Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Katholicismus, der Gott nur schauen will, noch der Protestantismus, die ein¬
seitige, verstandesmäßige Fassung des Gottesbegriffes!" Sie begreift vollständig,
daß Schillers Poesie in diesem Augenblick verstummt: er habe sich zu sehr
ausgegeben und müsse nun Philosophie und Geschichte studiren, um sich zu
Imnmeln; und als Schiller sich darüber beklagt, kein Mädchen gefunden zu
haben, welches sich dem Dichter weihte, bietet sie ihm -- zehn Minuten, nach¬
dem sie ihn gesehen! -- ohne Weiteres ihre Hand an. "Dich trösten, mit
Dir leiden, mit Dir darben dürfen, welch Perdienst um die Zukunft meines
Vaterlandes!" Sie freut sich, als sie hört, daß sie Frau Professorin werden
soll, daß sie alle Tage würde ins Theater gehen können -- und setzt dann
hinzu: "Weißt Du warum ich plötzlich lachen muß? Du hast Dich mit mir ver¬
lobt und -- nicht wahr, das nennt man verloben? und es ist hübsch! --
und kennst noch gar nicht meinen Namen." -- Er kennt ihn in der That noch
nicht, sie präsentirt sich als Frl. v. Lengefeld, und Guru verwandelt sich in
die Negimentstochter: "Kopf grade, die Brust heraus!" so marschirt sie zur
Frau Mama.

Frau o. Lengefeld -- bekanntlich Erzieherin am Hof von Meiningen --
tritt ungefähr mit der Bildung einer Nühmamsell auf, welche aus unbekannten
Gründen die Verpflichtung fühlt französisch zu lernen. Von dem Französischen
dieser Dame gibt der Verfasser folgende Probe: sie will sagen "Gegenstand
Meines Herzens" und übersetzt das: eoutreboutiCus daz mon eosur. --

O Kotzebue! Du von der neuen Aesthetik so viel geschmähter Dichter! Was
bist Du gegen Deine Nachfolger? Was sind Deine Guru's gegen diese von-
treboutieiuLS des Herzens von Friedrich Schiller!

Ein anderes Bild, einige Jahre früher. In Mannheim wird "Cabale
und Liebe" aufgeführt; Schiller sitzt mit Lvdy Milsord -- hier Charlotte von
Kalb getauft -- in der Loge; sie stürmt heftig auf ihn ein: "Soll ich dem
Gatten den Schwur gebrochen haben, soll ich schuldig geworden sein ohne
den süßen Lohn der Sünde?" Schiller, in dessen Herzen verschiedene Empfin¬
dungen kämpfen, wird hauptsächlich durch die Worte bestimmt, welche man
aus der Rolle der Luise Miller von der Bühne aus vernimmt; bald nach
rechts bald nach links. Fast wäre er gefallen, da stürzt, geleitet vom getreuen
Streicher, mit fliegenden Haaren Margarethe Schwan herein, die ans Liebe
Zu Schiller wahnsinnig geworden ist. Sie ist des Dichters guter Engel, und
als man nun gar von der Bühne die Worte hört: "Ich verwerfe dich, ein
deutscher Jüngling!" ist der Sieg des guten Princips entschieden; während
die beiden Frauen zusammensinken, tritt Schiller an die Brüstung der Loge
Und ruft herunter, das Publikum sei jetzt seine einzige Geliebte.

Es dürften der Proben genug sein; im ganzen Stück kommt keine


45*

Katholicismus, der Gott nur schauen will, noch der Protestantismus, die ein¬
seitige, verstandesmäßige Fassung des Gottesbegriffes!" Sie begreift vollständig,
daß Schillers Poesie in diesem Augenblick verstummt: er habe sich zu sehr
ausgegeben und müsse nun Philosophie und Geschichte studiren, um sich zu
Imnmeln; und als Schiller sich darüber beklagt, kein Mädchen gefunden zu
haben, welches sich dem Dichter weihte, bietet sie ihm — zehn Minuten, nach¬
dem sie ihn gesehen! — ohne Weiteres ihre Hand an. „Dich trösten, mit
Dir leiden, mit Dir darben dürfen, welch Perdienst um die Zukunft meines
Vaterlandes!" Sie freut sich, als sie hört, daß sie Frau Professorin werden
soll, daß sie alle Tage würde ins Theater gehen können — und setzt dann
hinzu: „Weißt Du warum ich plötzlich lachen muß? Du hast Dich mit mir ver¬
lobt und — nicht wahr, das nennt man verloben? und es ist hübsch! —
und kennst noch gar nicht meinen Namen." — Er kennt ihn in der That noch
nicht, sie präsentirt sich als Frl. v. Lengefeld, und Guru verwandelt sich in
die Negimentstochter: „Kopf grade, die Brust heraus!" so marschirt sie zur
Frau Mama.

Frau o. Lengefeld — bekanntlich Erzieherin am Hof von Meiningen —
tritt ungefähr mit der Bildung einer Nühmamsell auf, welche aus unbekannten
Gründen die Verpflichtung fühlt französisch zu lernen. Von dem Französischen
dieser Dame gibt der Verfasser folgende Probe: sie will sagen „Gegenstand
Meines Herzens" und übersetzt das: eoutreboutiCus daz mon eosur. —

O Kotzebue! Du von der neuen Aesthetik so viel geschmähter Dichter! Was
bist Du gegen Deine Nachfolger? Was sind Deine Guru's gegen diese von-
treboutieiuLS des Herzens von Friedrich Schiller!

Ein anderes Bild, einige Jahre früher. In Mannheim wird „Cabale
und Liebe" aufgeführt; Schiller sitzt mit Lvdy Milsord — hier Charlotte von
Kalb getauft — in der Loge; sie stürmt heftig auf ihn ein: „Soll ich dem
Gatten den Schwur gebrochen haben, soll ich schuldig geworden sein ohne
den süßen Lohn der Sünde?" Schiller, in dessen Herzen verschiedene Empfin¬
dungen kämpfen, wird hauptsächlich durch die Worte bestimmt, welche man
aus der Rolle der Luise Miller von der Bühne aus vernimmt; bald nach
rechts bald nach links. Fast wäre er gefallen, da stürzt, geleitet vom getreuen
Streicher, mit fliegenden Haaren Margarethe Schwan herein, die ans Liebe
Zu Schiller wahnsinnig geworden ist. Sie ist des Dichters guter Engel, und
als man nun gar von der Bühne die Worte hört: „Ich verwerfe dich, ein
deutscher Jüngling!" ist der Sieg des guten Princips entschieden; während
die beiden Frauen zusammensinken, tritt Schiller an die Brüstung der Loge
Und ruft herunter, das Publikum sei jetzt seine einzige Geliebte.

Es dürften der Proben genug sein; im ganzen Stück kommt keine


45*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108497"/>
          <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> Katholicismus, der Gott nur schauen will, noch der Protestantismus, die ein¬<lb/>
seitige, verstandesmäßige Fassung des Gottesbegriffes!" Sie begreift vollständig,<lb/>
daß Schillers Poesie in diesem Augenblick verstummt: er habe sich zu sehr<lb/>
ausgegeben und müsse nun Philosophie und Geschichte studiren, um sich zu<lb/>
Imnmeln; und als Schiller sich darüber beklagt, kein Mädchen gefunden zu<lb/>
haben, welches sich dem Dichter weihte, bietet sie ihm &#x2014; zehn Minuten, nach¬<lb/>
dem sie ihn gesehen! &#x2014; ohne Weiteres ihre Hand an. &#x201E;Dich trösten, mit<lb/>
Dir leiden, mit Dir darben dürfen, welch Perdienst um die Zukunft meines<lb/>
Vaterlandes!" Sie freut sich, als sie hört, daß sie Frau Professorin werden<lb/>
soll, daß sie alle Tage würde ins Theater gehen können &#x2014; und setzt dann<lb/>
hinzu: &#x201E;Weißt Du warum ich plötzlich lachen muß? Du hast Dich mit mir ver¬<lb/>
lobt und &#x2014; nicht wahr, das nennt man verloben? und es ist hübsch! &#x2014;<lb/>
und kennst noch gar nicht meinen Namen." &#x2014; Er kennt ihn in der That noch<lb/>
nicht, sie präsentirt sich als Frl. v. Lengefeld, und Guru verwandelt sich in<lb/>
die Negimentstochter: &#x201E;Kopf grade, die Brust heraus!" so marschirt sie zur<lb/>
Frau Mama.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1175"> Frau o. Lengefeld &#x2014; bekanntlich Erzieherin am Hof von Meiningen &#x2014;<lb/>
tritt ungefähr mit der Bildung einer Nühmamsell auf, welche aus unbekannten<lb/>
Gründen die Verpflichtung fühlt französisch zu lernen. Von dem Französischen<lb/>
dieser Dame gibt der Verfasser folgende Probe: sie will sagen &#x201E;Gegenstand<lb/>
Meines Herzens" und übersetzt das: eoutreboutiCus daz mon eosur. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176"> O Kotzebue! Du von der neuen Aesthetik so viel geschmähter Dichter! Was<lb/>
bist Du gegen Deine Nachfolger? Was sind Deine Guru's gegen diese von-<lb/>
treboutieiuLS des Herzens von Friedrich Schiller!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1177"> Ein anderes Bild, einige Jahre früher. In Mannheim wird &#x201E;Cabale<lb/>
und Liebe" aufgeführt; Schiller sitzt mit Lvdy Milsord &#x2014; hier Charlotte von<lb/>
Kalb getauft &#x2014; in der Loge; sie stürmt heftig auf ihn ein: &#x201E;Soll ich dem<lb/>
Gatten den Schwur gebrochen haben, soll ich schuldig geworden sein ohne<lb/>
den süßen Lohn der Sünde?" Schiller, in dessen Herzen verschiedene Empfin¬<lb/>
dungen kämpfen, wird hauptsächlich durch die Worte bestimmt, welche man<lb/>
aus der Rolle der Luise Miller von der Bühne aus vernimmt; bald nach<lb/>
rechts bald nach links. Fast wäre er gefallen, da stürzt, geleitet vom getreuen<lb/>
Streicher, mit fliegenden Haaren Margarethe Schwan herein, die ans Liebe<lb/>
Zu Schiller wahnsinnig geworden ist. Sie ist des Dichters guter Engel, und<lb/>
als man nun gar von der Bühne die Worte hört: &#x201E;Ich verwerfe dich, ein<lb/>
deutscher Jüngling!" ist der Sieg des guten Princips entschieden; während<lb/>
die beiden Frauen zusammensinken, tritt Schiller an die Brüstung der Loge<lb/>
Und ruft herunter, das Publikum sei jetzt seine einzige Geliebte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1178" next="#ID_1179"> Es dürften der Proben genug sein; im ganzen Stück kommt keine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 45*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] Katholicismus, der Gott nur schauen will, noch der Protestantismus, die ein¬ seitige, verstandesmäßige Fassung des Gottesbegriffes!" Sie begreift vollständig, daß Schillers Poesie in diesem Augenblick verstummt: er habe sich zu sehr ausgegeben und müsse nun Philosophie und Geschichte studiren, um sich zu Imnmeln; und als Schiller sich darüber beklagt, kein Mädchen gefunden zu haben, welches sich dem Dichter weihte, bietet sie ihm — zehn Minuten, nach¬ dem sie ihn gesehen! — ohne Weiteres ihre Hand an. „Dich trösten, mit Dir leiden, mit Dir darben dürfen, welch Perdienst um die Zukunft meines Vaterlandes!" Sie freut sich, als sie hört, daß sie Frau Professorin werden soll, daß sie alle Tage würde ins Theater gehen können — und setzt dann hinzu: „Weißt Du warum ich plötzlich lachen muß? Du hast Dich mit mir ver¬ lobt und — nicht wahr, das nennt man verloben? und es ist hübsch! — und kennst noch gar nicht meinen Namen." — Er kennt ihn in der That noch nicht, sie präsentirt sich als Frl. v. Lengefeld, und Guru verwandelt sich in die Negimentstochter: „Kopf grade, die Brust heraus!" so marschirt sie zur Frau Mama. Frau o. Lengefeld — bekanntlich Erzieherin am Hof von Meiningen — tritt ungefähr mit der Bildung einer Nühmamsell auf, welche aus unbekannten Gründen die Verpflichtung fühlt französisch zu lernen. Von dem Französischen dieser Dame gibt der Verfasser folgende Probe: sie will sagen „Gegenstand Meines Herzens" und übersetzt das: eoutreboutiCus daz mon eosur. — O Kotzebue! Du von der neuen Aesthetik so viel geschmähter Dichter! Was bist Du gegen Deine Nachfolger? Was sind Deine Guru's gegen diese von- treboutieiuLS des Herzens von Friedrich Schiller! Ein anderes Bild, einige Jahre früher. In Mannheim wird „Cabale und Liebe" aufgeführt; Schiller sitzt mit Lvdy Milsord — hier Charlotte von Kalb getauft — in der Loge; sie stürmt heftig auf ihn ein: „Soll ich dem Gatten den Schwur gebrochen haben, soll ich schuldig geworden sein ohne den süßen Lohn der Sünde?" Schiller, in dessen Herzen verschiedene Empfin¬ dungen kämpfen, wird hauptsächlich durch die Worte bestimmt, welche man aus der Rolle der Luise Miller von der Bühne aus vernimmt; bald nach rechts bald nach links. Fast wäre er gefallen, da stürzt, geleitet vom getreuen Streicher, mit fliegenden Haaren Margarethe Schwan herein, die ans Liebe Zu Schiller wahnsinnig geworden ist. Sie ist des Dichters guter Engel, und als man nun gar von der Bühne die Worte hört: „Ich verwerfe dich, ein deutscher Jüngling!" ist der Sieg des guten Princips entschieden; während die beiden Frauen zusammensinken, tritt Schiller an die Brüstung der Loge Und ruft herunter, das Publikum sei jetzt seine einzige Geliebte. Es dürften der Proben genug sein; im ganzen Stück kommt keine 45*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/367>, abgerufen am 24.08.2024.