Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.suchen müssen. "Was ist des Deutschen Vaterland?" hat man oft gefragt, ohne eine Es handelt sich hier gar nicht um ein ästhetisches Urtheil. Warum grade Wer sollte gegen eine solche Feier Einspruch thun? Im Heerlager der modernen Aber die Partei ist klein, und selbst sie hat diesmal keine Ursache, ein Frcudcn- Die Regierungen haben im Allgemeinen den Drang der gesammten Nation, sich Nur in Preußen -- in dem Lande, das mehr als ein anderes Veranlassung Freilich sind Gründe vorhanden. Es ist während der Krankheit des Königs Es ist doch ein Unglück, daß grade in Preußen diese Bedenken aufgetaucht sind. suchen müssen. „Was ist des Deutschen Vaterland?" hat man oft gefragt, ohne eine Es handelt sich hier gar nicht um ein ästhetisches Urtheil. Warum grade Wer sollte gegen eine solche Feier Einspruch thun? Im Heerlager der modernen Aber die Partei ist klein, und selbst sie hat diesmal keine Ursache, ein Frcudcn- Die Regierungen haben im Allgemeinen den Drang der gesammten Nation, sich Nur in Preußen — in dem Lande, das mehr als ein anderes Veranlassung Freilich sind Gründe vorhanden. Es ist während der Krankheit des Königs Es ist doch ein Unglück, daß grade in Preußen diese Bedenken aufgetaucht sind. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108379"/> <p xml:id="ID_847" prev="#ID_846"> suchen müssen. „Was ist des Deutschen Vaterland?" hat man oft gefragt, ohne eine<lb/> erschöpfende Antwort zu finden. Das Schillerfest ist eine Antwort.</p><lb/> <p xml:id="ID_848"> Es handelt sich hier gar nicht um ein ästhetisches Urtheil. Warum grade<lb/> Schiller zum Symbol der deutschen Einheit gewählt wird, darüber zu grübeln ist<lb/> für die Hauptsache durchaus müßig. Ob Goethe größer war als Schiller, ob noch<lb/> andere Dichter mit dem letztern wetteifern können — gleichviel! Schiller war ein<lb/> großer Dichter, er war derjenige Dichter, welcher das edle Streben unserer classischen<lb/> Periode zuerst der großen Menge zugänglich machte; er verklärte den widerstrebenden<lb/> Stoff im Feuer des Ideals; er zeigte die Sittlichkeit in schönen Formen und lehrte die<lb/> Vaterlandsliebe vom allgemein menschlichen Standpunkt; er war ein voller, ganzer<lb/> Mann, ein Sohn des Volks, der durch seine Poesie sich einen höhern Adel verschaffte,<lb/> als den Fürsten verleihen, der das Gepräge dieses Adels der ganzen Nation auf¬<lb/> drückte. Indem sie ihn ehrt, ehrt sie sich selber.</p><lb/> <p xml:id="ID_849"> Wer sollte gegen eine solche Feier Einspruch thun? Im Heerlager der modernen<lb/> Orthodoxie — diesseits und jenseits der Berge — haben sich zwar Stimmen genug<lb/> erhoben, die an die „Götter Griechenlands" erinnern; die gegen den Cultus des<lb/> Heidenthums predigen, die unsere classische Dichtung als eine Julianische Empörung<lb/> gegen Christus verunglimpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_850"> Aber die Partei ist klein, und selbst sie hat diesmal keine Ursache, ein Frcudcn-<lb/> gefühl zu verketzern, das nicht den Göttern Grichcnlands gilt, sondern den Liedern,<lb/> die im Munde des Volks leben — den Worten des Glaubens, der Glocke, Wallen¬<lb/> stein. Tell.</p><lb/> <p xml:id="ID_851"> Die Regierungen haben im Allgemeinen den Drang der gesammten Nation, sich<lb/> einmal als Nation öffentlich zu bekennen, und dazu eine Veranlassung zu benutzen,<lb/> die in der That unser Stolz sein kann — unsere Poesie — richtig gewürdigt; fast<lb/> überall wird das Schillerfest ein Landesfest. Selbst in Oestreich, dem Lande des<lb/> Concordats. bringt man dem Dichter Teils, dem Dichter Wallensteins. dem Geschicht¬<lb/> schreiber des dreißigjährigen Kriegs und der Befreiung der Niederlande einen Fackel-<lb/> iug. man tauft Hauptplätzc der Residenz mit seinem Namen, die Schulen verkün¬<lb/> digen sein Lob. die Begeisterung der Menge hat die officielle Weihe. Und so ist es<lb/> sast durchweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_852"> Nur in Preußen — in dem Lande, das mehr als ein anderes Veranlassung<lb/> hätte, den Dichter zu ehren — in Preußen schließt man die Feier aus die Stuben<lb/> "N; die Polizei von Berlin findet eine lärmende Begeisterung auf den Straßen un¬<lb/> schicklich, die Polizei andrer Städte folgt dem guten Beispiel, und der Minister des<lb/> Innern. Gras Schwerin, bis dahin der Führer unsrer Partei, bestätigt dieses<lb/> Verbot.</p><lb/> <p xml:id="ID_853"> Freilich sind Gründe vorhanden. 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suchen müssen. „Was ist des Deutschen Vaterland?" hat man oft gefragt, ohne eine
erschöpfende Antwort zu finden. Das Schillerfest ist eine Antwort.
Es handelt sich hier gar nicht um ein ästhetisches Urtheil. Warum grade
Schiller zum Symbol der deutschen Einheit gewählt wird, darüber zu grübeln ist
für die Hauptsache durchaus müßig. Ob Goethe größer war als Schiller, ob noch
andere Dichter mit dem letztern wetteifern können — gleichviel! Schiller war ein
großer Dichter, er war derjenige Dichter, welcher das edle Streben unserer classischen
Periode zuerst der großen Menge zugänglich machte; er verklärte den widerstrebenden
Stoff im Feuer des Ideals; er zeigte die Sittlichkeit in schönen Formen und lehrte die
Vaterlandsliebe vom allgemein menschlichen Standpunkt; er war ein voller, ganzer
Mann, ein Sohn des Volks, der durch seine Poesie sich einen höhern Adel verschaffte,
als den Fürsten verleihen, der das Gepräge dieses Adels der ganzen Nation auf¬
drückte. Indem sie ihn ehrt, ehrt sie sich selber.
Wer sollte gegen eine solche Feier Einspruch thun? Im Heerlager der modernen
Orthodoxie — diesseits und jenseits der Berge — haben sich zwar Stimmen genug
erhoben, die an die „Götter Griechenlands" erinnern; die gegen den Cultus des
Heidenthums predigen, die unsere classische Dichtung als eine Julianische Empörung
gegen Christus verunglimpfen.
Aber die Partei ist klein, und selbst sie hat diesmal keine Ursache, ein Frcudcn-
gefühl zu verketzern, das nicht den Göttern Grichcnlands gilt, sondern den Liedern,
die im Munde des Volks leben — den Worten des Glaubens, der Glocke, Wallen¬
stein. Tell.
Die Regierungen haben im Allgemeinen den Drang der gesammten Nation, sich
einmal als Nation öffentlich zu bekennen, und dazu eine Veranlassung zu benutzen,
die in der That unser Stolz sein kann — unsere Poesie — richtig gewürdigt; fast
überall wird das Schillerfest ein Landesfest. Selbst in Oestreich, dem Lande des
Concordats. bringt man dem Dichter Teils, dem Dichter Wallensteins. dem Geschicht¬
schreiber des dreißigjährigen Kriegs und der Befreiung der Niederlande einen Fackel-
iug. man tauft Hauptplätzc der Residenz mit seinem Namen, die Schulen verkün¬
digen sein Lob. die Begeisterung der Menge hat die officielle Weihe. Und so ist es
sast durchweg.
Nur in Preußen — in dem Lande, das mehr als ein anderes Veranlassung
hätte, den Dichter zu ehren — in Preußen schließt man die Feier aus die Stuben
"N; die Polizei von Berlin findet eine lärmende Begeisterung auf den Straßen un¬
schicklich, die Polizei andrer Städte folgt dem guten Beispiel, und der Minister des
Innern. Gras Schwerin, bis dahin der Führer unsrer Partei, bestätigt dieses
Verbot.
Freilich sind Gründe vorhanden. Es ist während der Krankheit des Königs
Preußischen Gefühl peinlich, daß eine laute Lust aufkommen soll; obgleich bei
pudern Gelegenheiten diese Stimmung überwunden wurde. Es mag sein, daß die
^bsichtigten Demonstrationen nicht grade zu den zweckmäßigsten gehörten; obgleich
'"«n durch ganz Deutschland ungefähr das nämliche vorhat. Es kommt mehr da-
^Uf an, zu handeln, zu arbeiten, als zu declamiren und zu jubeln. Das ist rieb-
"g, aber —
Es ist doch ein Unglück, daß grade in Preußen diese Bedenken aufgetaucht sind.
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