Menschenliebe im Allgemeinen aufzurufen. — Aber als Studie einer wichtigen Volksschicht hat Adam Bete doch großes Interesse, vielleicht gerade für den Ausländer. Ausgewählte Werke von Fernau Caballero; aus dem Spanischen von L. G. Lemcke. — Braunschweig, Westermann. — Bd. 1 u. 2. Die Möve. — Wiederum eine Dichterin, und zwar, wie man allgemein annimmt, Frau Cecilia de Arrom, geb. I7ö7 in der Schweiz, die Tochter I. N. Böhls, eines Schülers von Campe, der den Lesern des Robinson als der kleine Jo¬ hannes bekannt ist. Ihr erstes Lebensjahr brachte sie in Hamburg und Braun¬ schweig zu, dann 7 Jahre in Spanien, dann wieder in Hamburg, 'wo ihre Erziehung vollendet wurde. Seit 1813 lebt sie in Spanien; jetzt in dritter Ehe in Sevilla, in den angenehmsten Verhältnissen. — Die „Möve" ist ihr erster Roman, 1847; es folgen eine ganze Reihe daraus, durch deren Ueber- setzung sich Hr. Lemcke um uns ein wahrhaftes Verdienst erwirbt, denn er lehrt uns ein ganz neues Genre kennen. Aber in einem Punkt können wir sein Zerfahren nicht billigen. — „Wir würden," sagt er, „geglaubt haben, den Ge- nuß unserer Leser zu beeinträchtigen, wenn wir nicht Alles, was in diesen Werken nach religiöser Polemik schmeckt, unterdrückt Hütten;" — und das scheint ziemlich viel zu sein. Wir glauben, daß die Erscheinung dieser fremden Natur an Interesse gar nicht verlieren würde, wenn sie uns in ihrer ganzen Fremdheit, mit allen Vorzügen und Schwächen vorgeführt wäre. Denn was der Uebersetzer von dem deutschen Gemüth seiner Dichterin rühmt, möchte auf ^e Neigung herauskommen, die Deutschen als gemüthliche Schwachköpse zu verspotten, wie hier in der Person des Dr. Stein geschieht. Gerade so macht ^ Sealssield mit seinem „Bohne" in „Süden und Norden." Gemüth finden wir bei Fernau Caballero nicht viel, desto mehr Farbe und Zeichnung, und das ^ für das Studium des spanischen Volkslebens ungleich wichtiger. Die Fi¬ guren treten sammt und sonders aus der Leinwand hervor; vor allem die b^den Hauptpersonen, die Sängerin Marisaladn und der Stierfechter Pepe Aerci, beides Originalen, wenn auch die erste etwas an Mörimäes Carmen Und ein Thackcraus Bccku Sharp erinnert; zwei brillante Erscheinungen in Grenzboten IV. 1859. , 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/509>, abgerufen am 23.07.2024.