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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Klagen und Wimmern umher; andere standen mit gefalteten Händen und
murmelten Gebete. Fortwährend hörte man Nothschüsse; aber niemand konnte
von der Insel aus Hilfe reichen, da Wanger-Oge nicht, wie Helgoland, Loot-
senboote hat.

Am andern Morgen, da der Sturm sich gelegt hatte und die See nur
noch hohl ging, gewahrten die Insulaner mit ihren Falkenaugen Schiffstrüm¬
mer in weiter Ferne. Es war, wie sich bald zeigte, ein Boot mit durchbroche¬
nem Boden, dem gegen Mittag ein halbzertrümmerter Mast und ein "Stern"
-- so nennen sie den Spiegel oder das Hintertheil des Schiffes -- folgten.
Als der Stern näher kam, stieß eine der am Ufer umherirrenden Frauen el"
herzzcrschneidendes Geschrei aus. Sie hatte ihn erkannt und wußte nun, daß
ihres Mannes Fahrzeug zertrümmert und sie selbst eine Wittwe war.

Die Badegäste sammelten für sie, so daß sie und ihre Kinder wenigstens
vor der nächsten Noth geborgen waren.

Als ich am Abend des Tages mit meiner Wirthin, der Schiffersfrau,
über den traurigen Borfall sprach, erwiederte sie: "Ja, ja, wir Wanger-Oge-
rinnen müssen alle auf ein gleiches Schicksal gefaßt sein. Heute trifft es die,
morgen, jene. Manchmal geht es aber auch umgekehrt bei uns. und der
Tod schafft Wittwer. statt Wittwen. Vor sieben Jahren wohnte in dem Häus¬
chen neben der Schule ein Mädchen, das man seiner Schönheit wegen allge¬
mein die Nose von Wanger-Oge hieß. Ein junger Schiffer, der Bruder meines
Manns, gewann ihre Gunst, und heirathete sie. Sie gebar Zwillinge, aber
die zwei Knäbchen und sie selber hatten den Tod davon. Am folgenden
Tag kam der Mann von einer längeren Fahrt zurück und fand die drei Lei¬
chen in seinem Hause. -- Der geheime Hofrath Starklof, den Sie kennen wer¬
den, hat die traurige Geschichte in Verse gebracht."

Das wettergebräunte Gesicht des Schiffers. unter dessen Dach wir hausten,
kam uns nur einmal vor Augen. Es war eines Abends, als er von einer
Fahrt nach Norwegen und Schweden heimkehrte: doch schon in dersel¬
ben Nacht ging er wieder auf sein Schiff, auf dem er nur einen Jungen zu-
rückgelassen hatte, besorgt gemacht durch einen Umschlag des Wetters, der
sich anzukündigen schien. Am folgenden Tag erfuhren wir, daß er eine neue
Fahrt angetreten hatte.

Wanger-Oge ist überhaupt sehr arm an Männern, nicht nur, weil diesel¬
ben durch ihr Gewerbe als Frachtschiffer nach außen gezogen werden, sondern
auch weil die See so viele verschlingt. Auf dem kleinen Kirchhofe der Insel
liest man fast nur Namen von Weibern und Kindern auf den Kreuzen. Den¬
noch fällt es einem jungen Menschen von gesunden Gliedern nicht ein. etwas
Anderes zu treiben, als zu Schiffe zu gehen.-

Welche große Anziehungskraft der Stand des Seemanns aus den Ol


Klagen und Wimmern umher; andere standen mit gefalteten Händen und
murmelten Gebete. Fortwährend hörte man Nothschüsse; aber niemand konnte
von der Insel aus Hilfe reichen, da Wanger-Oge nicht, wie Helgoland, Loot-
senboote hat.

Am andern Morgen, da der Sturm sich gelegt hatte und die See nur
noch hohl ging, gewahrten die Insulaner mit ihren Falkenaugen Schiffstrüm¬
mer in weiter Ferne. Es war, wie sich bald zeigte, ein Boot mit durchbroche¬
nem Boden, dem gegen Mittag ein halbzertrümmerter Mast und ein „Stern"
— so nennen sie den Spiegel oder das Hintertheil des Schiffes — folgten.
Als der Stern näher kam, stieß eine der am Ufer umherirrenden Frauen el»
herzzcrschneidendes Geschrei aus. Sie hatte ihn erkannt und wußte nun, daß
ihres Mannes Fahrzeug zertrümmert und sie selbst eine Wittwe war.

Die Badegäste sammelten für sie, so daß sie und ihre Kinder wenigstens
vor der nächsten Noth geborgen waren.

Als ich am Abend des Tages mit meiner Wirthin, der Schiffersfrau,
über den traurigen Borfall sprach, erwiederte sie: „Ja, ja, wir Wanger-Oge-
rinnen müssen alle auf ein gleiches Schicksal gefaßt sein. Heute trifft es die,
morgen, jene. Manchmal geht es aber auch umgekehrt bei uns. und der
Tod schafft Wittwer. statt Wittwen. Vor sieben Jahren wohnte in dem Häus¬
chen neben der Schule ein Mädchen, das man seiner Schönheit wegen allge¬
mein die Nose von Wanger-Oge hieß. Ein junger Schiffer, der Bruder meines
Manns, gewann ihre Gunst, und heirathete sie. Sie gebar Zwillinge, aber
die zwei Knäbchen und sie selber hatten den Tod davon. Am folgenden
Tag kam der Mann von einer längeren Fahrt zurück und fand die drei Lei¬
chen in seinem Hause. — Der geheime Hofrath Starklof, den Sie kennen wer¬
den, hat die traurige Geschichte in Verse gebracht."

Das wettergebräunte Gesicht des Schiffers. unter dessen Dach wir hausten,
kam uns nur einmal vor Augen. Es war eines Abends, als er von einer
Fahrt nach Norwegen und Schweden heimkehrte: doch schon in dersel¬
ben Nacht ging er wieder auf sein Schiff, auf dem er nur einen Jungen zu-
rückgelassen hatte, besorgt gemacht durch einen Umschlag des Wetters, der
sich anzukündigen schien. Am folgenden Tag erfuhren wir, daß er eine neue
Fahrt angetreten hatte.

Wanger-Oge ist überhaupt sehr arm an Männern, nicht nur, weil diesel¬
ben durch ihr Gewerbe als Frachtschiffer nach außen gezogen werden, sondern
auch weil die See so viele verschlingt. Auf dem kleinen Kirchhofe der Insel
liest man fast nur Namen von Weibern und Kindern auf den Kreuzen. Den¬
noch fällt es einem jungen Menschen von gesunden Gliedern nicht ein. etwas
Anderes zu treiben, als zu Schiffe zu gehen.-

Welche große Anziehungskraft der Stand des Seemanns aus den Ol


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[0122] Klagen und Wimmern umher; andere standen mit gefalteten Händen und murmelten Gebete. Fortwährend hörte man Nothschüsse; aber niemand konnte von der Insel aus Hilfe reichen, da Wanger-Oge nicht, wie Helgoland, Loot- senboote hat. Am andern Morgen, da der Sturm sich gelegt hatte und die See nur noch hohl ging, gewahrten die Insulaner mit ihren Falkenaugen Schiffstrüm¬ mer in weiter Ferne. Es war, wie sich bald zeigte, ein Boot mit durchbroche¬ nem Boden, dem gegen Mittag ein halbzertrümmerter Mast und ein „Stern" — so nennen sie den Spiegel oder das Hintertheil des Schiffes — folgten. Als der Stern näher kam, stieß eine der am Ufer umherirrenden Frauen el» herzzcrschneidendes Geschrei aus. Sie hatte ihn erkannt und wußte nun, daß ihres Mannes Fahrzeug zertrümmert und sie selbst eine Wittwe war. Die Badegäste sammelten für sie, so daß sie und ihre Kinder wenigstens vor der nächsten Noth geborgen waren. Als ich am Abend des Tages mit meiner Wirthin, der Schiffersfrau, über den traurigen Borfall sprach, erwiederte sie: „Ja, ja, wir Wanger-Oge- rinnen müssen alle auf ein gleiches Schicksal gefaßt sein. Heute trifft es die, morgen, jene. Manchmal geht es aber auch umgekehrt bei uns. und der Tod schafft Wittwer. statt Wittwen. Vor sieben Jahren wohnte in dem Häus¬ chen neben der Schule ein Mädchen, das man seiner Schönheit wegen allge¬ mein die Nose von Wanger-Oge hieß. Ein junger Schiffer, der Bruder meines Manns, gewann ihre Gunst, und heirathete sie. Sie gebar Zwillinge, aber die zwei Knäbchen und sie selber hatten den Tod davon. Am folgenden Tag kam der Mann von einer längeren Fahrt zurück und fand die drei Lei¬ chen in seinem Hause. — Der geheime Hofrath Starklof, den Sie kennen wer¬ den, hat die traurige Geschichte in Verse gebracht." Das wettergebräunte Gesicht des Schiffers. unter dessen Dach wir hausten, kam uns nur einmal vor Augen. Es war eines Abends, als er von einer Fahrt nach Norwegen und Schweden heimkehrte: doch schon in dersel¬ ben Nacht ging er wieder auf sein Schiff, auf dem er nur einen Jungen zu- rückgelassen hatte, besorgt gemacht durch einen Umschlag des Wetters, der sich anzukündigen schien. Am folgenden Tag erfuhren wir, daß er eine neue Fahrt angetreten hatte. Wanger-Oge ist überhaupt sehr arm an Männern, nicht nur, weil diesel¬ ben durch ihr Gewerbe als Frachtschiffer nach außen gezogen werden, sondern auch weil die See so viele verschlingt. Auf dem kleinen Kirchhofe der Insel liest man fast nur Namen von Weibern und Kindern auf den Kreuzen. Den¬ noch fällt es einem jungen Menschen von gesunden Gliedern nicht ein. etwas Anderes zu treiben, als zu Schiffe zu gehen.- Welche große Anziehungskraft der Stand des Seemanns aus den Ol

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/122>, abgerufen am 25.08.2024.