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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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zu machen, nicht theologisch, sondern nur historisch ist die Legitimität zu
fassen. Die Kreuzzeitung mag es mit Recht preisen, daß Preußen sich mit
seinen Hohenzollern so verwachsen fühlt, daß eine Trennung von Volk und
Fürstenhaus rein undeutlich ist, jenes Vcrwachsensein aber existirte eben
nicht in Italien. Die Lombardei ward durch Willkür des wiener Congresses
Oestreich gegeben, das dieselbe antinational regierte, die Fürsten von Toscana,
Modena und Parma empfingen von Wien ihre Instruktionen und machten
dadurch sich und den deutschen Namen bei ihrem Volke verhaßt. Daher hat
sich dasselbe vollständig von ihnen gelöst. Es kann schwerlich vergessen werden,
daß der Großherzog von Toscana, ovwol freiwillig von der Legislative er¬
sucht zurückzukehren, die Oestreicher ins Land rief und die beschworne Verfas¬
sung zerstörte, und daß er im ersten Anfang der jetzigen Bewegung nicht ver¬
trieben ward, sondern selbst nach Oestreich floh. Es ist daher keine Pöbel¬
revolution, welche seine Ausschließung vom Thron ausgesprochen, sondern
hier wie in den Herzogthümern stehen die ersten Familien des Adels und
Vürgerstandes an der Spitze; würden die Fürsten selbst durch einen Zauber¬
stab wieder aus ihre Throne gesetzt, so wären sie in Verlegenheit Leute zu
finden, mit denen sie regieren könnten, da alle Welt gegen sie compromittüt
'se. Offenbar haben die Leiter der Bewegung auch sehr klug gethan, sich einem
Monarchisch organisirten Staat anzuschließen und die Schwerkraft der Verhält¬
nisse wird dahin führen, daß Europa die Annexion als eine vollendete Thät¬
liche annehmen muß. Preußen aber, sollten wir meinen, hatte am wenigsten
Ursache, eine Vergrößerung Sardiniens zu verhindern, das, wie die Verhältnisse
liegen, darauf angewiesen ist, seine Bundesgenossenschaft zu suchen. Wir sind
keineswegs der Meinung, uns aus sentimentalen Liberalismus für die Freiheit
oberer zu schlagen, aber da Italien sich jetzt wieder überlassen ist, so sollen
niir sein Weiterkommen nicht hindern und anerkennen, daß eine gewisse So¬
lidarität der liberalen Principien allerdings besteht, und daß es auf unser Fort-
Breiten nur günstig wirken kann, wenn freisinnige politische und religiöse
Grundsätze in Italien Boden gewinnen. Das schwierigste Verhältniß bleibt
das der Legationen, so wie es der offenbarste und doch kitzlichste Widerspruch
^ar, daß Napoleon die schlimmste Mißregierung in Italien schützte, während
^ den Anschluß des verhältnißmüßig gut regierten Toscana zugab. Sicher that
dies der älteste Sohn der Kirche nicht aus Pietät gegen das Oberhaupt, hom-
em weil er fürchtete in Conflict mit seinen Bischöfen zu Hause zu kommen.
^ erreichte jedenfalls das, daß die Oestreicher aus den Legationen abziehen
Mußten, während die Franzosen in Rom blieben. Schwerlich aber wird er
"es besonders darüber grämen, wenn durch die Gewalt der Verhältnisse des
Papstes Recht Abbruch litte, denn gewiß ist das ultramontane Regiment ihm
unbequem in Frankreich; man hat gesehen, daß die Polizei Abouts


Grenzboten IV. 18Ü9. 19

zu machen, nicht theologisch, sondern nur historisch ist die Legitimität zu
fassen. Die Kreuzzeitung mag es mit Recht preisen, daß Preußen sich mit
seinen Hohenzollern so verwachsen fühlt, daß eine Trennung von Volk und
Fürstenhaus rein undeutlich ist, jenes Vcrwachsensein aber existirte eben
nicht in Italien. Die Lombardei ward durch Willkür des wiener Congresses
Oestreich gegeben, das dieselbe antinational regierte, die Fürsten von Toscana,
Modena und Parma empfingen von Wien ihre Instruktionen und machten
dadurch sich und den deutschen Namen bei ihrem Volke verhaßt. Daher hat
sich dasselbe vollständig von ihnen gelöst. Es kann schwerlich vergessen werden,
daß der Großherzog von Toscana, ovwol freiwillig von der Legislative er¬
sucht zurückzukehren, die Oestreicher ins Land rief und die beschworne Verfas¬
sung zerstörte, und daß er im ersten Anfang der jetzigen Bewegung nicht ver¬
trieben ward, sondern selbst nach Oestreich floh. Es ist daher keine Pöbel¬
revolution, welche seine Ausschließung vom Thron ausgesprochen, sondern
hier wie in den Herzogthümern stehen die ersten Familien des Adels und
Vürgerstandes an der Spitze; würden die Fürsten selbst durch einen Zauber¬
stab wieder aus ihre Throne gesetzt, so wären sie in Verlegenheit Leute zu
finden, mit denen sie regieren könnten, da alle Welt gegen sie compromittüt
'se. Offenbar haben die Leiter der Bewegung auch sehr klug gethan, sich einem
Monarchisch organisirten Staat anzuschließen und die Schwerkraft der Verhält¬
nisse wird dahin führen, daß Europa die Annexion als eine vollendete Thät¬
liche annehmen muß. Preußen aber, sollten wir meinen, hatte am wenigsten
Ursache, eine Vergrößerung Sardiniens zu verhindern, das, wie die Verhältnisse
liegen, darauf angewiesen ist, seine Bundesgenossenschaft zu suchen. Wir sind
keineswegs der Meinung, uns aus sentimentalen Liberalismus für die Freiheit
oberer zu schlagen, aber da Italien sich jetzt wieder überlassen ist, so sollen
niir sein Weiterkommen nicht hindern und anerkennen, daß eine gewisse So¬
lidarität der liberalen Principien allerdings besteht, und daß es auf unser Fort-
Breiten nur günstig wirken kann, wenn freisinnige politische und religiöse
Grundsätze in Italien Boden gewinnen. Das schwierigste Verhältniß bleibt
das der Legationen, so wie es der offenbarste und doch kitzlichste Widerspruch
^ar, daß Napoleon die schlimmste Mißregierung in Italien schützte, während
^ den Anschluß des verhältnißmüßig gut regierten Toscana zugab. Sicher that
dies der älteste Sohn der Kirche nicht aus Pietät gegen das Oberhaupt, hom-
em weil er fürchtete in Conflict mit seinen Bischöfen zu Hause zu kommen.
^ erreichte jedenfalls das, daß die Oestreicher aus den Legationen abziehen
Mußten, während die Franzosen in Rom blieben. Schwerlich aber wird er
"es besonders darüber grämen, wenn durch die Gewalt der Verhältnisse des
Papstes Recht Abbruch litte, denn gewiß ist das ultramontane Regiment ihm
unbequem in Frankreich; man hat gesehen, daß die Polizei Abouts


Grenzboten IV. 18Ü9. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/157>, abgerufen am 27.08.2024.