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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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griffen, daß vollständigere Veröffentlichungen nothwendig seien, ohne jedoch
ganz vollständige Veröffentlichungen zu wünschen, und die Sache mußte wieder
an den Ausschuß verwiesen werden. Hier ruhte sie abermals. Im Jah"
1857 erinnerte Preußen und erneuerte den im Jahre 1852 gestellten Antrag-
Der Ausschuß soll hierauf 1858 dem Präsidium seinen Bericht übergeben urrd
dieser Bericht soll drei Meinungen entwickelt haben, ein Minoritätsvotum ge¬
gen alle Veröffentlichungen, ein Majoritätsvotum für Veröffentlichungen, aber
wieder in zwei Ansichten gespalten, von denen die eine dem Antrag Preußens
beitrat, die andere, hauptsächlich von den Mittelstaaten vertreten, sich den
halben Publicationen zuwandte, die im I. 1851 beschlossen worden waren.
Eine Verhandlung über diese Anträge hat aber in der B.-V. nicht stattgefun¬
den, und es scheint darnach, daß der damalige Präsidialgesandte, Freiherr von
Rechberg, den Gegenstand nicht auf die Tagesordnung gebracht hat.

So steht es um diese Frage, um eine überaus wichtige Frage! Wichtig
nicht blos für die Wissenschaft des deutschen Staats- und Bundesrechts, deren
Standpunkt Zachariä in der Vorrede zum zweiten Theile seines Handbuchs
mit unübertrefflichen Worten vertritt, sondern für alle höchsten Interessen der
Nation, die im Bundestag ihr gemeinsames Band und Organ besitzt. Wie
der Bundesausschuß selbst bemerkt, ist es die sonderbarste Anomalie, daß gerade
diese Behörde in einer Zeit, die überall aus Öffentlichkeit hinausdrängt, sich
in Heimlichkeit hüllt, als wäre die Nation für sie nicht vorhanden oder sie
uicht für die Nation! Und doch hat der Bundestag gerade nach seiner Neacti-
virung in die gewichtigsten Interessen der Nation hineingegriffen!

Aber freilich, der Bundestag, wie er bisher war und sich selbst auffaßte,
der Verein der Gesandten "souveräner Regierungen", d. h. von Regierungen,
die nur in gewissen Beziehungen, aber nicht in der Summe der Souveräne-
tät gebunden sein dürfen an Zustimmung der Völker, beschränkt durch
verfassungsmäßiges Recht, dieser Bundestag mußte ein heimlicher sein-
Dieser Bundestag kannte keine andere Abhängigkeit als die von den einzel¬
nen Kabinetten, keine andere Verantwortung als die gegenüber deren Befehlen,
vor ihm galt die Wissenschaft selbst so wenig, daß er (am 11. Decbr. 18231
erklären konnte, es sei bedenklich und unverantwortlich, den Lehren der Schrift¬
steller über Bundesrecht irgend eine auf die Bundesbeschlüsse einwirkende Au¬
torität zuzugestehen und dadurch in den Augen des Publikums das Spöte"'
jener Lehrbücher zu sanctioniren, er werde "in seiner Mitte den neuen Bundes¬
lehren und Theorien keine auf die Bundesbeschlüsse einwirkende Autorität ge¬
statten und keiner Berufung auf selbe Raum geben"; dieser Bundestag hatte
für die Rechte der Unterthanen keine Kompetenz, in seiner Mitte durfte es un-
gerügt ausgesprochen werden, daß zu Recht bestehende, beschworcne Verfassungen,
so lange er selbst sie nicht anerkennt, für ihn bloße Thatsachen seien; alles


griffen, daß vollständigere Veröffentlichungen nothwendig seien, ohne jedoch
ganz vollständige Veröffentlichungen zu wünschen, und die Sache mußte wieder
an den Ausschuß verwiesen werden. Hier ruhte sie abermals. Im Jah«
1857 erinnerte Preußen und erneuerte den im Jahre 1852 gestellten Antrag-
Der Ausschuß soll hierauf 1858 dem Präsidium seinen Bericht übergeben urrd
dieser Bericht soll drei Meinungen entwickelt haben, ein Minoritätsvotum ge¬
gen alle Veröffentlichungen, ein Majoritätsvotum für Veröffentlichungen, aber
wieder in zwei Ansichten gespalten, von denen die eine dem Antrag Preußens
beitrat, die andere, hauptsächlich von den Mittelstaaten vertreten, sich den
halben Publicationen zuwandte, die im I. 1851 beschlossen worden waren.
Eine Verhandlung über diese Anträge hat aber in der B.-V. nicht stattgefun¬
den, und es scheint darnach, daß der damalige Präsidialgesandte, Freiherr von
Rechberg, den Gegenstand nicht auf die Tagesordnung gebracht hat.

So steht es um diese Frage, um eine überaus wichtige Frage! Wichtig
nicht blos für die Wissenschaft des deutschen Staats- und Bundesrechts, deren
Standpunkt Zachariä in der Vorrede zum zweiten Theile seines Handbuchs
mit unübertrefflichen Worten vertritt, sondern für alle höchsten Interessen der
Nation, die im Bundestag ihr gemeinsames Band und Organ besitzt. Wie
der Bundesausschuß selbst bemerkt, ist es die sonderbarste Anomalie, daß gerade
diese Behörde in einer Zeit, die überall aus Öffentlichkeit hinausdrängt, sich
in Heimlichkeit hüllt, als wäre die Nation für sie nicht vorhanden oder sie
uicht für die Nation! Und doch hat der Bundestag gerade nach seiner Neacti-
virung in die gewichtigsten Interessen der Nation hineingegriffen!

Aber freilich, der Bundestag, wie er bisher war und sich selbst auffaßte,
der Verein der Gesandten „souveräner Regierungen", d. h. von Regierungen,
die nur in gewissen Beziehungen, aber nicht in der Summe der Souveräne-
tät gebunden sein dürfen an Zustimmung der Völker, beschränkt durch
verfassungsmäßiges Recht, dieser Bundestag mußte ein heimlicher sein-
Dieser Bundestag kannte keine andere Abhängigkeit als die von den einzel¬
nen Kabinetten, keine andere Verantwortung als die gegenüber deren Befehlen,
vor ihm galt die Wissenschaft selbst so wenig, daß er (am 11. Decbr. 18231
erklären konnte, es sei bedenklich und unverantwortlich, den Lehren der Schrift¬
steller über Bundesrecht irgend eine auf die Bundesbeschlüsse einwirkende Au¬
torität zuzugestehen und dadurch in den Augen des Publikums das Spöte"'
jener Lehrbücher zu sanctioniren, er werde „in seiner Mitte den neuen Bundes¬
lehren und Theorien keine auf die Bundesbeschlüsse einwirkende Autorität ge¬
statten und keiner Berufung auf selbe Raum geben"; dieser Bundestag hatte
für die Rechte der Unterthanen keine Kompetenz, in seiner Mitte durfte es un-
gerügt ausgesprochen werden, daß zu Recht bestehende, beschworcne Verfassungen,
so lange er selbst sie nicht anerkennt, für ihn bloße Thatsachen seien; alles


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/380>, abgerufen am 24.08.2024.