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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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dem Wege soll ich mir sonst Rechenschaft geben, ob das Medium welches Sie
mir anzeigen, zulässig sei oder nicht?"

Wie nun durch äußere Motive von Männern mit starker Vernunft die An¬
sprüche der Vernunft bei Seite gestellt wurden, zeigt am deutlichsten ein Bries des¬
selben Gentz, der so kräftig die Sache der Vernunft in Glaubenssachen geführt, an
A. Müller 19. April 18is, als ihn das Attentat gegen Kotzebue in Angst gejagt
hatte. "Nie wird Religion wieder als Glaube hergestellt werden, wenn sie nicht
zuvor als Gesetz wieder hergestellt wird. Denn nur als Gesetz kann sie einen
Glauben des Gehorsams selbst in denjenigen begründen, die für den directen
Glauben unempfänglich waren oder geworden sind ... Ich weiß, daß keine
moralische und folglich auch keine politische Weltordnung bestehn kann, wenn
sich nicht Mittel finden, die Vernunft eines jeden zu bändigen, und wenn der
unselige Anspruch, vermöge dessen jeder seine eigne Vernunft als gesetzgebend
ansehen will, nicht aus der menschlichen Gesellschaft wieder zu verbannen ist
. . . Das Gesetz kann nur in der Religion zu finden sein . ., . Selbst hier
aber kann es keine feste Wurzel schlagen, wenn es nicht von einer fortdauern¬
den gesetzgebenden Macht regelmäßig verwaltet wird. Es muß folglich
eine Kirche bestehn, und in dieser Kirche muß Einheit und Unwandelbarkeit
in allem Wesentlichen das erste Princip sein. Sobald man einmal zugibt,
daß die Vernunft des Einzelnen in Sachen der Religion, nicht blos unter der
Hand rebelliren (welches sich nicht immer vermeiden läßt), sondern für sich
selbst und gar für andere gesetzgebend werden kann, muß das Nämliche auch
für alle Staatsverhältnisse gelten; und von dem Augenblick an Me die Gesell¬
schaft auseinander und alles sinkt in den wilden Naturzustand zurück. Kirche
und Staat dürfen immer nur sich selbst reformiren, d. h., jede wahre Reform
muß von den in beiden constituirten Autoritäten ausgehn. Sobald der Ein¬
zelne oder das sogenannte Volk in dies Geschäft eingreifen darf, ist keine
Rettung mehr. Der Protestantismus ist die erste, wahre und einzige Quelle
aller ungeheuern Uebel, unter welchen wir heute erliegen. Wäre er blos
räsonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element desselben einmal tief
in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und können. Indem sich aber
die Regierungen bequemten, den Protestantismus als eine erlaubte religiöse
Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein Menschenrecht anzu¬
erkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im Staat neben der eigent¬
lichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern derselben anzuweisen, war
sofort die religiöse, moralische und politische Weltordnung aufgelöst. Was
wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge und die natürliche Ent¬
wicklung jenes ersten Frevels. Die ganze französische Revolution und die noch
schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus derselben Quelle geflossen.
-- Seine religiöse Ueberzeugung ist nicht im mindesten geändert, er hat nur


dem Wege soll ich mir sonst Rechenschaft geben, ob das Medium welches Sie
mir anzeigen, zulässig sei oder nicht?"

Wie nun durch äußere Motive von Männern mit starker Vernunft die An¬
sprüche der Vernunft bei Seite gestellt wurden, zeigt am deutlichsten ein Bries des¬
selben Gentz, der so kräftig die Sache der Vernunft in Glaubenssachen geführt, an
A. Müller 19. April 18is, als ihn das Attentat gegen Kotzebue in Angst gejagt
hatte. „Nie wird Religion wieder als Glaube hergestellt werden, wenn sie nicht
zuvor als Gesetz wieder hergestellt wird. Denn nur als Gesetz kann sie einen
Glauben des Gehorsams selbst in denjenigen begründen, die für den directen
Glauben unempfänglich waren oder geworden sind ... Ich weiß, daß keine
moralische und folglich auch keine politische Weltordnung bestehn kann, wenn
sich nicht Mittel finden, die Vernunft eines jeden zu bändigen, und wenn der
unselige Anspruch, vermöge dessen jeder seine eigne Vernunft als gesetzgebend
ansehen will, nicht aus der menschlichen Gesellschaft wieder zu verbannen ist
. . . Das Gesetz kann nur in der Religion zu finden sein . ., . Selbst hier
aber kann es keine feste Wurzel schlagen, wenn es nicht von einer fortdauern¬
den gesetzgebenden Macht regelmäßig verwaltet wird. Es muß folglich
eine Kirche bestehn, und in dieser Kirche muß Einheit und Unwandelbarkeit
in allem Wesentlichen das erste Princip sein. Sobald man einmal zugibt,
daß die Vernunft des Einzelnen in Sachen der Religion, nicht blos unter der
Hand rebelliren (welches sich nicht immer vermeiden läßt), sondern für sich
selbst und gar für andere gesetzgebend werden kann, muß das Nämliche auch
für alle Staatsverhältnisse gelten; und von dem Augenblick an Me die Gesell¬
schaft auseinander und alles sinkt in den wilden Naturzustand zurück. Kirche
und Staat dürfen immer nur sich selbst reformiren, d. h., jede wahre Reform
muß von den in beiden constituirten Autoritäten ausgehn. Sobald der Ein¬
zelne oder das sogenannte Volk in dies Geschäft eingreifen darf, ist keine
Rettung mehr. Der Protestantismus ist die erste, wahre und einzige Quelle
aller ungeheuern Uebel, unter welchen wir heute erliegen. Wäre er blos
räsonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element desselben einmal tief
in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und können. Indem sich aber
die Regierungen bequemten, den Protestantismus als eine erlaubte religiöse
Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein Menschenrecht anzu¬
erkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im Staat neben der eigent¬
lichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern derselben anzuweisen, war
sofort die religiöse, moralische und politische Weltordnung aufgelöst. Was
wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge und die natürliche Ent¬
wicklung jenes ersten Frevels. Die ganze französische Revolution und die noch
schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus derselben Quelle geflossen.
— Seine religiöse Ueberzeugung ist nicht im mindesten geändert, er hat nur


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[0142] dem Wege soll ich mir sonst Rechenschaft geben, ob das Medium welches Sie mir anzeigen, zulässig sei oder nicht?" Wie nun durch äußere Motive von Männern mit starker Vernunft die An¬ sprüche der Vernunft bei Seite gestellt wurden, zeigt am deutlichsten ein Bries des¬ selben Gentz, der so kräftig die Sache der Vernunft in Glaubenssachen geführt, an A. Müller 19. April 18is, als ihn das Attentat gegen Kotzebue in Angst gejagt hatte. „Nie wird Religion wieder als Glaube hergestellt werden, wenn sie nicht zuvor als Gesetz wieder hergestellt wird. Denn nur als Gesetz kann sie einen Glauben des Gehorsams selbst in denjenigen begründen, die für den directen Glauben unempfänglich waren oder geworden sind ... Ich weiß, daß keine moralische und folglich auch keine politische Weltordnung bestehn kann, wenn sich nicht Mittel finden, die Vernunft eines jeden zu bändigen, und wenn der unselige Anspruch, vermöge dessen jeder seine eigne Vernunft als gesetzgebend ansehen will, nicht aus der menschlichen Gesellschaft wieder zu verbannen ist . . . Das Gesetz kann nur in der Religion zu finden sein . ., . Selbst hier aber kann es keine feste Wurzel schlagen, wenn es nicht von einer fortdauern¬ den gesetzgebenden Macht regelmäßig verwaltet wird. Es muß folglich eine Kirche bestehn, und in dieser Kirche muß Einheit und Unwandelbarkeit in allem Wesentlichen das erste Princip sein. Sobald man einmal zugibt, daß die Vernunft des Einzelnen in Sachen der Religion, nicht blos unter der Hand rebelliren (welches sich nicht immer vermeiden läßt), sondern für sich selbst und gar für andere gesetzgebend werden kann, muß das Nämliche auch für alle Staatsverhältnisse gelten; und von dem Augenblick an Me die Gesell¬ schaft auseinander und alles sinkt in den wilden Naturzustand zurück. Kirche und Staat dürfen immer nur sich selbst reformiren, d. h., jede wahre Reform muß von den in beiden constituirten Autoritäten ausgehn. Sobald der Ein¬ zelne oder das sogenannte Volk in dies Geschäft eingreifen darf, ist keine Rettung mehr. Der Protestantismus ist die erste, wahre und einzige Quelle aller ungeheuern Uebel, unter welchen wir heute erliegen. Wäre er blos räsonnirend geblieben, so hätte man ihn, da das Element desselben einmal tief in der menschlichen Natur steckt, dulden müssen und können. Indem sich aber die Regierungen bequemten, den Protestantismus als eine erlaubte religiöse Form, als eine Gestalt des Christenthums, als ein Menschenrecht anzu¬ erkennen, mit ihm zu capituliren, ihm seine Stelle im Staat neben der eigent¬ lichen wahren Kirche, wol gar auf den Trümmern derselben anzuweisen, war sofort die religiöse, moralische und politische Weltordnung aufgelöst. Was wir erlebt haben, war nur eine nothwendige Folge und die natürliche Ent¬ wicklung jenes ersten Frevels. Die ganze französische Revolution und die noch schlimmere, die Deutschland bevorsteht, sind aus derselben Quelle geflossen. — Seine religiöse Ueberzeugung ist nicht im mindesten geändert, er hat nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/142>, abgerufen am 25.08.2024.