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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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saal einzurichten, in welchem die Bänke amphitheatralisch geordnet sind, so
daß man den unterstehenden Redner von allen Seiten sehen und hören kann,
und da die Decke dieses Saales, welche zugleich das Dach des Hauses ist,
die Form eines einfachen Tonnengewölbes hat, so wurde dadurch die nöthige
Höhe erreicht, und man brauchte den beiden überirdischen Seitenmauern des
Hauses nicht mehr als etwa vier bis fünf Fuß Höhe zu geben.

Der Gottesdienst der Mormonen beginnt gewöhnlich mit einem Gebet
des Oberpriesters, worauf ein Gesang der Gemeinde folgt, der in Ermange¬
lung einer Orgel mit einem guten sechsoctavigen Melodion begleitet wird. Eine
Engländerin, deren Mann auf dem Wege nach Californien starb, ist Orga¬
nistin und spielt das Instrument ganz leidlich. Auf den Gesang folgt eine
Rede, die ein vorher bestimmtes Mitglied des Vorstandes hält. Die Mor¬
monen behaupten zwar, der Redner erfahre nur kurz vorher, daß er zu spre¬
chen habe, die Reden würden ex temxors gehalten und ein jeder könne auf¬
gerufen werden, um über einen gegebenen Gegenstand zu sprechen. Dies ist
ein Kunstgriff, um das Volk in dem Glauben zu bestärken, Offenbarung und
göttliche Inspiration sei fortwährend in den Auserwählten thätig. Nach dem
Gottesdienst werden die Zehntarbeiten verkündet; denn jeder Mormone zahlt
der Kirche nicht nur den zehnten Theil seiner Arbeit, sondern auch den zehnten
Theil seiner Zeit; es wird indessen von der Verwendung des Zehnten der
Gemeinde niemals eine Rechenschaft abgelegt. Als ich eines Tages dem
Apostel Taylor, der als eine der gelehrtesten Stützen der Kirche angesehen
wird, bemerkte, daß dies gegen den Geist der amerikanischen Institutionen wäre,
suchte er mir auseinanderzusetzen, daß es am Ende besser wäre, die Klügeren
und Gelehrteren besorgten die Angelegenheiten eines Volkes, als daß das
Volk sich um alles zanke. Er wies dabei allen Ernstes auf China hin, als
sein Ideal einer Regierungsform.

Es ist mehr ärgerlich als interessant zu beobachten, wie das arme und
geistig verkommene, im Uebrigen meistentheils ganz ordentliche, arbeitsame Volk
aus Wales, Dänemark und Norwegen, denn dieses bildet die Hauptbevölkerung
des Thales, bearbeitet, fanatisirt und zu gefügigen Heiligen hergerichtet wird.
Es ist eine zwar nicht neue, aber für den Philosophen wie für den Staats¬
mann immerhin eine belehrende Erscheinung, zu sehen, wie hier gleichsam unter
seinen Augen eine angeblich geoffenbarte Religion entsteht und sich ausbildet,
wie der krasseste Unsinn, der handgreiflichste Betrug dazu dient einen Staat
zu gründen, einzurichten und für die Zwecke Weniger auszubeuten. Und doch
kann man von den leitenden Männern in Utah nicht sagen, daß es besonders
begabte oder auch nur talentvolle Männer wären; bei weitem die meisten unter
ihnen sind sogar höchst unwissend und von beschränktem Verstände. Auch von
religiösem Fanatismus, der sich wie ein Contagium überträgt, ist bei ihnen


saal einzurichten, in welchem die Bänke amphitheatralisch geordnet sind, so
daß man den unterstehenden Redner von allen Seiten sehen und hören kann,
und da die Decke dieses Saales, welche zugleich das Dach des Hauses ist,
die Form eines einfachen Tonnengewölbes hat, so wurde dadurch die nöthige
Höhe erreicht, und man brauchte den beiden überirdischen Seitenmauern des
Hauses nicht mehr als etwa vier bis fünf Fuß Höhe zu geben.

Der Gottesdienst der Mormonen beginnt gewöhnlich mit einem Gebet
des Oberpriesters, worauf ein Gesang der Gemeinde folgt, der in Ermange¬
lung einer Orgel mit einem guten sechsoctavigen Melodion begleitet wird. Eine
Engländerin, deren Mann auf dem Wege nach Californien starb, ist Orga¬
nistin und spielt das Instrument ganz leidlich. Auf den Gesang folgt eine
Rede, die ein vorher bestimmtes Mitglied des Vorstandes hält. Die Mor¬
monen behaupten zwar, der Redner erfahre nur kurz vorher, daß er zu spre¬
chen habe, die Reden würden ex temxors gehalten und ein jeder könne auf¬
gerufen werden, um über einen gegebenen Gegenstand zu sprechen. Dies ist
ein Kunstgriff, um das Volk in dem Glauben zu bestärken, Offenbarung und
göttliche Inspiration sei fortwährend in den Auserwählten thätig. Nach dem
Gottesdienst werden die Zehntarbeiten verkündet; denn jeder Mormone zahlt
der Kirche nicht nur den zehnten Theil seiner Arbeit, sondern auch den zehnten
Theil seiner Zeit; es wird indessen von der Verwendung des Zehnten der
Gemeinde niemals eine Rechenschaft abgelegt. Als ich eines Tages dem
Apostel Taylor, der als eine der gelehrtesten Stützen der Kirche angesehen
wird, bemerkte, daß dies gegen den Geist der amerikanischen Institutionen wäre,
suchte er mir auseinanderzusetzen, daß es am Ende besser wäre, die Klügeren
und Gelehrteren besorgten die Angelegenheiten eines Volkes, als daß das
Volk sich um alles zanke. Er wies dabei allen Ernstes auf China hin, als
sein Ideal einer Regierungsform.

Es ist mehr ärgerlich als interessant zu beobachten, wie das arme und
geistig verkommene, im Uebrigen meistentheils ganz ordentliche, arbeitsame Volk
aus Wales, Dänemark und Norwegen, denn dieses bildet die Hauptbevölkerung
des Thales, bearbeitet, fanatisirt und zu gefügigen Heiligen hergerichtet wird.
Es ist eine zwar nicht neue, aber für den Philosophen wie für den Staats¬
mann immerhin eine belehrende Erscheinung, zu sehen, wie hier gleichsam unter
seinen Augen eine angeblich geoffenbarte Religion entsteht und sich ausbildet,
wie der krasseste Unsinn, der handgreiflichste Betrug dazu dient einen Staat
zu gründen, einzurichten und für die Zwecke Weniger auszubeuten. Und doch
kann man von den leitenden Männern in Utah nicht sagen, daß es besonders
begabte oder auch nur talentvolle Männer wären; bei weitem die meisten unter
ihnen sind sogar höchst unwissend und von beschränktem Verstände. Auch von
religiösem Fanatismus, der sich wie ein Contagium überträgt, ist bei ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/160>, abgerufen am 27.08.2024.