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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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und 1794. Dieser Cultus war das verbindende Glied zwischen Tieck und den
andern Berlinern einerseits, Schlegel und den andern Jenensern andererseits.
Den positiven Inhalt aber gaben die erstem, während die letztern noch im
Dienst der Hören nach einem unterscheidenden Standpunkt suchten. Was
hätte geschehen können, wenn Schiller 1797 nicht mit den Schlegeln gebrochen
und sie dadurch nicht zum Anschluß an eine ihnen bis dahin fremde Richtung
gleichsam genöthigt hätte, ist freilich eine müßige Frage. -- S. 2138. Markus
Herz war der bevorzugte Freund, Schüler und Correspondent Kants.

§ 327. S. 2133, -- Tieck, -- Für die Lebensbeschreibung Tiecks hatKober-
stein natürlich das Buch von Köpke zu Grunde gelegt. Dieses Buch verdient
das ihm ertheilte Lob in hohem Grade, doch sind über den literarhistorischen Ge¬
brauch desselben noch einige Bemerkungen zu machen. Die im Nachtrag hinzuge¬
fügten Unterhaltungen mit Tieck sind im Ganzen werthlos; es kommt in denselben
fast kein einziger Gedanke vor, der nicht von Tieck in seinen Schriften bereits irgend¬
wo besser und ausführlicher ausgesprochen wäre. Wo es irgend ging, hat Köpke
die biographischen Notizen Tiecks aus den Vorreden seiner gesammelten Werke
benutzt, auch verschiedene Aeußerungen aus den spätern Novellen; was
ganz in der Ordnung war, nur hätte er jedesmal die Stelle citiren sollen, da
das Maß von Glaubwürdigkeit, welches diesen Berichten zukommt, zum Theil
von der Periode abhängt, in welcher diese Erinnerungen bei Tieck auftauchten.
Weit mehr als auf Goethes Memoiren kann man auf diese Erinnerungen Tiecks
die Bezeichnung Dichtung und Wahrheit anwenden. Der geistvolle und
hochbegabte Mann führte zu allen Zeiten ein sehr energisches Phantasieleben,
Und die Virtuosität, mit welcher in seinen Novellen Paul Pommer und ähnliche
Figuren chnrakterisirt werden, spricht doch für eine verwandte Richtung in seinem
Innern. Die psychologische Erklärung, die er für die seltsamen Jrrgänge
feiner dichterischen Laufbahn findet, klingt sehr zusammenhängend, aber sie ist
doch mit großer Vorsicht aufzunehmen; und da es leider aus seiner Sturm-
Und Drangperiode an unmittelbaren Lebensäußerungen fast gänzlich fehlt, so
ist es sicherer, seine zahlreichen Werke, die für sich selbst sprechen, zu Grunde
^ legen, als seine nachträglichen Reminiscenzen. Die Bemühung, in seinem
Bildungsgang eine regelmäßige Entwickelung zu .verfolgen, wird noch dadurch
erschwert, daß bei ihm die grellsten Contraste hart an einander stoßen. Ich
^c>che z.B. auf den poetischen Dialog "der Autor" aufmerksam, eine von sei-
nen zahlreichen vcrsisicirten Recensionen. Während in der Polemik gegen Nicolai
Und die übrigen Aufklärer ganz die Weise Fr. Schlegels, fast bis auf die ein¬
zelnen Worte, festgehalten wird, verspottet Tieck zugleich seine eignen Nach¬
folger und zwar mit glänzendem Witz; man kann seine eigene Lyrik nicht besser
travestiren, als er es hier selber gethan. Diesen Scherz paraphrasirr er in sei¬
nen spätern Erinnerungen als eine veränderte Stimmung gegen die Romantik,


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und 1794. Dieser Cultus war das verbindende Glied zwischen Tieck und den
andern Berlinern einerseits, Schlegel und den andern Jenensern andererseits.
Den positiven Inhalt aber gaben die erstem, während die letztern noch im
Dienst der Hören nach einem unterscheidenden Standpunkt suchten. Was
hätte geschehen können, wenn Schiller 1797 nicht mit den Schlegeln gebrochen
und sie dadurch nicht zum Anschluß an eine ihnen bis dahin fremde Richtung
gleichsam genöthigt hätte, ist freilich eine müßige Frage. — S. 2138. Markus
Herz war der bevorzugte Freund, Schüler und Correspondent Kants.

§ 327. S. 2133, — Tieck, — Für die Lebensbeschreibung Tiecks hatKober-
stein natürlich das Buch von Köpke zu Grunde gelegt. Dieses Buch verdient
das ihm ertheilte Lob in hohem Grade, doch sind über den literarhistorischen Ge¬
brauch desselben noch einige Bemerkungen zu machen. Die im Nachtrag hinzuge¬
fügten Unterhaltungen mit Tieck sind im Ganzen werthlos; es kommt in denselben
fast kein einziger Gedanke vor, der nicht von Tieck in seinen Schriften bereits irgend¬
wo besser und ausführlicher ausgesprochen wäre. Wo es irgend ging, hat Köpke
die biographischen Notizen Tiecks aus den Vorreden seiner gesammelten Werke
benutzt, auch verschiedene Aeußerungen aus den spätern Novellen; was
ganz in der Ordnung war, nur hätte er jedesmal die Stelle citiren sollen, da
das Maß von Glaubwürdigkeit, welches diesen Berichten zukommt, zum Theil
von der Periode abhängt, in welcher diese Erinnerungen bei Tieck auftauchten.
Weit mehr als auf Goethes Memoiren kann man auf diese Erinnerungen Tiecks
die Bezeichnung Dichtung und Wahrheit anwenden. Der geistvolle und
hochbegabte Mann führte zu allen Zeiten ein sehr energisches Phantasieleben,
Und die Virtuosität, mit welcher in seinen Novellen Paul Pommer und ähnliche
Figuren chnrakterisirt werden, spricht doch für eine verwandte Richtung in seinem
Innern. Die psychologische Erklärung, die er für die seltsamen Jrrgänge
feiner dichterischen Laufbahn findet, klingt sehr zusammenhängend, aber sie ist
doch mit großer Vorsicht aufzunehmen; und da es leider aus seiner Sturm-
Und Drangperiode an unmittelbaren Lebensäußerungen fast gänzlich fehlt, so
ist es sicherer, seine zahlreichen Werke, die für sich selbst sprechen, zu Grunde
^ legen, als seine nachträglichen Reminiscenzen. Die Bemühung, in seinem
Bildungsgang eine regelmäßige Entwickelung zu .verfolgen, wird noch dadurch
erschwert, daß bei ihm die grellsten Contraste hart an einander stoßen. Ich
^c>che z.B. auf den poetischen Dialog „der Autor" aufmerksam, eine von sei-
nen zahlreichen vcrsisicirten Recensionen. Während in der Polemik gegen Nicolai
Und die übrigen Aufklärer ganz die Weise Fr. Schlegels, fast bis auf die ein¬
zelnen Worte, festgehalten wird, verspottet Tieck zugleich seine eignen Nach¬
folger und zwar mit glänzendem Witz; man kann seine eigene Lyrik nicht besser
travestiren, als er es hier selber gethan. Diesen Scherz paraphrasirr er in sei¬
nen spätern Erinnerungen als eine veränderte Stimmung gegen die Romantik,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/391>, abgerufen am 24.08.2024.