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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Landlebens ausmacht, außerordentlich zu. Auch gewährte der nahe Verkehr
mit meinen Schisfersleutcn den schützbaren Vortheil, vieles über die Insel
in Erfahrung zu bringen. An Regentagen, deren es aber nicht viele gab,
mußte ein mitgebrachtes Buch oder die kleine Leihbibliothek des Wanger-Oger
Lehrers aushelfen. War aber das Wetter nur irgend leidlich, so wurden
größere oder kleinere Streifzüge unternommen, indem ich bald die Dünen aus
und ab stieg, bald, zur Ebbezeit, auf dem Watt umherstreifte. Stunden lang
konnte ich, den Saum der Insel entlang, so dicht am Wasser gehen, daß die
Wellen über meinen Fuß hinwegspülten. Stunden lang, auf einen Sandhügel
gelagert, Auge und Seele an dem Anblick des wogenden Meeres weiden. Je
ferner von Menschen die Gegend war, die ich betrat, je stiller und abgeschlos¬
sener von aller Welt: desto deutlicher glaubte ich das Wehen des Geistes zu
vernehmen, der das All durchdringt. Ich hatte elf Jahre zuvor Monate lang
auf einer der schönsten Inseln des Mittelmeers gelebt, wo unter dem blauen
Himmel des Südens eine Gegend von wunderbarer Pracht ausgebreitet lag:
wie kam es doch, daß ich nun auf der öden Düne Wanger-Oge so hohen
Genuß fand? Weil die See überall ein gleich erhabenes Schauspiel bietet.
Zeigt das Meer des Nordens nicht das durchsichtige Jndigoblau des Golfs
von Neapel, kleidet es sich vielmehr in weit ernstere Farben: so ist es desto
gewaltiger in seinen Bewegungen, desto großartiger und grauenhafter in seinem
Zorn. Nur die Majestät der Alpenwelt, der ewig ruhenden, laßt sich mit
der Majestät des Meers, des ewig bewegten, vergleichen. Wer weder die
eine noch das andere gesehen, weiß nicht, wie schön und groß die Welt ist.

Das Leuchten der See ist im Norden eine seltene Erscheinung. Nur ein¬
mal während meines Aufenthalts aus Wanger-Oge, als sich grade ein großer
Theil der Curfremdcn Abends im Conversationshause eingefunden hatte, trat
diese Erscheinung bei schwülem Wetter ein. Auf den Ruf eines Herrn, der
mit den Worten: "Das Meer leuchtet!" in den Saal gebrochen war. rannte
alles hinaus. Aber die Wellen hatten einen nur sehr schwachen Schimmer;
dagegen konnten wir dem mit Seewasser getränkten Strande durch Stampfen
und Schlagen sprühendes Feuer entlocken. Man muß diese Erscheinung
um von den tropischen Gegenden gar nicht zu reden -- am mittelländischen
Meere beobachten, wenn in lauen Sommernächten die Wellen leuchtend zum
Ufer wallen, wenn jedes fahrende Schiff eine lange tiefe Feuerspur hinter sich
läßt; wenn ein Boot mit im Takte rudernden Matrosen bemannt, einem durchs
Wasser schießenden Riesenkrebse mit goldenen Füßen gleicht; wenn du selbst,
aus dem nächtlichen Bade steigend und das Wasser von dir abschüttelnd, von
tausend Funken sprühst. Von furchtbarer Schönheit ist das stürmende Meer
-- ein Anblick, der übrigens in der Badezeit nur selten geboten ist. Fahr'
und Dampfschiffe halten sich dann fern, und die Kurgäste sind Gefangene der


Landlebens ausmacht, außerordentlich zu. Auch gewährte der nahe Verkehr
mit meinen Schisfersleutcn den schützbaren Vortheil, vieles über die Insel
in Erfahrung zu bringen. An Regentagen, deren es aber nicht viele gab,
mußte ein mitgebrachtes Buch oder die kleine Leihbibliothek des Wanger-Oger
Lehrers aushelfen. War aber das Wetter nur irgend leidlich, so wurden
größere oder kleinere Streifzüge unternommen, indem ich bald die Dünen aus
und ab stieg, bald, zur Ebbezeit, auf dem Watt umherstreifte. Stunden lang
konnte ich, den Saum der Insel entlang, so dicht am Wasser gehen, daß die
Wellen über meinen Fuß hinwegspülten. Stunden lang, auf einen Sandhügel
gelagert, Auge und Seele an dem Anblick des wogenden Meeres weiden. Je
ferner von Menschen die Gegend war, die ich betrat, je stiller und abgeschlos¬
sener von aller Welt: desto deutlicher glaubte ich das Wehen des Geistes zu
vernehmen, der das All durchdringt. Ich hatte elf Jahre zuvor Monate lang
auf einer der schönsten Inseln des Mittelmeers gelebt, wo unter dem blauen
Himmel des Südens eine Gegend von wunderbarer Pracht ausgebreitet lag:
wie kam es doch, daß ich nun auf der öden Düne Wanger-Oge so hohen
Genuß fand? Weil die See überall ein gleich erhabenes Schauspiel bietet.
Zeigt das Meer des Nordens nicht das durchsichtige Jndigoblau des Golfs
von Neapel, kleidet es sich vielmehr in weit ernstere Farben: so ist es desto
gewaltiger in seinen Bewegungen, desto großartiger und grauenhafter in seinem
Zorn. Nur die Majestät der Alpenwelt, der ewig ruhenden, laßt sich mit
der Majestät des Meers, des ewig bewegten, vergleichen. Wer weder die
eine noch das andere gesehen, weiß nicht, wie schön und groß die Welt ist.

Das Leuchten der See ist im Norden eine seltene Erscheinung. Nur ein¬
mal während meines Aufenthalts aus Wanger-Oge, als sich grade ein großer
Theil der Curfremdcn Abends im Conversationshause eingefunden hatte, trat
diese Erscheinung bei schwülem Wetter ein. Auf den Ruf eines Herrn, der
mit den Worten: „Das Meer leuchtet!" in den Saal gebrochen war. rannte
alles hinaus. Aber die Wellen hatten einen nur sehr schwachen Schimmer;
dagegen konnten wir dem mit Seewasser getränkten Strande durch Stampfen
und Schlagen sprühendes Feuer entlocken. Man muß diese Erscheinung
um von den tropischen Gegenden gar nicht zu reden — am mittelländischen
Meere beobachten, wenn in lauen Sommernächten die Wellen leuchtend zum
Ufer wallen, wenn jedes fahrende Schiff eine lange tiefe Feuerspur hinter sich
läßt; wenn ein Boot mit im Takte rudernden Matrosen bemannt, einem durchs
Wasser schießenden Riesenkrebse mit goldenen Füßen gleicht; wenn du selbst,
aus dem nächtlichen Bade steigend und das Wasser von dir abschüttelnd, von
tausend Funken sprühst. Von furchtbarer Schönheit ist das stürmende Meer
— ein Anblick, der übrigens in der Badezeit nur selten geboten ist. Fahr'
und Dampfschiffe halten sich dann fern, und die Kurgäste sind Gefangene der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/120>, abgerufen am 25.08.2024.