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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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deutsche Nation, und über der Beredsamkeit, mit welcher er darin die Vater¬
landsliebe preist, vergißt man, daß er zwei Jahre vorher das Gegentheil ge¬
lehrt, vergißt man den geschlossenen Handelsstaat und die fabelhafte Idee,
Deutschland durch die Einführung der Pestalozzischen Erziehung zu befreien
und die Volksfreiheit durch ein Ephorat zu sichern. Bei Schelling denkt man
immer an die Producte seiner Altersschwäche. Er hatte das Unglück, sich zu
überleben. Er war eigentlich schon fertig mit dem Buch über die Freiheit.
Wäre er in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts gestorben, so würde man
ihn als eins der glänzendsten Glieder in der großen Kette ehren, in welcher
damals alles Große, Edle und Hoffnungsreiche freilich mehr ahnungsvoll als
w I. S. erkthätig sich zusammenschloß.




Kunst und Kirche in Italien.

Um südliches und zwar italienisches Leben zu verstehen, muß man vor
allen Dingen eine Seite ins Auge fassen, über deren Beschaffenheit diesseits
der Alpen nicht leicht eine richtige Ansicht sich bilden läßt. Wir meinen das
Kunstbedürsniß des Volks und die ihm werdende Befriedigung.

Wir haben hierbei nicht Vasaris Ausspruch im Auge: die italienische Luft
gebe dem Volke eine Kunstempfänglichkeit, von welcher der barbarische Norden
nichts ahne. Ohne Zweifel liegt diesen Worten noch jetzt Wahrheit zu Grunde,
doch hat sich unter den Gebildeten unserer Nation das Verhältniß seit jenem
Ausspruch zu Gunsten der Barbaren geändert, und wir sind jetzt nicht selten
in der Lage, den Ungeschmack ins transalpinische Gebiet zu verweisen.

Bei alledem ist das Kunstbedürfniß des italienischen Volkes unleugbar
groß, wenn auch von mancher Entartung nicht frei, und es ist von höchstem
Interesse zu beobachten, bis zu welchem Punkte die einzige in Italien herr¬
schende Macht, die Kirche, sich das Monopol erobert hat, diesem Bedürfniß
Genüge zu thun und solcher Art sich den Sinnen des Volkes unentbehrlich
Zu machen.

Wenn man die Geschichte dieser Leistungen durchläuft, findet man das
Bestreben, die Kunst zu einem Monopol der Kirche zu machen, bald in jener,
bald in dieser Gestalt zu Tage treten. Wo sich Verbote durchsetzen lassen,
nimmt man zu ihnen die Zuflucht, um keine Concurrenz zu haben. Wo durch
Bessermachen allein das Uebergewicht erreichbar ist, verwendet man unerhörte
Summen aus diese Art der Ueberflügelung. Immer aber ist man im offnen


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deutsche Nation, und über der Beredsamkeit, mit welcher er darin die Vater¬
landsliebe preist, vergißt man, daß er zwei Jahre vorher das Gegentheil ge¬
lehrt, vergißt man den geschlossenen Handelsstaat und die fabelhafte Idee,
Deutschland durch die Einführung der Pestalozzischen Erziehung zu befreien
und die Volksfreiheit durch ein Ephorat zu sichern. Bei Schelling denkt man
immer an die Producte seiner Altersschwäche. Er hatte das Unglück, sich zu
überleben. Er war eigentlich schon fertig mit dem Buch über die Freiheit.
Wäre er in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts gestorben, so würde man
ihn als eins der glänzendsten Glieder in der großen Kette ehren, in welcher
damals alles Große, Edle und Hoffnungsreiche freilich mehr ahnungsvoll als
w I. S. erkthätig sich zusammenschloß.




Kunst und Kirche in Italien.

Um südliches und zwar italienisches Leben zu verstehen, muß man vor
allen Dingen eine Seite ins Auge fassen, über deren Beschaffenheit diesseits
der Alpen nicht leicht eine richtige Ansicht sich bilden läßt. Wir meinen das
Kunstbedürsniß des Volks und die ihm werdende Befriedigung.

Wir haben hierbei nicht Vasaris Ausspruch im Auge: die italienische Luft
gebe dem Volke eine Kunstempfänglichkeit, von welcher der barbarische Norden
nichts ahne. Ohne Zweifel liegt diesen Worten noch jetzt Wahrheit zu Grunde,
doch hat sich unter den Gebildeten unserer Nation das Verhältniß seit jenem
Ausspruch zu Gunsten der Barbaren geändert, und wir sind jetzt nicht selten
in der Lage, den Ungeschmack ins transalpinische Gebiet zu verweisen.

Bei alledem ist das Kunstbedürfniß des italienischen Volkes unleugbar
groß, wenn auch von mancher Entartung nicht frei, und es ist von höchstem
Interesse zu beobachten, bis zu welchem Punkte die einzige in Italien herr¬
schende Macht, die Kirche, sich das Monopol erobert hat, diesem Bedürfniß
Genüge zu thun und solcher Art sich den Sinnen des Volkes unentbehrlich
Zu machen.

Wenn man die Geschichte dieser Leistungen durchläuft, findet man das
Bestreben, die Kunst zu einem Monopol der Kirche zu machen, bald in jener,
bald in dieser Gestalt zu Tage treten. Wo sich Verbote durchsetzen lassen,
nimmt man zu ihnen die Zuflucht, um keine Concurrenz zu haben. Wo durch
Bessermachen allein das Uebergewicht erreichbar ist, verwendet man unerhörte
Summen aus diese Art der Ueberflügelung. Immer aber ist man im offnen


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[0081] deutsche Nation, und über der Beredsamkeit, mit welcher er darin die Vater¬ landsliebe preist, vergißt man, daß er zwei Jahre vorher das Gegentheil ge¬ lehrt, vergißt man den geschlossenen Handelsstaat und die fabelhafte Idee, Deutschland durch die Einführung der Pestalozzischen Erziehung zu befreien und die Volksfreiheit durch ein Ephorat zu sichern. Bei Schelling denkt man immer an die Producte seiner Altersschwäche. Er hatte das Unglück, sich zu überleben. Er war eigentlich schon fertig mit dem Buch über die Freiheit. Wäre er in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts gestorben, so würde man ihn als eins der glänzendsten Glieder in der großen Kette ehren, in welcher damals alles Große, Edle und Hoffnungsreiche freilich mehr ahnungsvoll als w I. S. erkthätig sich zusammenschloß. Kunst und Kirche in Italien. Um südliches und zwar italienisches Leben zu verstehen, muß man vor allen Dingen eine Seite ins Auge fassen, über deren Beschaffenheit diesseits der Alpen nicht leicht eine richtige Ansicht sich bilden läßt. Wir meinen das Kunstbedürsniß des Volks und die ihm werdende Befriedigung. Wir haben hierbei nicht Vasaris Ausspruch im Auge: die italienische Luft gebe dem Volke eine Kunstempfänglichkeit, von welcher der barbarische Norden nichts ahne. Ohne Zweifel liegt diesen Worten noch jetzt Wahrheit zu Grunde, doch hat sich unter den Gebildeten unserer Nation das Verhältniß seit jenem Ausspruch zu Gunsten der Barbaren geändert, und wir sind jetzt nicht selten in der Lage, den Ungeschmack ins transalpinische Gebiet zu verweisen. Bei alledem ist das Kunstbedürfniß des italienischen Volkes unleugbar groß, wenn auch von mancher Entartung nicht frei, und es ist von höchstem Interesse zu beobachten, bis zu welchem Punkte die einzige in Italien herr¬ schende Macht, die Kirche, sich das Monopol erobert hat, diesem Bedürfniß Genüge zu thun und solcher Art sich den Sinnen des Volkes unentbehrlich Zu machen. Wenn man die Geschichte dieser Leistungen durchläuft, findet man das Bestreben, die Kunst zu einem Monopol der Kirche zu machen, bald in jener, bald in dieser Gestalt zu Tage treten. Wo sich Verbote durchsetzen lassen, nimmt man zu ihnen die Zuflucht, um keine Concurrenz zu haben. Wo durch Bessermachen allein das Uebergewicht erreichbar ist, verwendet man unerhörte Summen aus diese Art der Ueberflügelung. Immer aber ist man im offnen 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/81>, abgerufen am 22.07.2024.