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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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halten, als der Bund von ihnen fordert, ja bedeutendere als die ganze normirte
Bundesstreitmacht zusammengenommen. Nach den Ursachen der numerischen
Schwäche des Bundesheeres braucht man nicht lange zu suchen. Sie liegen 1)
darin, daß der deutsche Bund ein sehr loser Verein ist, dessen einzelne Glieder
weit auseinandergehende Interessen haben dürfen, keine politische Einheit; kein
Bundesstaat, sondern ein Staatenbund; 2) darin, daß er sich, was hiermit
nahe zusammenhangt, gegenüber dem Ausland eine seiner Größe und materiellen
Kraft durchaus unwürdige Stellung vorgeschrieben hat oder hat vorschreiben
lassen. Wie wenig würdig diese Stellung ist, darüber ist erst neuerdings
wol jeder Deutsche belehrt worden, dem die bekannten Noten Gortschakoffs
Walewstis und Russells über das, was dem Bunde zu thun erlaubt sei, noch
die Rothe der Scham und des Zornes ins Gesicht zu treiben vermochten. An
der Schwäche des deutschen Bundesheeres trägt nicht die Kriegsverfassung, son¬
dern die politische Verfassung des Bundes die Schuld -- dieser Satz wird
uns immer wieder begegnen. Als 1848 daran gedacht ward, Deutschland eine
politische Verfassung zu geben, vermöge deren es eine seiner materiellen und
geistigen Kraft würdige Stellung unter den Ländern Europas einnehmen könnte,
war eine der ersten Forderungen, welche man aufstellte, die nach einer Verstärkung
des Bundesheeres. Die Stärke des einfachen Contingents ward auf I V-,
die der Reserve auf V, Procent der Bevölkerung erhöht und das Bundesheer
kam dadurch bei der Art, wie man damals zählte, aus 840,000 Mann. Die
eintretende Reaction erstickte das Kind im Mutterleibe. Sobald der deutsche
Bund zu einer wirklichen politischen Einheit würde, müßte auch für sein Heer
der Grundsatz aufgestellt werden, daß es aus allen Streitkräften der Einzel¬
staaten zu bestehn habe. Naturgemäß dürfte dann auch kein einzelner Staat
im Bunde das Recht der Kriegserklärung haben, sondern nur der Bund.

"2. Das Verhältniß der Waffengattungen wird nach den Grundsätzen
der neuern Kriegführung festgesetzt."

Nach dem zweiten Abschnitt der nähern Bestimmungen soll V? des Con¬
tingents aus Reiterei bestehen; auf je 1000 Mann sollen zwei Geschütze ins
Feld gestellt, eins im Depot gehalten werden; auf jedes Geschütz werden
36 Mann gerechnet. Ein Bclagerungspark von 200 Stücken wird außerdem
aufgebracht. Die Feldpivnniere sollen '/-,<", des Heeres ausmachen; Sappeure
und Mineure für den Festungskrieg geben Oestreich und Preußen. Jeder dieser
Staaten stellt außerdem einen Brückentrain für große Ströme, jedes der nicht
Preußen oder Oestreich angehörigen Armeecorps einen Brückentrain für 400
Fuß Flußbreite. Mindestens der zwanzigste Theil der Infanterie soll aus
Scharfschützen bestehen. Diese Bestimmungen konnten selbstverständlich nicht
ausnahmslos durchgeführt werden. Wenn z. B. ein Staat ein Kontingent
von 200 Mann stellt, wäre es unvernünftig, dabei nun 30 Reiter und ein
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halten, als der Bund von ihnen fordert, ja bedeutendere als die ganze normirte
Bundesstreitmacht zusammengenommen. Nach den Ursachen der numerischen
Schwäche des Bundesheeres braucht man nicht lange zu suchen. Sie liegen 1)
darin, daß der deutsche Bund ein sehr loser Verein ist, dessen einzelne Glieder
weit auseinandergehende Interessen haben dürfen, keine politische Einheit; kein
Bundesstaat, sondern ein Staatenbund; 2) darin, daß er sich, was hiermit
nahe zusammenhangt, gegenüber dem Ausland eine seiner Größe und materiellen
Kraft durchaus unwürdige Stellung vorgeschrieben hat oder hat vorschreiben
lassen. Wie wenig würdig diese Stellung ist, darüber ist erst neuerdings
wol jeder Deutsche belehrt worden, dem die bekannten Noten Gortschakoffs
Walewstis und Russells über das, was dem Bunde zu thun erlaubt sei, noch
die Rothe der Scham und des Zornes ins Gesicht zu treiben vermochten. An
der Schwäche des deutschen Bundesheeres trägt nicht die Kriegsverfassung, son¬
dern die politische Verfassung des Bundes die Schuld — dieser Satz wird
uns immer wieder begegnen. Als 1848 daran gedacht ward, Deutschland eine
politische Verfassung zu geben, vermöge deren es eine seiner materiellen und
geistigen Kraft würdige Stellung unter den Ländern Europas einnehmen könnte,
war eine der ersten Forderungen, welche man aufstellte, die nach einer Verstärkung
des Bundesheeres. Die Stärke des einfachen Contingents ward auf I V-,
die der Reserve auf V, Procent der Bevölkerung erhöht und das Bundesheer
kam dadurch bei der Art, wie man damals zählte, aus 840,000 Mann. Die
eintretende Reaction erstickte das Kind im Mutterleibe. Sobald der deutsche
Bund zu einer wirklichen politischen Einheit würde, müßte auch für sein Heer
der Grundsatz aufgestellt werden, daß es aus allen Streitkräften der Einzel¬
staaten zu bestehn habe. Naturgemäß dürfte dann auch kein einzelner Staat
im Bunde das Recht der Kriegserklärung haben, sondern nur der Bund.

„2. Das Verhältniß der Waffengattungen wird nach den Grundsätzen
der neuern Kriegführung festgesetzt."

Nach dem zweiten Abschnitt der nähern Bestimmungen soll V? des Con¬
tingents aus Reiterei bestehen; auf je 1000 Mann sollen zwei Geschütze ins
Feld gestellt, eins im Depot gehalten werden; auf jedes Geschütz werden
36 Mann gerechnet. Ein Bclagerungspark von 200 Stücken wird außerdem
aufgebracht. Die Feldpivnniere sollen '/-,<», des Heeres ausmachen; Sappeure
und Mineure für den Festungskrieg geben Oestreich und Preußen. Jeder dieser
Staaten stellt außerdem einen Brückentrain für große Ströme, jedes der nicht
Preußen oder Oestreich angehörigen Armeecorps einen Brückentrain für 400
Fuß Flußbreite. Mindestens der zwanzigste Theil der Infanterie soll aus
Scharfschützen bestehen. Diese Bestimmungen konnten selbstverständlich nicht
ausnahmslos durchgeführt werden. Wenn z. B. ein Staat ein Kontingent
von 200 Mann stellt, wäre es unvernünftig, dabei nun 30 Reiter und ein
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/102>, abgerufen am 26.08.2024.