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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Dissenters geführt, die der Autorität des Propheten hätten gefährlich werden
können, wenn er nicht durch eine Rebellion gegen die Centralregierung, die in
dem vielfach genährten Groll der Mormonen eine Unterstützung fand, und
durch die dadurch veranlaßte Absendung von Vereinigten-Staatentruppen dem
Sturm vorläufig eine andere Richtung gegeben hätte. Das Pluralitätssystem
ist offenbar nur zum Vortheil der Bevorzugten der Kirche erfunden, auch wird
sich hierüber niemand wundern. Der Prophet allein besitzt das Vorrecht, dem¬
jenigen die Erlaubniß zur Vermehrung der Frauen zu ertheilen, den er für
gläubig hält, und dieses Vorrecht kann er auf seine Delegaten übertragen.
Das Weib, das ohne Erlaubniß außerhalb der Priesterschaft heirathet, hei'
rathet die Hölle, und es mag wol vorkommen, daß die bei vielen Frauen so
leicht anzuregende religiöse Schwärmerei es ihnen sichrer erscheinen läßt, in
dem Gefolge eines Apostels oder Hohenpriesters ins Paradies einzugehn. als
ihr Heil einem gewöhnlichen Heiligen anzuvertrauen, dessen eigne Ansprüche
auf einen himmlischen Stuhl weniger sicher, ja vielleicht zweifelhaft sind; auch
mag wol der weibliche Ehrgeiz, die weibliche Eitelkeit, die unter aller Schwär¬
merei fortlebt, dergleichen Gedanken unterstützen. Auch für diejenigen Frauen,
deren weniger gefälliges Aeußere keinen Mann zu dem Glauben verleiten konnte,
er könne sie erlösen, ist in Utah gesorgt. Eine jede Frau kann einen Mann
verlangen, der sie erlöst: "vn tue -zrounä ok tre riglit ana xi'ivilsM ok Sö!-
vation", und der Prophet, der ihr Gesuch entgegennimmt, kann irgend einen
Mann, den er im Stande glaubt sie zu unterhalten, beordern sie sich "anzu-
siegeln", wo nicht, so muß auch er giltige Gründe der Weigerung vorbringen.

Da nach der Mormonenlehre der Inhalt der Bibel ganz buchstäblich
nommer werden muß. denn "Gott ist redlich, wenn er zu den Menschen spricht,
und gefällt sich nicht in Doppelzüngigkeit, sondern gebraucht die Worte in
ihrem wahren Sinne", so kommen sie zu einer ganz entsprechenden Vor¬
stellung von dem Wesen und den Eigenschaften der Gottheit, und diese Vor¬
stellung ist in den Predigten der Apostel und Hohenpriester manchmal mit
einem Anstrich von Humor mitgetheilt. In einer Rede, die Brigham Uoung
vor den Aeltesten und Hohenpriestern im Tabernakel hielt, sagte er: "J^
erinnert Euch des ältesten Day (eines baptistischer Predigers auf dem Weg
nach Kalifornien), der uns so hübsch predigte. Ich predigte eines Tages, als
er anwesend war, und leitete im Verlauf der Rede die Gedanken auf unsern
Vater im Himmel, über dessen Natur er am wärmsten Aufklärung wünschte-
Er aß mit mir zu Mittag, und als wir bei Tische saßen, sagte er: "Bruder
Aoung, ich wartete mit bangem Herzen, und Mund, Augen und yhren offen-
etwas Glorioses zu hören." "Worüber. Bruder Day?" "Als ihr die Gott¬
heit beschriebet und grade an den eigentlichen Punkt gekommen wäret, den
ich so gern erklärt gehabt hätte, brandet Ihr ab und ginget auf etwas An-


Dissenters geführt, die der Autorität des Propheten hätten gefährlich werden
können, wenn er nicht durch eine Rebellion gegen die Centralregierung, die in
dem vielfach genährten Groll der Mormonen eine Unterstützung fand, und
durch die dadurch veranlaßte Absendung von Vereinigten-Staatentruppen dem
Sturm vorläufig eine andere Richtung gegeben hätte. Das Pluralitätssystem
ist offenbar nur zum Vortheil der Bevorzugten der Kirche erfunden, auch wird
sich hierüber niemand wundern. Der Prophet allein besitzt das Vorrecht, dem¬
jenigen die Erlaubniß zur Vermehrung der Frauen zu ertheilen, den er für
gläubig hält, und dieses Vorrecht kann er auf seine Delegaten übertragen.
Das Weib, das ohne Erlaubniß außerhalb der Priesterschaft heirathet, hei'
rathet die Hölle, und es mag wol vorkommen, daß die bei vielen Frauen so
leicht anzuregende religiöse Schwärmerei es ihnen sichrer erscheinen läßt, in
dem Gefolge eines Apostels oder Hohenpriesters ins Paradies einzugehn. als
ihr Heil einem gewöhnlichen Heiligen anzuvertrauen, dessen eigne Ansprüche
auf einen himmlischen Stuhl weniger sicher, ja vielleicht zweifelhaft sind; auch
mag wol der weibliche Ehrgeiz, die weibliche Eitelkeit, die unter aller Schwär¬
merei fortlebt, dergleichen Gedanken unterstützen. Auch für diejenigen Frauen,
deren weniger gefälliges Aeußere keinen Mann zu dem Glauben verleiten konnte,
er könne sie erlösen, ist in Utah gesorgt. Eine jede Frau kann einen Mann
verlangen, der sie erlöst: „vn tue -zrounä ok tre riglit ana xi'ivilsM ok Sö!-
vation", und der Prophet, der ihr Gesuch entgegennimmt, kann irgend einen
Mann, den er im Stande glaubt sie zu unterhalten, beordern sie sich „anzu-
siegeln", wo nicht, so muß auch er giltige Gründe der Weigerung vorbringen.

Da nach der Mormonenlehre der Inhalt der Bibel ganz buchstäblich
nommer werden muß. denn „Gott ist redlich, wenn er zu den Menschen spricht,
und gefällt sich nicht in Doppelzüngigkeit, sondern gebraucht die Worte in
ihrem wahren Sinne", so kommen sie zu einer ganz entsprechenden Vor¬
stellung von dem Wesen und den Eigenschaften der Gottheit, und diese Vor¬
stellung ist in den Predigten der Apostel und Hohenpriester manchmal mit
einem Anstrich von Humor mitgetheilt. In einer Rede, die Brigham Uoung
vor den Aeltesten und Hohenpriestern im Tabernakel hielt, sagte er: „J^
erinnert Euch des ältesten Day (eines baptistischer Predigers auf dem Weg
nach Kalifornien), der uns so hübsch predigte. Ich predigte eines Tages, als
er anwesend war, und leitete im Verlauf der Rede die Gedanken auf unsern
Vater im Himmel, über dessen Natur er am wärmsten Aufklärung wünschte-
Er aß mit mir zu Mittag, und als wir bei Tische saßen, sagte er: „Bruder
Aoung, ich wartete mit bangem Herzen, und Mund, Augen und yhren offen-
etwas Glorioses zu hören." „Worüber. Bruder Day?" „Als ihr die Gott¬
heit beschriebet und grade an den eigentlichen Punkt gekommen wäret, den
ich so gern erklärt gehabt hätte, brandet Ihr ab und ginget auf etwas An-


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[0164] Dissenters geführt, die der Autorität des Propheten hätten gefährlich werden können, wenn er nicht durch eine Rebellion gegen die Centralregierung, die in dem vielfach genährten Groll der Mormonen eine Unterstützung fand, und durch die dadurch veranlaßte Absendung von Vereinigten-Staatentruppen dem Sturm vorläufig eine andere Richtung gegeben hätte. Das Pluralitätssystem ist offenbar nur zum Vortheil der Bevorzugten der Kirche erfunden, auch wird sich hierüber niemand wundern. Der Prophet allein besitzt das Vorrecht, dem¬ jenigen die Erlaubniß zur Vermehrung der Frauen zu ertheilen, den er für gläubig hält, und dieses Vorrecht kann er auf seine Delegaten übertragen. Das Weib, das ohne Erlaubniß außerhalb der Priesterschaft heirathet, hei' rathet die Hölle, und es mag wol vorkommen, daß die bei vielen Frauen so leicht anzuregende religiöse Schwärmerei es ihnen sichrer erscheinen läßt, in dem Gefolge eines Apostels oder Hohenpriesters ins Paradies einzugehn. als ihr Heil einem gewöhnlichen Heiligen anzuvertrauen, dessen eigne Ansprüche auf einen himmlischen Stuhl weniger sicher, ja vielleicht zweifelhaft sind; auch mag wol der weibliche Ehrgeiz, die weibliche Eitelkeit, die unter aller Schwär¬ merei fortlebt, dergleichen Gedanken unterstützen. Auch für diejenigen Frauen, deren weniger gefälliges Aeußere keinen Mann zu dem Glauben verleiten konnte, er könne sie erlösen, ist in Utah gesorgt. Eine jede Frau kann einen Mann verlangen, der sie erlöst: „vn tue -zrounä ok tre riglit ana xi'ivilsM ok Sö!- vation", und der Prophet, der ihr Gesuch entgegennimmt, kann irgend einen Mann, den er im Stande glaubt sie zu unterhalten, beordern sie sich „anzu- siegeln", wo nicht, so muß auch er giltige Gründe der Weigerung vorbringen. Da nach der Mormonenlehre der Inhalt der Bibel ganz buchstäblich nommer werden muß. denn „Gott ist redlich, wenn er zu den Menschen spricht, und gefällt sich nicht in Doppelzüngigkeit, sondern gebraucht die Worte in ihrem wahren Sinne", so kommen sie zu einer ganz entsprechenden Vor¬ stellung von dem Wesen und den Eigenschaften der Gottheit, und diese Vor¬ stellung ist in den Predigten der Apostel und Hohenpriester manchmal mit einem Anstrich von Humor mitgetheilt. In einer Rede, die Brigham Uoung vor den Aeltesten und Hohenpriestern im Tabernakel hielt, sagte er: „J^ erinnert Euch des ältesten Day (eines baptistischer Predigers auf dem Weg nach Kalifornien), der uns so hübsch predigte. Ich predigte eines Tages, als er anwesend war, und leitete im Verlauf der Rede die Gedanken auf unsern Vater im Himmel, über dessen Natur er am wärmsten Aufklärung wünschte- Er aß mit mir zu Mittag, und als wir bei Tische saßen, sagte er: „Bruder Aoung, ich wartete mit bangem Herzen, und Mund, Augen und yhren offen- etwas Glorioses zu hören." „Worüber. Bruder Day?" „Als ihr die Gott¬ heit beschriebet und grade an den eigentlichen Punkt gekommen wäret, den ich so gern erklärt gehabt hätte, brandet Ihr ab und ginget auf etwas An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/164>, abgerufen am 27.08.2024.