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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören," durch ein eingeklammertes Aus¬
rufungszeichen kritisirt. In der That drückt dieser Satz den Grundirrthum
des damaligen Klassicismus aus, in welchen die Romantik sich verstockte,
rien die Zeit lebendig zu bewegen, muß ma'n die Zeit und ihre Lebensmotwe
verstehen, d. h. man muß wirklich ein Bürger der Zeit sein. Die empirische
Probe dieser Wahrheit haben Goethe und Schiller an dem verschiedenen Er¬
folg ihrer Werke gemacht. Als die Romantiker die Dichter des siebzehnten
Jahrhunderts, die von ihrer Zeit mit Recht gefeiert waren, als Beispiel und
Muster der neuen Dichtung empfahlen, versündigten sie sich an dieser Wahr¬
heit; sie richteten ihr eignes und ihrer Schüler Talent zu Grunde und be¬
reiteten durch die Verwirrung des öffentlichen Gefühls die folgende Bar¬
barei vor. Indem ich also Kobersteins Ausrufungszeichen vollständig billige,
Mache ich ihn darauf aufmerksam, daß er es im weitern Verlauf öfters ver¬
gißt. -- Die Entstehungsgeschichte des Wilhelm Meister gehörte eigentlich in
einen folgenden Paragraphen. Die spätere Auffassung Goethes über das
leitende Motiv dieses Buchs (S. 1WK) widerlegt sich durch die Thatsache.
Die Chronologie des Verhältnisses zwischen Goethe und Schiller ist S.
Ani- gegen Düntzer richtig festgestellt. ,

§ 319. S. 197". Die Hören. -- Die Mißgriffe der Herausgeber siud
sehr richtig hervorgehoben; wenn aber, trotzdem, der geringe Erfolg dieser
Zeitschrift hauptsächlich der unvollkommnen Bildung des Publikums beigemessen
wird, so spricht sich darin ein zu großer Einfluß des Schillerschen Briefwech¬
sels aus. Schillers erste Beitrüge waren freilich sehr bedeutend, worin aber
ihre relative Unverständlichkeit lag. hat Fichte ganz richtig auseinander gesetzt,
der wahrhaftig kein Vertreter des Publikums war. Die' letzten Hefte dagegen
verdienten vollkommen die schlechte Aufnahme von Seiten des, Publikums,--
Ich hebe dies hier darum hervor, weil Koberstein. verleitet durch die Aus-
brüche des Unmuths bei Schiller, Fichte, Schlegel u. s. w.. das Publikum,
d- h. die allgemeine Bildung von 1794 u. s. w. zu hart anklagt. -- Daß
Man (S. 1987) "das Reich der Schatten" nicht verstand, war sehr natürlich,
da der Dichter sich in seiner Mystik selber nicht verstanden hatte und da der
Grundgedanke, der ihm allenfalls vorschwebte, die Unabhängigkeit der Kunst
vom Leben, an das vorhin erwähnte Ausrufungszeichen erinnert. -- Ueb-
rigens spricht es für den großen Gerechtigkeitssinn des Verfassers, daß er
iT. 1991) auch in Nicolais Entgegnungen manches Gute findet; ja er möchte
d"rin weiter gehen, als nöthig. -- Von Fichte's Beiträgen zu den Hören
(S. 1983) hätte auch der von Schiller zurückgewiesene erwähnt werden kön¬
nen, als charakteristisch für beide Schriftsteller.

§ 320. S. 1993. Die Xenien. -- Die üblen Wirkungen derselben
^ud richtig charakterisier; was trotzdem zu ihrer Rechtfertigung angeführt wird,


keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören," durch ein eingeklammertes Aus¬
rufungszeichen kritisirt. In der That drückt dieser Satz den Grundirrthum
des damaligen Klassicismus aus, in welchen die Romantik sich verstockte,
rien die Zeit lebendig zu bewegen, muß ma'n die Zeit und ihre Lebensmotwe
verstehen, d. h. man muß wirklich ein Bürger der Zeit sein. Die empirische
Probe dieser Wahrheit haben Goethe und Schiller an dem verschiedenen Er¬
folg ihrer Werke gemacht. Als die Romantiker die Dichter des siebzehnten
Jahrhunderts, die von ihrer Zeit mit Recht gefeiert waren, als Beispiel und
Muster der neuen Dichtung empfahlen, versündigten sie sich an dieser Wahr¬
heit; sie richteten ihr eignes und ihrer Schüler Talent zu Grunde und be¬
reiteten durch die Verwirrung des öffentlichen Gefühls die folgende Bar¬
barei vor. Indem ich also Kobersteins Ausrufungszeichen vollständig billige,
Mache ich ihn darauf aufmerksam, daß er es im weitern Verlauf öfters ver¬
gißt. — Die Entstehungsgeschichte des Wilhelm Meister gehörte eigentlich in
einen folgenden Paragraphen. Die spätere Auffassung Goethes über das
leitende Motiv dieses Buchs (S. 1WK) widerlegt sich durch die Thatsache.
Die Chronologie des Verhältnisses zwischen Goethe und Schiller ist S.
Ani- gegen Düntzer richtig festgestellt. ,

§ 319. S. 197». Die Hören. — Die Mißgriffe der Herausgeber siud
sehr richtig hervorgehoben; wenn aber, trotzdem, der geringe Erfolg dieser
Zeitschrift hauptsächlich der unvollkommnen Bildung des Publikums beigemessen
wird, so spricht sich darin ein zu großer Einfluß des Schillerschen Briefwech¬
sels aus. Schillers erste Beitrüge waren freilich sehr bedeutend, worin aber
ihre relative Unverständlichkeit lag. hat Fichte ganz richtig auseinander gesetzt,
der wahrhaftig kein Vertreter des Publikums war. Die' letzten Hefte dagegen
verdienten vollkommen die schlechte Aufnahme von Seiten des, Publikums,—
Ich hebe dies hier darum hervor, weil Koberstein. verleitet durch die Aus-
brüche des Unmuths bei Schiller, Fichte, Schlegel u. s. w.. das Publikum,
d- h. die allgemeine Bildung von 1794 u. s. w. zu hart anklagt. — Daß
Man (S. 1987) „das Reich der Schatten" nicht verstand, war sehr natürlich,
da der Dichter sich in seiner Mystik selber nicht verstanden hatte und da der
Grundgedanke, der ihm allenfalls vorschwebte, die Unabhängigkeit der Kunst
vom Leben, an das vorhin erwähnte Ausrufungszeichen erinnert. — Ueb-
rigens spricht es für den großen Gerechtigkeitssinn des Verfassers, daß er
iT. 1991) auch in Nicolais Entgegnungen manches Gute findet; ja er möchte
d"rin weiter gehen, als nöthig. — Von Fichte's Beiträgen zu den Hören
(S. 1983) hätte auch der von Schiller zurückgewiesene erwähnt werden kön¬
nen, als charakteristisch für beide Schriftsteller.

§ 320. S. 1993. Die Xenien. — Die üblen Wirkungen derselben
^ud richtig charakterisier; was trotzdem zu ihrer Rechtfertigung angeführt wird,


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[0385] keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören," durch ein eingeklammertes Aus¬ rufungszeichen kritisirt. In der That drückt dieser Satz den Grundirrthum des damaligen Klassicismus aus, in welchen die Romantik sich verstockte, rien die Zeit lebendig zu bewegen, muß ma'n die Zeit und ihre Lebensmotwe verstehen, d. h. man muß wirklich ein Bürger der Zeit sein. Die empirische Probe dieser Wahrheit haben Goethe und Schiller an dem verschiedenen Er¬ folg ihrer Werke gemacht. Als die Romantiker die Dichter des siebzehnten Jahrhunderts, die von ihrer Zeit mit Recht gefeiert waren, als Beispiel und Muster der neuen Dichtung empfahlen, versündigten sie sich an dieser Wahr¬ heit; sie richteten ihr eignes und ihrer Schüler Talent zu Grunde und be¬ reiteten durch die Verwirrung des öffentlichen Gefühls die folgende Bar¬ barei vor. Indem ich also Kobersteins Ausrufungszeichen vollständig billige, Mache ich ihn darauf aufmerksam, daß er es im weitern Verlauf öfters ver¬ gißt. — Die Entstehungsgeschichte des Wilhelm Meister gehörte eigentlich in einen folgenden Paragraphen. Die spätere Auffassung Goethes über das leitende Motiv dieses Buchs (S. 1WK) widerlegt sich durch die Thatsache. Die Chronologie des Verhältnisses zwischen Goethe und Schiller ist S. Ani- gegen Düntzer richtig festgestellt. , § 319. S. 197». Die Hören. — Die Mißgriffe der Herausgeber siud sehr richtig hervorgehoben; wenn aber, trotzdem, der geringe Erfolg dieser Zeitschrift hauptsächlich der unvollkommnen Bildung des Publikums beigemessen wird, so spricht sich darin ein zu großer Einfluß des Schillerschen Briefwech¬ sels aus. Schillers erste Beitrüge waren freilich sehr bedeutend, worin aber ihre relative Unverständlichkeit lag. hat Fichte ganz richtig auseinander gesetzt, der wahrhaftig kein Vertreter des Publikums war. Die' letzten Hefte dagegen verdienten vollkommen die schlechte Aufnahme von Seiten des, Publikums,— Ich hebe dies hier darum hervor, weil Koberstein. verleitet durch die Aus- brüche des Unmuths bei Schiller, Fichte, Schlegel u. s. w.. das Publikum, d- h. die allgemeine Bildung von 1794 u. s. w. zu hart anklagt. — Daß Man (S. 1987) „das Reich der Schatten" nicht verstand, war sehr natürlich, da der Dichter sich in seiner Mystik selber nicht verstanden hatte und da der Grundgedanke, der ihm allenfalls vorschwebte, die Unabhängigkeit der Kunst vom Leben, an das vorhin erwähnte Ausrufungszeichen erinnert. — Ueb- rigens spricht es für den großen Gerechtigkeitssinn des Verfassers, daß er iT. 1991) auch in Nicolais Entgegnungen manches Gute findet; ja er möchte d"rin weiter gehen, als nöthig. — Von Fichte's Beiträgen zu den Hören (S. 1983) hätte auch der von Schiller zurückgewiesene erwähnt werden kön¬ nen, als charakteristisch für beide Schriftsteller. § 320. S. 1993. Die Xenien. — Die üblen Wirkungen derselben ^ud richtig charakterisier; was trotzdem zu ihrer Rechtfertigung angeführt wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/385>, abgerufen am 24.08.2024.