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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Politik gegen Frankreich, Oestreich und Rom zu treiben, ihn zugleich aber
verpflichtete, stets auf die Wünsche der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, um
gegen die übermächtigen Nachbarn gesichert zu sein. Auch für Oestreich, wenn
es nicht mit drei Würfeln neunzehn Augen werfen will, wäre dieser Ausgang der
erwünschteste, denn er befreit es aus einem Labyrinth von Verlegenheiten,
aus denen es sonst keinen Ausgang gefunden hätte.

Freilich ist"nicht zu erwarten, daß es zu dieser Einsicht kommt, die Lei¬
denschaften sind immer mächtiger als die Ueberlegung. Es wird, so lange
ihm eine Hoffnung bleibt, aus allen Kräften sich gegen einen solchen Ausgang
sträuben. Aus demselben Grund wird Nußland für Sardinien sein; denn von
der angeblichen Annäherung der beiden Großmächte läßt sich noch nichts spüren.
England hat sich bereits so laut wie möglich für Sardinien erklärt. So bleibt
noch Frankreich übrig, dessen Sprache in den letzten Monaten seltsam ge¬
wechselt hat.

Wahrscheinlich hat das darin seinen Grund, daß in der Seele des Kaisers
der Entschluß noch nicht reif ist. Napoleon ist der Mann blitzschneller und
entscheidender Entschüsse; aber dann bedarf er einer Pause, sich zu sammeln.
In dieser Pause ruht sein Wille.

Es kämpfen in dieser Frage verschiedene Motive gegeneinander. Nicht
gern würde er seine Protcctorrolle aufgeben, nicht gern Sardinien zu groß wer¬
den lassen. Aus der andern Seite hat er wirklich einen gewissen Respect vor
dem Nationalwillen, vielleicht auch einige Achtung vor Victor Emnnuel. Es
wird ihm schwer, gegen Rom aufzutreten, und doch hat ihn Rom in der letz¬
ten Zeit sehr verdrossen. Vielleicht ist nicht der kleinste Grund, der ihn vom
endlichen Entschluß zurückhält, der Umstand, daß Preußen sich über die Rolle,
die es spielen will, noch nicht ausgesprochen hat.

Vielleicht wäre es ihm am angenehmsten, mit England, Preußen und
Nußland gemeinsam die bisherige Rolle auf friedlichem Wege fortzusetzen.
Gelingt ihm das aber nicht, so wird er sich -- das steht unerschütterlich fest
- genöthigt sehn die Rolle des Eroberers zu versuchen. Erobern kann er
nur in Nheinpreußen, Rheinbaiern, Belgien. Wenn ihm also eine libe¬
rale Coalition nicht gelingt, so wird er es mit einer absolutistischen ver¬
suchen.

Darum scheint es uns die Hauptfrage des Tages, daß Preußen sich sel¬
ber klar macht, ob es unter keinen Umständen aus einem Kongreß für Italien
gegen die östreichischen Ansprüche aufzutreten gedenkt. Bei der Erwägung
dieses Frage spielen zu viel Gefühlsrücksichten mit, als daß man sie durch ein¬
fache Logik entscheiden könnte. Ist es aber einmal entschlossen, so ist es
auch dringend nothwendig, daß es dann mit Oestreich und den deutschen Mittcl-
staaten sich einigt, jeden Zwiespalt sorgfältig vermeidet, und den Bund befestigt,


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Politik gegen Frankreich, Oestreich und Rom zu treiben, ihn zugleich aber
verpflichtete, stets auf die Wünsche der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, um
gegen die übermächtigen Nachbarn gesichert zu sein. Auch für Oestreich, wenn
es nicht mit drei Würfeln neunzehn Augen werfen will, wäre dieser Ausgang der
erwünschteste, denn er befreit es aus einem Labyrinth von Verlegenheiten,
aus denen es sonst keinen Ausgang gefunden hätte.

Freilich ist«nicht zu erwarten, daß es zu dieser Einsicht kommt, die Lei¬
denschaften sind immer mächtiger als die Ueberlegung. Es wird, so lange
ihm eine Hoffnung bleibt, aus allen Kräften sich gegen einen solchen Ausgang
sträuben. Aus demselben Grund wird Nußland für Sardinien sein; denn von
der angeblichen Annäherung der beiden Großmächte läßt sich noch nichts spüren.
England hat sich bereits so laut wie möglich für Sardinien erklärt. So bleibt
noch Frankreich übrig, dessen Sprache in den letzten Monaten seltsam ge¬
wechselt hat.

Wahrscheinlich hat das darin seinen Grund, daß in der Seele des Kaisers
der Entschluß noch nicht reif ist. Napoleon ist der Mann blitzschneller und
entscheidender Entschüsse; aber dann bedarf er einer Pause, sich zu sammeln.
In dieser Pause ruht sein Wille.

Es kämpfen in dieser Frage verschiedene Motive gegeneinander. Nicht
gern würde er seine Protcctorrolle aufgeben, nicht gern Sardinien zu groß wer¬
den lassen. Aus der andern Seite hat er wirklich einen gewissen Respect vor
dem Nationalwillen, vielleicht auch einige Achtung vor Victor Emnnuel. Es
wird ihm schwer, gegen Rom aufzutreten, und doch hat ihn Rom in der letz¬
ten Zeit sehr verdrossen. Vielleicht ist nicht der kleinste Grund, der ihn vom
endlichen Entschluß zurückhält, der Umstand, daß Preußen sich über die Rolle,
die es spielen will, noch nicht ausgesprochen hat.

Vielleicht wäre es ihm am angenehmsten, mit England, Preußen und
Nußland gemeinsam die bisherige Rolle auf friedlichem Wege fortzusetzen.
Gelingt ihm das aber nicht, so wird er sich — das steht unerschütterlich fest
- genöthigt sehn die Rolle des Eroberers zu versuchen. Erobern kann er
nur in Nheinpreußen, Rheinbaiern, Belgien. Wenn ihm also eine libe¬
rale Coalition nicht gelingt, so wird er es mit einer absolutistischen ver¬
suchen.

Darum scheint es uns die Hauptfrage des Tages, daß Preußen sich sel¬
ber klar macht, ob es unter keinen Umständen aus einem Kongreß für Italien
gegen die östreichischen Ansprüche aufzutreten gedenkt. Bei der Erwägung
dieses Frage spielen zu viel Gefühlsrücksichten mit, als daß man sie durch ein¬
fache Logik entscheiden könnte. Ist es aber einmal entschlossen, so ist es
auch dringend nothwendig, daß es dann mit Oestreich und den deutschen Mittcl-
staaten sich einigt, jeden Zwiespalt sorgfältig vermeidet, und den Bund befestigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/127>, abgerufen am 24.08.2024.