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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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setzen sollen, daß Schlegel sie später zurücknahm. -- Wenn Schlegel S. 2182
"ein Meister im Technischen der Poesie" genannt wird, so gebe ich das für die
Uebersetzungen zu. nicht aber für seine eigne Lyrik, die fast durchweg auch in der
For-in verfehlt, mitunter gradezu barbarisch ist.--S. 2195. Die historische Recht¬
fertigung der Verbindung der Kirche mit den Künsten, sowie die transscendentale
Auslegung des Wortes Glaube ist geistreich; sie ist aber zweideutig: theils
weil sie Wackenrode nicht richtig auslegt, theils weil Schlegel selbst in seinen Ge¬
dichten lz, B. Bund der Kirche mit den Künsten; Widmung an die südliche"
Dichter) jenen Bund nicht etwa blos historisch schildert, sondern ihn als etwas,
was auch jetzt sein sollte, in heftiger Deklamation feststellt. -- Hier mochte
doch Stollberg den Dichter der "Götter Griechenlands" "am Ohr zupfen." ^
Die Angaben der einzelnen "Freunde" über die Zeit ihrer Bekanntschaft sind
ungenau und widersprechend; mit Recht hat Koberstein das Tagebuch von Gries
zu Grunde gelegt. -- S. 220K. daß Schleiermachers (gedruckte) Briefe das
beste Bild von Fr. Schlegels Persönlichkeit geben, glaube ich nicht; Schleier¬
macher war damals geneigt, sich jeder einigermaßen imponirenden Erscheinung
unterzuordnen; die ungedruckten Briefe (im Nachlaß des Predigers Jonas) sollen
das Verhältniß viel bedeutender darstellen. Vorläufig geben die Briefe an
Earoline Paulus und an Nahe! (auch von Dorothea, bei Dorow) Anhalts¬
punkte genug. -- Auf Fichtes Aeußerung über Schlegels Erschlaffung 1?^
(S. 2208) möchte ich kein großes Gewicht legen Fichte wurde in seinem Ur¬
theil sehr durch die Persönlichkeit bestimmt, und das beständige Zusammenleben
mit einem geistreichen Manne, bei dem man aber nie wußte, was Ernst und
was Scherz war, mochte ihm auf die Länge sehr lästig werden. -- S. 2209-
In einer Seite der Technik verdient Fr. Schlegeln Lyrik entschieden den Vor¬
zug vor der seines' Bruders, in der musikalische Klangfarbe. -- S. 2214 ff-
Fr. Schlegels. Urtheil über Lessing. Kobersteii" verwahrt sich auf diesen Sei¬
ten durch Ausrufungszeichen gegen einige gar zu tolle Einfälle Schlegels; da¬
gegen sagt, er S. 2332, das Urtheil erhalte viel Tiefgcdachtes und Wahres-
-- Der unbefangene Leser wird in diesen Excerpten vergebens nach dem Tief-
gedachten und Wahren suchen, und selbst wenn einige Sätze von Bedeutung
sein sollen, so muß das Ganze, namentlich der Ton, einen skandalösen Ein¬
druck machen. Auch daß Schlegel später das Aergste zurückgenommen habe,
ist nicht genau: die tollste Aeußerung, "daß dem Ganzen (der Emilie Galott')
aller Werth abgesprochen werden muß," gehört sogar (S. 2217) der spätern
Version an. Und hier fand Koberstein kein Ausrufungszeichen nöthig? ^
Die geistreichen Faseleien dieses Aussatzes (Faselei ist der gelindeste Nanu')
haben unendlichen Schaden angerichtet. Für mich ist er psychologisch "'"'k'
würdig. Die Begeisterung für Lessing scheint aufrichtig; dagegen findet Schlei
bei ihm fast Alles zu verwerfen. Aehnlich schrieb er die erste grobe Recension über


setzen sollen, daß Schlegel sie später zurücknahm. — Wenn Schlegel S. 2182
„ein Meister im Technischen der Poesie" genannt wird, so gebe ich das für die
Uebersetzungen zu. nicht aber für seine eigne Lyrik, die fast durchweg auch in der
For-in verfehlt, mitunter gradezu barbarisch ist.—S. 2195. Die historische Recht¬
fertigung der Verbindung der Kirche mit den Künsten, sowie die transscendentale
Auslegung des Wortes Glaube ist geistreich; sie ist aber zweideutig: theils
weil sie Wackenrode nicht richtig auslegt, theils weil Schlegel selbst in seinen Ge¬
dichten lz, B. Bund der Kirche mit den Künsten; Widmung an die südliche"
Dichter) jenen Bund nicht etwa blos historisch schildert, sondern ihn als etwas,
was auch jetzt sein sollte, in heftiger Deklamation feststellt. — Hier mochte
doch Stollberg den Dichter der „Götter Griechenlands" „am Ohr zupfen." ^
Die Angaben der einzelnen „Freunde" über die Zeit ihrer Bekanntschaft sind
ungenau und widersprechend; mit Recht hat Koberstein das Tagebuch von Gries
zu Grunde gelegt. — S. 220K. daß Schleiermachers (gedruckte) Briefe das
beste Bild von Fr. Schlegels Persönlichkeit geben, glaube ich nicht; Schleier¬
macher war damals geneigt, sich jeder einigermaßen imponirenden Erscheinung
unterzuordnen; die ungedruckten Briefe (im Nachlaß des Predigers Jonas) sollen
das Verhältniß viel bedeutender darstellen. Vorläufig geben die Briefe an
Earoline Paulus und an Nahe! (auch von Dorothea, bei Dorow) Anhalts¬
punkte genug. — Auf Fichtes Aeußerung über Schlegels Erschlaffung 1?^
(S. 2208) möchte ich kein großes Gewicht legen Fichte wurde in seinem Ur¬
theil sehr durch die Persönlichkeit bestimmt, und das beständige Zusammenleben
mit einem geistreichen Manne, bei dem man aber nie wußte, was Ernst und
was Scherz war, mochte ihm auf die Länge sehr lästig werden. — S. 2209-
In einer Seite der Technik verdient Fr. Schlegeln Lyrik entschieden den Vor¬
zug vor der seines' Bruders, in der musikalische Klangfarbe. — S. 2214 ff-
Fr. Schlegels. Urtheil über Lessing. Kobersteii» verwahrt sich auf diesen Sei¬
ten durch Ausrufungszeichen gegen einige gar zu tolle Einfälle Schlegels; da¬
gegen sagt, er S. 2332, das Urtheil erhalte viel Tiefgcdachtes und Wahres-
— Der unbefangene Leser wird in diesen Excerpten vergebens nach dem Tief-
gedachten und Wahren suchen, und selbst wenn einige Sätze von Bedeutung
sein sollen, so muß das Ganze, namentlich der Ton, einen skandalösen Ein¬
druck machen. Auch daß Schlegel später das Aergste zurückgenommen habe,
ist nicht genau: die tollste Aeußerung, „daß dem Ganzen (der Emilie Galott')
aller Werth abgesprochen werden muß," gehört sogar (S. 2217) der spätern
Version an. Und hier fand Koberstein kein Ausrufungszeichen nöthig? ^
Die geistreichen Faseleien dieses Aussatzes (Faselei ist der gelindeste Nanu')
haben unendlichen Schaden angerichtet. Für mich ist er psychologisch "'"'k'
würdig. Die Begeisterung für Lessing scheint aufrichtig; dagegen findet Schlei
bei ihm fast Alles zu verwerfen. Aehnlich schrieb er die erste grobe Recension über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/396>, abgerufen am 24.08.2024.