Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schiller, als er ihn nach Körners Versicherung sehr verehrte; über Jean Paul
und Jakobi (nach dem Zeugniß des erstem), als er für beide schwärmte. Bei
einer so durch und durch unwahren Natur wie Fr. Schlegel (man lese das
vernichtende Zeugniß seines Bruders, Werke Bd. 8) ist es freilich mißlich, zu
untersuchen, was gemacht ist; aber eine solche Natur war am wenigsten
geeignet, einen Lessing zu würdigen, dessen innerster Kern ein leidenschaftlicher
Durst nach Wahrheit (bis zum krankhaften) war. -- Auch hätte bei den Di¬
thyramben über Goethe S. 2221 angemerkt werden können, daß diese Art
starkriechenden Weihrauchs ebenso geeignet war, dem großen Dichter Feinde
als Verehrer zu schaffen. Man erinnere sich an Schillers Brief an die Gräfin
Schimmelmann und an Hubers Recensionen im Freimüthigen. Es herrscht
noch dazu in diesen Urtheilen eine grenzenlose Unsicherheit. Schlegel charak-
terisirt (S. 2225) Goethe im Gegensatz von Schiller: "er könne fast nicht um¬
hin, auch das Geringste in seiner Art rein zu vollenden, er bleibe mit be¬
wundernswürdiger Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr hin uninteressant
und trivial zu sein, seinem einmal bestimmten Zwecke treu." Wie paßt das
auf Goethe? der fast überall die Neigung hatte, im Fragment stecken zu blei¬
ben. Ungefähr dasselbe sagt Novalis in seinen Paradoxien über W. Meister,
wo dem Dichter des Faust das Prädicat "reinlich, nett und praktisch" bei¬
gelegt wird. Wer von den beiden Freunden den andern angesteckt habe, ist
schwer zu untersuchen. -- S. 2228.' Daß Fr. Schlegels Bekanntschaft mit dem
transscendentalen Idealismus sehr oberflächlich war, bezeugt Jean Paul in den
Briefen an Hacobi. Seine wahre Meinung über Fichte,-- freilich in den
milden, zarten Formen der Periode von 1807--12 -- hat Fr. Schlegel in
den Heidelberger Jahrbüchern ausgesprochen. -- S. 2229. Die Auseinander¬
setzung des Fichteschen Systems und seines Verhältnisses zum Kantischen ist
Zwar nur als ein Parergon gegeben; aber gerade weil die von dem Begriff
eines stetigen Fortschritts in der deutschen Speculation seit Kant ausgehenden
Lehrbücher der Geschichte der Philosophie das Verhältniß auf dieselbe Weise
darstellen, mag hier eine Bemerkung am Ort sein. -- Fichte handelte aller¬
dings in gutem Glauben, wenn er sein System imxlieite im Kantischen schon
vorzufinden glaubte; Kant hat (nicht blos in der öffentlichen Erklärung von
1799. sondern schon einige Jahre früher in den Briefen an seine Schüler) die
entgegengesetzte Ansicht so schneidend als möglich ausgesprochen. Und Kant
hatte Recht. Die Beziehung Fichtes auf Kant ist nur eine scholastische; die
Tendenz ist eine entgegengesetzte. Kant suchte die Grenzen des ap rior isti¬
schen Denkens festzustellen und engte dieselben aus das Aeußerste ein, um
exacten Wissenschaft Raum zu schaffen; Fichte wollte die ganze Wissen¬
schaft aphoristisch machen. -- In der Metaphysik mochte das gehen; aber eine
Philosophie erkennt man an den Früchten. "Der geschlossene Handelsstaat"


Ärenzbolen IV. 1859. 49

Schiller, als er ihn nach Körners Versicherung sehr verehrte; über Jean Paul
und Jakobi (nach dem Zeugniß des erstem), als er für beide schwärmte. Bei
einer so durch und durch unwahren Natur wie Fr. Schlegel (man lese das
vernichtende Zeugniß seines Bruders, Werke Bd. 8) ist es freilich mißlich, zu
untersuchen, was gemacht ist; aber eine solche Natur war am wenigsten
geeignet, einen Lessing zu würdigen, dessen innerster Kern ein leidenschaftlicher
Durst nach Wahrheit (bis zum krankhaften) war. — Auch hätte bei den Di¬
thyramben über Goethe S. 2221 angemerkt werden können, daß diese Art
starkriechenden Weihrauchs ebenso geeignet war, dem großen Dichter Feinde
als Verehrer zu schaffen. Man erinnere sich an Schillers Brief an die Gräfin
Schimmelmann und an Hubers Recensionen im Freimüthigen. Es herrscht
noch dazu in diesen Urtheilen eine grenzenlose Unsicherheit. Schlegel charak-
terisirt (S. 2225) Goethe im Gegensatz von Schiller: „er könne fast nicht um¬
hin, auch das Geringste in seiner Art rein zu vollenden, er bleibe mit be¬
wundernswürdiger Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr hin uninteressant
und trivial zu sein, seinem einmal bestimmten Zwecke treu." Wie paßt das
auf Goethe? der fast überall die Neigung hatte, im Fragment stecken zu blei¬
ben. Ungefähr dasselbe sagt Novalis in seinen Paradoxien über W. Meister,
wo dem Dichter des Faust das Prädicat „reinlich, nett und praktisch" bei¬
gelegt wird. Wer von den beiden Freunden den andern angesteckt habe, ist
schwer zu untersuchen. — S. 2228.' Daß Fr. Schlegels Bekanntschaft mit dem
transscendentalen Idealismus sehr oberflächlich war, bezeugt Jean Paul in den
Briefen an Hacobi. Seine wahre Meinung über Fichte,— freilich in den
milden, zarten Formen der Periode von 1807—12 — hat Fr. Schlegel in
den Heidelberger Jahrbüchern ausgesprochen. — S. 2229. Die Auseinander¬
setzung des Fichteschen Systems und seines Verhältnisses zum Kantischen ist
Zwar nur als ein Parergon gegeben; aber gerade weil die von dem Begriff
eines stetigen Fortschritts in der deutschen Speculation seit Kant ausgehenden
Lehrbücher der Geschichte der Philosophie das Verhältniß auf dieselbe Weise
darstellen, mag hier eine Bemerkung am Ort sein. — Fichte handelte aller¬
dings in gutem Glauben, wenn er sein System imxlieite im Kantischen schon
vorzufinden glaubte; Kant hat (nicht blos in der öffentlichen Erklärung von
1799. sondern schon einige Jahre früher in den Briefen an seine Schüler) die
entgegengesetzte Ansicht so schneidend als möglich ausgesprochen. Und Kant
hatte Recht. Die Beziehung Fichtes auf Kant ist nur eine scholastische; die
Tendenz ist eine entgegengesetzte. Kant suchte die Grenzen des ap rior isti¬
schen Denkens festzustellen und engte dieselben aus das Aeußerste ein, um
exacten Wissenschaft Raum zu schaffen; Fichte wollte die ganze Wissen¬
schaft aphoristisch machen. — In der Metaphysik mochte das gehen; aber eine
Philosophie erkennt man an den Früchten. „Der geschlossene Handelsstaat"


Ärenzbolen IV. 1859. 49
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108527"/>
          <p xml:id="ID_1258" prev="#ID_1257" next="#ID_1259"> Schiller, als er ihn nach Körners Versicherung sehr verehrte; über Jean Paul<lb/>
und Jakobi (nach dem Zeugniß des erstem), als er für beide schwärmte. Bei<lb/>
einer so durch und durch unwahren Natur wie Fr. Schlegel (man lese das<lb/>
vernichtende Zeugniß seines Bruders, Werke Bd. 8) ist es freilich mißlich, zu<lb/>
untersuchen, was gemacht ist; aber eine solche Natur war am wenigsten<lb/>
geeignet, einen Lessing zu würdigen, dessen innerster Kern ein leidenschaftlicher<lb/>
Durst nach Wahrheit (bis zum krankhaften) war. &#x2014; Auch hätte bei den Di¬<lb/>
thyramben über Goethe S. 2221 angemerkt werden können, daß diese Art<lb/>
starkriechenden Weihrauchs ebenso geeignet war, dem großen Dichter Feinde<lb/>
als Verehrer zu schaffen. Man erinnere sich an Schillers Brief an die Gräfin<lb/>
Schimmelmann und an Hubers Recensionen im Freimüthigen. Es herrscht<lb/>
noch dazu in diesen Urtheilen eine grenzenlose Unsicherheit. Schlegel charak-<lb/>
terisirt (S. 2225) Goethe im Gegensatz von Schiller: &#x201E;er könne fast nicht um¬<lb/>
hin, auch das Geringste in seiner Art rein zu vollenden, er bleibe mit be¬<lb/>
wundernswürdiger Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr hin uninteressant<lb/>
und trivial zu sein, seinem einmal bestimmten Zwecke treu." Wie paßt das<lb/>
auf Goethe? der fast überall die Neigung hatte, im Fragment stecken zu blei¬<lb/>
ben. Ungefähr dasselbe sagt Novalis in seinen Paradoxien über W. Meister,<lb/>
wo dem Dichter des Faust das Prädicat &#x201E;reinlich, nett und praktisch" bei¬<lb/>
gelegt wird. Wer von den beiden Freunden den andern angesteckt habe, ist<lb/>
schwer zu untersuchen. &#x2014; S. 2228.' Daß Fr. Schlegels Bekanntschaft mit dem<lb/>
transscendentalen Idealismus sehr oberflächlich war, bezeugt Jean Paul in den<lb/>
Briefen an Hacobi. Seine wahre Meinung über Fichte,&#x2014; freilich in den<lb/>
milden, zarten Formen der Periode von 1807&#x2014;12 &#x2014; hat Fr. Schlegel in<lb/>
den Heidelberger Jahrbüchern ausgesprochen. &#x2014; S. 2229. Die Auseinander¬<lb/>
setzung des Fichteschen Systems und seines Verhältnisses zum Kantischen ist<lb/>
Zwar nur als ein Parergon gegeben; aber gerade weil die von dem Begriff<lb/>
eines stetigen Fortschritts in der deutschen Speculation seit Kant ausgehenden<lb/>
Lehrbücher der Geschichte der Philosophie das Verhältniß auf dieselbe Weise<lb/>
darstellen, mag hier eine Bemerkung am Ort sein. &#x2014; Fichte handelte aller¬<lb/>
dings in gutem Glauben, wenn er sein System imxlieite im Kantischen schon<lb/>
vorzufinden glaubte; Kant hat (nicht blos in der öffentlichen Erklärung von<lb/>
1799. sondern schon einige Jahre früher in den Briefen an seine Schüler) die<lb/>
entgegengesetzte Ansicht so schneidend als möglich ausgesprochen. Und Kant<lb/>
hatte Recht. Die Beziehung Fichtes auf Kant ist nur eine scholastische; die<lb/>
Tendenz ist eine entgegengesetzte. Kant suchte die Grenzen des ap rior isti¬<lb/>
schen Denkens festzustellen und engte dieselben aus das Aeußerste ein, um<lb/>
exacten Wissenschaft Raum zu schaffen; Fichte wollte die ganze Wissen¬<lb/>
schaft aphoristisch machen. &#x2014; In der Metaphysik mochte das gehen; aber eine<lb/>
Philosophie erkennt man an den Früchten.  &#x201E;Der geschlossene Handelsstaat"</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Ärenzbolen IV. 1859. 49</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0397] Schiller, als er ihn nach Körners Versicherung sehr verehrte; über Jean Paul und Jakobi (nach dem Zeugniß des erstem), als er für beide schwärmte. Bei einer so durch und durch unwahren Natur wie Fr. Schlegel (man lese das vernichtende Zeugniß seines Bruders, Werke Bd. 8) ist es freilich mißlich, zu untersuchen, was gemacht ist; aber eine solche Natur war am wenigsten geeignet, einen Lessing zu würdigen, dessen innerster Kern ein leidenschaftlicher Durst nach Wahrheit (bis zum krankhaften) war. — Auch hätte bei den Di¬ thyramben über Goethe S. 2221 angemerkt werden können, daß diese Art starkriechenden Weihrauchs ebenso geeignet war, dem großen Dichter Feinde als Verehrer zu schaffen. Man erinnere sich an Schillers Brief an die Gräfin Schimmelmann und an Hubers Recensionen im Freimüthigen. Es herrscht noch dazu in diesen Urtheilen eine grenzenlose Unsicherheit. Schlegel charak- terisirt (S. 2225) Goethe im Gegensatz von Schiller: „er könne fast nicht um¬ hin, auch das Geringste in seiner Art rein zu vollenden, er bleibe mit be¬ wundernswürdiger Selbstbeherrschung, selbst auf die Gefahr hin uninteressant und trivial zu sein, seinem einmal bestimmten Zwecke treu." Wie paßt das auf Goethe? der fast überall die Neigung hatte, im Fragment stecken zu blei¬ ben. Ungefähr dasselbe sagt Novalis in seinen Paradoxien über W. Meister, wo dem Dichter des Faust das Prädicat „reinlich, nett und praktisch" bei¬ gelegt wird. Wer von den beiden Freunden den andern angesteckt habe, ist schwer zu untersuchen. — S. 2228.' Daß Fr. Schlegels Bekanntschaft mit dem transscendentalen Idealismus sehr oberflächlich war, bezeugt Jean Paul in den Briefen an Hacobi. Seine wahre Meinung über Fichte,— freilich in den milden, zarten Formen der Periode von 1807—12 — hat Fr. Schlegel in den Heidelberger Jahrbüchern ausgesprochen. — S. 2229. Die Auseinander¬ setzung des Fichteschen Systems und seines Verhältnisses zum Kantischen ist Zwar nur als ein Parergon gegeben; aber gerade weil die von dem Begriff eines stetigen Fortschritts in der deutschen Speculation seit Kant ausgehenden Lehrbücher der Geschichte der Philosophie das Verhältniß auf dieselbe Weise darstellen, mag hier eine Bemerkung am Ort sein. — Fichte handelte aller¬ dings in gutem Glauben, wenn er sein System imxlieite im Kantischen schon vorzufinden glaubte; Kant hat (nicht blos in der öffentlichen Erklärung von 1799. sondern schon einige Jahre früher in den Briefen an seine Schüler) die entgegengesetzte Ansicht so schneidend als möglich ausgesprochen. Und Kant hatte Recht. Die Beziehung Fichtes auf Kant ist nur eine scholastische; die Tendenz ist eine entgegengesetzte. Kant suchte die Grenzen des ap rior isti¬ schen Denkens festzustellen und engte dieselben aus das Aeußerste ein, um exacten Wissenschaft Raum zu schaffen; Fichte wollte die ganze Wissen¬ schaft aphoristisch machen. — In der Metaphysik mochte das gehen; aber eine Philosophie erkennt man an den Früchten. „Der geschlossene Handelsstaat" Ärenzbolen IV. 1859. 49

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/397
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/397>, abgerufen am 24.08.2024.