Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ganze Reihe der wichtigsten in den Neichscrcditkassen dcponirten Kapitalien ohne
vorgängige Einwilligung ihrer Besitzer "von jetzt ab zur Verfügung des Fi-
nanzministers stellt", einen der eigenthümlichsten Commentare zu dieser Absicht.
War die Creimng der "Reichsbillete" im Momente des ersten Abschlusses der
Thomson-Bonarschen Anleihe noch eine freiwillige innere Anleihe gewesen, so
hat die jetzige Maßregel bei ihrer Wiederaufnahme eine täuschende Familien¬
ähnlichkeit mit einem Zwcmgsanlehcn. Wollte aber vielleicht die Regierung
ihre Unterthanen indirekt von der Betheiligung am Bonarschen Anlehen ab¬
halten, so scheint sie allerdings diese Absicht ziemlich vollständig erreicht zu
haben. Denn nach den meisten Berichten sind in der Nevahauvtstaot blos
575.000 Pfd. Se. gezeichnet worden, von denen 500.000 Pfd. Se. auf das
Haus Stieglitz kommen. Die Beschaffung des Restes bleibt also dem Aus¬
land überlassen.

Die Maßregel, durch welche alle nicht in direktem Privatbesitze befindlichen
Kapitaldeposite bei den Reichscrcditbcmken, "zur Verfügung des Finanzministers
gestellt sind", also als Zwcmgsanlcihe in Anspruch genommen wurden, ließ
bereits keinen Zweifel darüber, daß die mit so viel Emphase angekündigte
Neue Finanzpolitik sich von dem berufenen Kankrinschcn System in Bezug auf
die Operationen mit den Geldern der Creditinstrtnte durchaus nicht emanzi-
pirt hat. Im Gegentheil; unter Kankrin. Wrontschenko und Brock hatte man
sah stets bemüht, die Verwendung der zur Unterstützung der Industrie, des
Ackerbaues und der Handelsthätigkeit bestimmten Kapitalien für die eigentlichen
Budgetbedürfnisse zu bemänteln, wo dies unmöglich war, dieselbe nur als
Momentanen Nothbehelf einzugestehen. Jetzt dagegen trat dieselbe offenbar
als gesetzliches Prinzip in Kxaft. Hatte bei dem früheren Wechselverhältniß
Zwischen der Negierung und den Kreditbanken im Interesse beider gelegen,
namentlich zur Erhaltung der Vollgeltung ihrer Werthzeichen, ihren innern
Verpflichtungen zu jeder Stunde nachkommen zu können, so haben dagegen die
Gläubiger der Banken jetzt, nach solchen Maßregeln, mindestens blos eine sehr
geringe Garantie. Wenn aber Landwirthschaft. Industrie und Handel bisher an
^'n Neichscreditbcmken Unterstützungsinstitutc besessen hatten, aus denen sie gegen
starke Pfänder doch stets Kapitale zu mäßigem Zins erhalten konnten, so aus-
^n sie jetzt in der Hauptsache darauf verzichten. Der Staat hat sich mit
^Um dadurch abgefunden, daß er die Anlegung von Communalbanken (doch
Unter örtlicher Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit) gestattete, daß er
vermöge der Zinsreduction (aber ohne gleichzeitige Verbesserung der Credit-
^setzgebung) den Abfluß einiger Privatkapitale aus den Reichscreditbanken
^güustigte. und daß er endlich neuestens die Petersburger Bank- und Han¬
delsgesellschaft entstehen ließ. Jene Communalbanken existiren noch höchst
^arabisch, die Petersburger Gesellschaft ist soeben erst im Entstehen begriffen.


ganze Reihe der wichtigsten in den Neichscrcditkassen dcponirten Kapitalien ohne
vorgängige Einwilligung ihrer Besitzer „von jetzt ab zur Verfügung des Fi-
nanzministers stellt", einen der eigenthümlichsten Commentare zu dieser Absicht.
War die Creimng der „Reichsbillete" im Momente des ersten Abschlusses der
Thomson-Bonarschen Anleihe noch eine freiwillige innere Anleihe gewesen, so
hat die jetzige Maßregel bei ihrer Wiederaufnahme eine täuschende Familien¬
ähnlichkeit mit einem Zwcmgsanlehcn. Wollte aber vielleicht die Regierung
ihre Unterthanen indirekt von der Betheiligung am Bonarschen Anlehen ab¬
halten, so scheint sie allerdings diese Absicht ziemlich vollständig erreicht zu
haben. Denn nach den meisten Berichten sind in der Nevahauvtstaot blos
575.000 Pfd. Se. gezeichnet worden, von denen 500.000 Pfd. Se. auf das
Haus Stieglitz kommen. Die Beschaffung des Restes bleibt also dem Aus¬
land überlassen.

Die Maßregel, durch welche alle nicht in direktem Privatbesitze befindlichen
Kapitaldeposite bei den Reichscrcditbcmken, „zur Verfügung des Finanzministers
gestellt sind", also als Zwcmgsanlcihe in Anspruch genommen wurden, ließ
bereits keinen Zweifel darüber, daß die mit so viel Emphase angekündigte
Neue Finanzpolitik sich von dem berufenen Kankrinschcn System in Bezug auf
die Operationen mit den Geldern der Creditinstrtnte durchaus nicht emanzi-
pirt hat. Im Gegentheil; unter Kankrin. Wrontschenko und Brock hatte man
sah stets bemüht, die Verwendung der zur Unterstützung der Industrie, des
Ackerbaues und der Handelsthätigkeit bestimmten Kapitalien für die eigentlichen
Budgetbedürfnisse zu bemänteln, wo dies unmöglich war, dieselbe nur als
Momentanen Nothbehelf einzugestehen. Jetzt dagegen trat dieselbe offenbar
als gesetzliches Prinzip in Kxaft. Hatte bei dem früheren Wechselverhältniß
Zwischen der Negierung und den Kreditbanken im Interesse beider gelegen,
namentlich zur Erhaltung der Vollgeltung ihrer Werthzeichen, ihren innern
Verpflichtungen zu jeder Stunde nachkommen zu können, so haben dagegen die
Gläubiger der Banken jetzt, nach solchen Maßregeln, mindestens blos eine sehr
geringe Garantie. Wenn aber Landwirthschaft. Industrie und Handel bisher an
^'n Neichscreditbcmken Unterstützungsinstitutc besessen hatten, aus denen sie gegen
starke Pfänder doch stets Kapitale zu mäßigem Zins erhalten konnten, so aus-
^n sie jetzt in der Hauptsache darauf verzichten. Der Staat hat sich mit
^Um dadurch abgefunden, daß er die Anlegung von Communalbanken (doch
Unter örtlicher Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit) gestattete, daß er
vermöge der Zinsreduction (aber ohne gleichzeitige Verbesserung der Credit-
^setzgebung) den Abfluß einiger Privatkapitale aus den Reichscreditbanken
^güustigte. und daß er endlich neuestens die Petersburger Bank- und Han¬
delsgesellschaft entstehen ließ. Jene Communalbanken existiren noch höchst
^arabisch, die Petersburger Gesellschaft ist soeben erst im Entstehen begriffen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108475"/>
          <p xml:id="ID_1124" prev="#ID_1123"> ganze Reihe der wichtigsten in den Neichscrcditkassen dcponirten Kapitalien ohne<lb/>
vorgängige Einwilligung ihrer Besitzer &#x201E;von jetzt ab zur Verfügung des Fi-<lb/>
nanzministers stellt", einen der eigenthümlichsten Commentare zu dieser Absicht.<lb/>
War die Creimng der &#x201E;Reichsbillete" im Momente des ersten Abschlusses der<lb/>
Thomson-Bonarschen Anleihe noch eine freiwillige innere Anleihe gewesen, so<lb/>
hat die jetzige Maßregel bei ihrer Wiederaufnahme eine täuschende Familien¬<lb/>
ähnlichkeit mit einem Zwcmgsanlehcn. Wollte aber vielleicht die Regierung<lb/>
ihre Unterthanen indirekt von der Betheiligung am Bonarschen Anlehen ab¬<lb/>
halten, so scheint sie allerdings diese Absicht ziemlich vollständig erreicht zu<lb/>
haben. Denn nach den meisten Berichten sind in der Nevahauvtstaot blos<lb/>
575.000 Pfd. Se. gezeichnet worden, von denen 500.000 Pfd. Se. auf das<lb/>
Haus Stieglitz kommen. Die Beschaffung des Restes bleibt also dem Aus¬<lb/>
land überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" next="#ID_1126"> Die Maßregel, durch welche alle nicht in direktem Privatbesitze befindlichen<lb/>
Kapitaldeposite bei den Reichscrcditbcmken, &#x201E;zur Verfügung des Finanzministers<lb/>
gestellt sind", also als Zwcmgsanlcihe in Anspruch genommen wurden, ließ<lb/>
bereits keinen Zweifel darüber, daß die mit so viel Emphase angekündigte<lb/>
Neue Finanzpolitik sich von dem berufenen Kankrinschcn System in Bezug auf<lb/>
die Operationen mit den Geldern der Creditinstrtnte durchaus nicht emanzi-<lb/>
pirt hat. Im Gegentheil; unter Kankrin. Wrontschenko und Brock hatte man<lb/>
sah stets bemüht, die Verwendung der zur Unterstützung der Industrie, des<lb/>
Ackerbaues und der Handelsthätigkeit bestimmten Kapitalien für die eigentlichen<lb/>
Budgetbedürfnisse zu bemänteln, wo dies unmöglich war, dieselbe nur als<lb/>
Momentanen Nothbehelf einzugestehen. Jetzt dagegen trat dieselbe offenbar<lb/>
als gesetzliches Prinzip in Kxaft. Hatte bei dem früheren Wechselverhältniß<lb/>
Zwischen der Negierung und den Kreditbanken im Interesse beider gelegen,<lb/>
namentlich zur Erhaltung der Vollgeltung ihrer Werthzeichen, ihren innern<lb/>
Verpflichtungen zu jeder Stunde nachkommen zu können, so haben dagegen die<lb/>
Gläubiger der Banken jetzt, nach solchen Maßregeln, mindestens blos eine sehr<lb/>
geringe Garantie. Wenn aber Landwirthschaft. Industrie und Handel bisher an<lb/>
^'n Neichscreditbcmken Unterstützungsinstitutc besessen hatten, aus denen sie gegen<lb/>
starke Pfänder doch stets Kapitale zu mäßigem Zins erhalten konnten, so aus-<lb/>
^n sie jetzt in der Hauptsache darauf verzichten. Der Staat hat sich mit<lb/>
^Um dadurch abgefunden, daß er die Anlegung von Communalbanken (doch<lb/>
Unter örtlicher Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit) gestattete, daß er<lb/>
vermöge der Zinsreduction (aber ohne gleichzeitige Verbesserung der Credit-<lb/>
^setzgebung) den Abfluß einiger Privatkapitale aus den Reichscreditbanken<lb/>
^güustigte. und daß er endlich neuestens die Petersburger Bank- und Han¬<lb/>
delsgesellschaft entstehen ließ. Jene Communalbanken existiren noch höchst<lb/>
^arabisch, die Petersburger Gesellschaft ist soeben erst im Entstehen begriffen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] ganze Reihe der wichtigsten in den Neichscrcditkassen dcponirten Kapitalien ohne vorgängige Einwilligung ihrer Besitzer „von jetzt ab zur Verfügung des Fi- nanzministers stellt", einen der eigenthümlichsten Commentare zu dieser Absicht. War die Creimng der „Reichsbillete" im Momente des ersten Abschlusses der Thomson-Bonarschen Anleihe noch eine freiwillige innere Anleihe gewesen, so hat die jetzige Maßregel bei ihrer Wiederaufnahme eine täuschende Familien¬ ähnlichkeit mit einem Zwcmgsanlehcn. Wollte aber vielleicht die Regierung ihre Unterthanen indirekt von der Betheiligung am Bonarschen Anlehen ab¬ halten, so scheint sie allerdings diese Absicht ziemlich vollständig erreicht zu haben. Denn nach den meisten Berichten sind in der Nevahauvtstaot blos 575.000 Pfd. Se. gezeichnet worden, von denen 500.000 Pfd. Se. auf das Haus Stieglitz kommen. Die Beschaffung des Restes bleibt also dem Aus¬ land überlassen. Die Maßregel, durch welche alle nicht in direktem Privatbesitze befindlichen Kapitaldeposite bei den Reichscrcditbcmken, „zur Verfügung des Finanzministers gestellt sind", also als Zwcmgsanlcihe in Anspruch genommen wurden, ließ bereits keinen Zweifel darüber, daß die mit so viel Emphase angekündigte Neue Finanzpolitik sich von dem berufenen Kankrinschcn System in Bezug auf die Operationen mit den Geldern der Creditinstrtnte durchaus nicht emanzi- pirt hat. Im Gegentheil; unter Kankrin. Wrontschenko und Brock hatte man sah stets bemüht, die Verwendung der zur Unterstützung der Industrie, des Ackerbaues und der Handelsthätigkeit bestimmten Kapitalien für die eigentlichen Budgetbedürfnisse zu bemänteln, wo dies unmöglich war, dieselbe nur als Momentanen Nothbehelf einzugestehen. Jetzt dagegen trat dieselbe offenbar als gesetzliches Prinzip in Kxaft. Hatte bei dem früheren Wechselverhältniß Zwischen der Negierung und den Kreditbanken im Interesse beider gelegen, namentlich zur Erhaltung der Vollgeltung ihrer Werthzeichen, ihren innern Verpflichtungen zu jeder Stunde nachkommen zu können, so haben dagegen die Gläubiger der Banken jetzt, nach solchen Maßregeln, mindestens blos eine sehr geringe Garantie. Wenn aber Landwirthschaft. Industrie und Handel bisher an ^'n Neichscreditbcmken Unterstützungsinstitutc besessen hatten, aus denen sie gegen starke Pfänder doch stets Kapitale zu mäßigem Zins erhalten konnten, so aus- ^n sie jetzt in der Hauptsache darauf verzichten. Der Staat hat sich mit ^Um dadurch abgefunden, daß er die Anlegung von Communalbanken (doch Unter örtlicher Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit) gestattete, daß er vermöge der Zinsreduction (aber ohne gleichzeitige Verbesserung der Credit- ^setzgebung) den Abfluß einiger Privatkapitale aus den Reichscreditbanken ^güustigte. und daß er endlich neuestens die Petersburger Bank- und Han¬ delsgesellschaft entstehen ließ. Jene Communalbanken existiren noch höchst ^arabisch, die Petersburger Gesellschaft ist soeben erst im Entstehen begriffen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/345>, abgerufen am 24.08.2024.