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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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denburger ausübt, hab' ich dem Leser schon M meinem Aufsätze über Olden¬
burg auseinandergesetzt. In dem Häuschen neben uns auf Wanger-Oge
wohnte der Sohn eines Beamten aus der Hauptstadt, ein junger Mann, der
nach langem Körperleiden durch das Seebad sich kräftigen sollte. Derselbe
war zwei Jahre zuvor aus der zweitobersten Classe des Gymnasiums ausge¬
treten, um -- wie der Ausdruck immer lautet -- Schiffer zu werden. Da
der Seemannsdienst von unten aus erlernt werden muß, so war er zuerst als
Schiffsjunge eingetreten und dann zum Lichtmatrvsen aufgerückt. Als solcher
Machte der kühne, kräftige Jüngling mit einer breiner Kausmannsfregatte eine
Fahrt nach Rio Janeiro. Unterwegs siel er aus dem Mastkorb, in den er
Während des Sturms hatte klettern müssen, auf das Verdeck und brach ein
Bein. Der Capitän, der im Nothfall auch die Stelle eines Pfarrers, Doc-
tors und Wundarztes, so gut es abgehen will, versieht, schindelte ihn. Das
Bein war aber so schlecht eingerichtet, daß der arme Junge zu Rio Janeiro
sich einer zweiten Cur unterwerfen mußte, wobei das Bein von neuem künst¬
lich gebrochen wurde. Aber die brasilianischen Wundärzte schienen es nicht
^ick besser als unser Capitän zu verstehen; denn als der junge Mann nach
Europa zurückkehrte, ging er mit der Krücke. Das gebrochene Bein war kür¬
zer als das andere, und es eiterten noch fortwährend Knochensplitter heraus.
trat wieder ins Gymnasium ein und setzte die alten Studien fort; aber
bald wurde sein Zustand so unleidlich, daß er beschloß, sich einer neuen und
Mündlichen Cur zu unterwerfen. In dem großen Hospital zu Hannover wurde
das Bein zum zweiten Male künstlich gebrochen, und diesmal gelang eine
^ständige Heilung, wenn auch das eine Bein etwas kürzer als das andere
bheb. Wieder "Schiffer" zu werden, das mußte er sich ganz aus dem Sinne
Ichlagen. Auch dachte ich mir, daß ihm die See nun gründlich verleidet sei.
^ber ich irrte mich. Eines Tages fragte ich ihn auf Wanger-Oge: "Was
denken Sie zu studiren?" "Die Heilkunde," gab er zur Antwort. "Mit meinem
^rzen Bein kann ich doch noch immer Schiffsarzt werden."

Da das Baden, wie wir es im Binnenland gewöhnt sind, an den Kü¬
sten der Nordsee infolge der kühleren Temperatur und des veränderlichen
^asscrstandes nur wenig betrieben wird, so findet man in jenen Gegenden
^nig Schwimmer; auffallenderweise verstehen sich auch die meisten Schiffer
^'ehe darauf. Wir würden uns. sagen sie, nur um so länger quälen, wenn
^ von Bord geschlagen werden. Viele dieser friesischen Schiffer tragen einen
fernen Knopf am Hemde, damit, falls ihr Leichnam an einen bewohnten
^and geräth, ihre Bestattung damit bestritten werden kann.

Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthalts auf der Insel machte
^ die Bekanntschaft eines alten verwachsenen Mannes, der die Lampen des
^chtthurms besorgte, und sich daneben als ein Tausendkünstler von großem


denburger ausübt, hab' ich dem Leser schon M meinem Aufsätze über Olden¬
burg auseinandergesetzt. In dem Häuschen neben uns auf Wanger-Oge
wohnte der Sohn eines Beamten aus der Hauptstadt, ein junger Mann, der
nach langem Körperleiden durch das Seebad sich kräftigen sollte. Derselbe
war zwei Jahre zuvor aus der zweitobersten Classe des Gymnasiums ausge¬
treten, um — wie der Ausdruck immer lautet — Schiffer zu werden. Da
der Seemannsdienst von unten aus erlernt werden muß, so war er zuerst als
Schiffsjunge eingetreten und dann zum Lichtmatrvsen aufgerückt. Als solcher
Machte der kühne, kräftige Jüngling mit einer breiner Kausmannsfregatte eine
Fahrt nach Rio Janeiro. Unterwegs siel er aus dem Mastkorb, in den er
Während des Sturms hatte klettern müssen, auf das Verdeck und brach ein
Bein. Der Capitän, der im Nothfall auch die Stelle eines Pfarrers, Doc-
tors und Wundarztes, so gut es abgehen will, versieht, schindelte ihn. Das
Bein war aber so schlecht eingerichtet, daß der arme Junge zu Rio Janeiro
sich einer zweiten Cur unterwerfen mußte, wobei das Bein von neuem künst¬
lich gebrochen wurde. Aber die brasilianischen Wundärzte schienen es nicht
^ick besser als unser Capitän zu verstehen; denn als der junge Mann nach
Europa zurückkehrte, ging er mit der Krücke. Das gebrochene Bein war kür¬
zer als das andere, und es eiterten noch fortwährend Knochensplitter heraus.
trat wieder ins Gymnasium ein und setzte die alten Studien fort; aber
bald wurde sein Zustand so unleidlich, daß er beschloß, sich einer neuen und
Mündlichen Cur zu unterwerfen. In dem großen Hospital zu Hannover wurde
das Bein zum zweiten Male künstlich gebrochen, und diesmal gelang eine
^ständige Heilung, wenn auch das eine Bein etwas kürzer als das andere
bheb. Wieder „Schiffer" zu werden, das mußte er sich ganz aus dem Sinne
Ichlagen. Auch dachte ich mir, daß ihm die See nun gründlich verleidet sei.
^ber ich irrte mich. Eines Tages fragte ich ihn auf Wanger-Oge: „Was
denken Sie zu studiren?" „Die Heilkunde," gab er zur Antwort. „Mit meinem
^rzen Bein kann ich doch noch immer Schiffsarzt werden."

Da das Baden, wie wir es im Binnenland gewöhnt sind, an den Kü¬
sten der Nordsee infolge der kühleren Temperatur und des veränderlichen
^asscrstandes nur wenig betrieben wird, so findet man in jenen Gegenden
^nig Schwimmer; auffallenderweise verstehen sich auch die meisten Schiffer
^'ehe darauf. Wir würden uns. sagen sie, nur um so länger quälen, wenn
^ von Bord geschlagen werden. Viele dieser friesischen Schiffer tragen einen
fernen Knopf am Hemde, damit, falls ihr Leichnam an einen bewohnten
^and geräth, ihre Bestattung damit bestritten werden kann.

Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthalts auf der Insel machte
^ die Bekanntschaft eines alten verwachsenen Mannes, der die Lampen des
^chtthurms besorgte, und sich daneben als ein Tausendkünstler von großem


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[0123] denburger ausübt, hab' ich dem Leser schon M meinem Aufsätze über Olden¬ burg auseinandergesetzt. In dem Häuschen neben uns auf Wanger-Oge wohnte der Sohn eines Beamten aus der Hauptstadt, ein junger Mann, der nach langem Körperleiden durch das Seebad sich kräftigen sollte. Derselbe war zwei Jahre zuvor aus der zweitobersten Classe des Gymnasiums ausge¬ treten, um — wie der Ausdruck immer lautet — Schiffer zu werden. Da der Seemannsdienst von unten aus erlernt werden muß, so war er zuerst als Schiffsjunge eingetreten und dann zum Lichtmatrvsen aufgerückt. Als solcher Machte der kühne, kräftige Jüngling mit einer breiner Kausmannsfregatte eine Fahrt nach Rio Janeiro. Unterwegs siel er aus dem Mastkorb, in den er Während des Sturms hatte klettern müssen, auf das Verdeck und brach ein Bein. Der Capitän, der im Nothfall auch die Stelle eines Pfarrers, Doc- tors und Wundarztes, so gut es abgehen will, versieht, schindelte ihn. Das Bein war aber so schlecht eingerichtet, daß der arme Junge zu Rio Janeiro sich einer zweiten Cur unterwerfen mußte, wobei das Bein von neuem künst¬ lich gebrochen wurde. Aber die brasilianischen Wundärzte schienen es nicht ^ick besser als unser Capitän zu verstehen; denn als der junge Mann nach Europa zurückkehrte, ging er mit der Krücke. Das gebrochene Bein war kür¬ zer als das andere, und es eiterten noch fortwährend Knochensplitter heraus. trat wieder ins Gymnasium ein und setzte die alten Studien fort; aber bald wurde sein Zustand so unleidlich, daß er beschloß, sich einer neuen und Mündlichen Cur zu unterwerfen. In dem großen Hospital zu Hannover wurde das Bein zum zweiten Male künstlich gebrochen, und diesmal gelang eine ^ständige Heilung, wenn auch das eine Bein etwas kürzer als das andere bheb. Wieder „Schiffer" zu werden, das mußte er sich ganz aus dem Sinne Ichlagen. Auch dachte ich mir, daß ihm die See nun gründlich verleidet sei. ^ber ich irrte mich. Eines Tages fragte ich ihn auf Wanger-Oge: „Was denken Sie zu studiren?" „Die Heilkunde," gab er zur Antwort. „Mit meinem ^rzen Bein kann ich doch noch immer Schiffsarzt werden." Da das Baden, wie wir es im Binnenland gewöhnt sind, an den Kü¬ sten der Nordsee infolge der kühleren Temperatur und des veränderlichen ^asscrstandes nur wenig betrieben wird, so findet man in jenen Gegenden ^nig Schwimmer; auffallenderweise verstehen sich auch die meisten Schiffer ^'ehe darauf. Wir würden uns. sagen sie, nur um so länger quälen, wenn ^ von Bord geschlagen werden. Viele dieser friesischen Schiffer tragen einen fernen Knopf am Hemde, damit, falls ihr Leichnam an einen bewohnten ^and geräth, ihre Bestattung damit bestritten werden kann. Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthalts auf der Insel machte ^ die Bekanntschaft eines alten verwachsenen Mannes, der die Lampen des ^chtthurms besorgte, und sich daneben als ein Tausendkünstler von großem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/123>, abgerufen am 25.08.2024.