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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Inquisition entgingen, flüchteten nach den protestantischen Cantonen der Schweiz
und nach dem Veltlin; es waren darunter viele von hoher Gelehrsamkeit,
Männer, die im Staat oder in der Kirche bedeutende Aemter begleitet hatten
^ die größten Namen aus der Geschichte der Reformation in Italien werden
"us hier genannt, wie Alciati, Graf Misse Martinengo, Vergerio. Casteloetro
u- a. Für das Veltlin sind diese italienischen Flüchtlinge recht eigentlich die
Apostel des neuen Glaubens geworden, und da derselbe in Graubündten der
herrschende war, so wurde ihnen natürlich von dieser Seite gern Vorschub
geleistet; auf der Bundesversammlung zu Jlanz 1557 wurde einmüthig be¬
schlossen, daß wie in den Bünden selbst, so auch im Veltlin die Predigt der
neuen Lehre allenthalben gestattet sein sollte, und ohne die Anhänger des
alten Glaubens, die immerhin noch zahlreich, späterhin wieder die Mehrzahl wa¬
ren, zu verdrängen, sollte doch den Reformirten und ihren Predigern ein Theil
der Kirchen und der geistlichen Einkünfte angewiesen werden.

Es war mit dieser Anerkennung des Protestantismus ein Bedeutendes
geschehen; in diesem Thale hart an der Grenze Italiens, ja welches seinen
Bewohnern, seiner Sprache, seiner ganzen geographischen Lage und Beschaf¬
fenheit nach eigentlich zu Italien gehörte, war auf diese Weise gleichsam eine
Burg des Protestantismus errichtet worden, von wo aus derselbe mittelbar
und unmittelbar fortwährend in die nächstgelegnen italienischen Provinzen
übergreifen, wo sich der Zündstoff aus ganz Italien in drohender Nähe sam¬
meln konnte. Es war natürlich, daß von Seiten des Katholicismus man
°s an Angriffen auf diese Burg nicht fehlen ließ; seit der letzten Zusammen¬
kunft des tridentiner Concils namentlich wurden die Versuche, das Veltlin
wieder zur römischen Kirche zurückzuführen und von aller Ketzerei zu reinigen,
immer häusiger und planmäßiger; keiner aber erkannte die Wichtigkeit dieses
Postens so genau, als der berühmte Cardinal und Erzbischof von Mailand
Carlo Borromeo, dem für seine unablässigen, glaubenseifrigcn Bemühungen,
namentlich überall in den Landschaften an den Südabhängcn der Alpen die
erschütterte Anhänglichkeit an die römische Kirche wieder herzustellen, die Ehre
zufiel, als San Carlo einer der gebenedeitesten Heiligen der katholischen Kirche
Zu werden. An vielen Orten waren seine Bestrebungen erfolgreich, besonders
in der tessiner Landschaft; in Locarno gründete er ein geistliches Seminar für
die Schweiz, das bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts in Wirksamkeit
gestanden hat; die Bekehrung oder Reinigung des Veltlin aber war sein Lieb-
Ungsplan. dem er sich mit der ganzen stillen, aber zähen Energie seines We¬
sens widmete, dem aber die Graubündtner eine ebenso große Wachsamkeit
Und Strenge entgegensetzten. Den Resormversuchen kam es zu Statten, daß
unter den Bewohnern des Veltlin, wie ja auch in Graubündten selbst, eine
starke katholische Partei war. und die Propaganda verschmähte es hier so we-


Inquisition entgingen, flüchteten nach den protestantischen Cantonen der Schweiz
und nach dem Veltlin; es waren darunter viele von hoher Gelehrsamkeit,
Männer, die im Staat oder in der Kirche bedeutende Aemter begleitet hatten
^ die größten Namen aus der Geschichte der Reformation in Italien werden
"us hier genannt, wie Alciati, Graf Misse Martinengo, Vergerio. Casteloetro
u- a. Für das Veltlin sind diese italienischen Flüchtlinge recht eigentlich die
Apostel des neuen Glaubens geworden, und da derselbe in Graubündten der
herrschende war, so wurde ihnen natürlich von dieser Seite gern Vorschub
geleistet; auf der Bundesversammlung zu Jlanz 1557 wurde einmüthig be¬
schlossen, daß wie in den Bünden selbst, so auch im Veltlin die Predigt der
neuen Lehre allenthalben gestattet sein sollte, und ohne die Anhänger des
alten Glaubens, die immerhin noch zahlreich, späterhin wieder die Mehrzahl wa¬
ren, zu verdrängen, sollte doch den Reformirten und ihren Predigern ein Theil
der Kirchen und der geistlichen Einkünfte angewiesen werden.

Es war mit dieser Anerkennung des Protestantismus ein Bedeutendes
geschehen; in diesem Thale hart an der Grenze Italiens, ja welches seinen
Bewohnern, seiner Sprache, seiner ganzen geographischen Lage und Beschaf¬
fenheit nach eigentlich zu Italien gehörte, war auf diese Weise gleichsam eine
Burg des Protestantismus errichtet worden, von wo aus derselbe mittelbar
und unmittelbar fortwährend in die nächstgelegnen italienischen Provinzen
übergreifen, wo sich der Zündstoff aus ganz Italien in drohender Nähe sam¬
meln konnte. Es war natürlich, daß von Seiten des Katholicismus man
°s an Angriffen auf diese Burg nicht fehlen ließ; seit der letzten Zusammen¬
kunft des tridentiner Concils namentlich wurden die Versuche, das Veltlin
wieder zur römischen Kirche zurückzuführen und von aller Ketzerei zu reinigen,
immer häusiger und planmäßiger; keiner aber erkannte die Wichtigkeit dieses
Postens so genau, als der berühmte Cardinal und Erzbischof von Mailand
Carlo Borromeo, dem für seine unablässigen, glaubenseifrigcn Bemühungen,
namentlich überall in den Landschaften an den Südabhängcn der Alpen die
erschütterte Anhänglichkeit an die römische Kirche wieder herzustellen, die Ehre
zufiel, als San Carlo einer der gebenedeitesten Heiligen der katholischen Kirche
Zu werden. An vielen Orten waren seine Bestrebungen erfolgreich, besonders
in der tessiner Landschaft; in Locarno gründete er ein geistliches Seminar für
die Schweiz, das bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts in Wirksamkeit
gestanden hat; die Bekehrung oder Reinigung des Veltlin aber war sein Lieb-
Ungsplan. dem er sich mit der ganzen stillen, aber zähen Energie seines We¬
sens widmete, dem aber die Graubündtner eine ebenso große Wachsamkeit
Und Strenge entgegensetzten. Den Resormversuchen kam es zu Statten, daß
unter den Bewohnern des Veltlin, wie ja auch in Graubündten selbst, eine
starke katholische Partei war. und die Propaganda verschmähte es hier so we-


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[0099] Inquisition entgingen, flüchteten nach den protestantischen Cantonen der Schweiz und nach dem Veltlin; es waren darunter viele von hoher Gelehrsamkeit, Männer, die im Staat oder in der Kirche bedeutende Aemter begleitet hatten ^ die größten Namen aus der Geschichte der Reformation in Italien werden "us hier genannt, wie Alciati, Graf Misse Martinengo, Vergerio. Casteloetro u- a. Für das Veltlin sind diese italienischen Flüchtlinge recht eigentlich die Apostel des neuen Glaubens geworden, und da derselbe in Graubündten der herrschende war, so wurde ihnen natürlich von dieser Seite gern Vorschub geleistet; auf der Bundesversammlung zu Jlanz 1557 wurde einmüthig be¬ schlossen, daß wie in den Bünden selbst, so auch im Veltlin die Predigt der neuen Lehre allenthalben gestattet sein sollte, und ohne die Anhänger des alten Glaubens, die immerhin noch zahlreich, späterhin wieder die Mehrzahl wa¬ ren, zu verdrängen, sollte doch den Reformirten und ihren Predigern ein Theil der Kirchen und der geistlichen Einkünfte angewiesen werden. Es war mit dieser Anerkennung des Protestantismus ein Bedeutendes geschehen; in diesem Thale hart an der Grenze Italiens, ja welches seinen Bewohnern, seiner Sprache, seiner ganzen geographischen Lage und Beschaf¬ fenheit nach eigentlich zu Italien gehörte, war auf diese Weise gleichsam eine Burg des Protestantismus errichtet worden, von wo aus derselbe mittelbar und unmittelbar fortwährend in die nächstgelegnen italienischen Provinzen übergreifen, wo sich der Zündstoff aus ganz Italien in drohender Nähe sam¬ meln konnte. Es war natürlich, daß von Seiten des Katholicismus man °s an Angriffen auf diese Burg nicht fehlen ließ; seit der letzten Zusammen¬ kunft des tridentiner Concils namentlich wurden die Versuche, das Veltlin wieder zur römischen Kirche zurückzuführen und von aller Ketzerei zu reinigen, immer häusiger und planmäßiger; keiner aber erkannte die Wichtigkeit dieses Postens so genau, als der berühmte Cardinal und Erzbischof von Mailand Carlo Borromeo, dem für seine unablässigen, glaubenseifrigcn Bemühungen, namentlich überall in den Landschaften an den Südabhängcn der Alpen die erschütterte Anhänglichkeit an die römische Kirche wieder herzustellen, die Ehre zufiel, als San Carlo einer der gebenedeitesten Heiligen der katholischen Kirche Zu werden. An vielen Orten waren seine Bestrebungen erfolgreich, besonders in der tessiner Landschaft; in Locarno gründete er ein geistliches Seminar für die Schweiz, das bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts in Wirksamkeit gestanden hat; die Bekehrung oder Reinigung des Veltlin aber war sein Lieb- Ungsplan. dem er sich mit der ganzen stillen, aber zähen Energie seines We¬ sens widmete, dem aber die Graubündtner eine ebenso große Wachsamkeit Und Strenge entgegensetzten. Den Resormversuchen kam es zu Statten, daß unter den Bewohnern des Veltlin, wie ja auch in Graubündten selbst, eine starke katholische Partei war. und die Propaganda verschmähte es hier so we-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/99>, abgerufen am 29.12.2024.