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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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beherrschen. Noack hat sich die Aufgabe anders gestellt. Er gibt eine Wi¬
derlegung sämmtlicher Schellingscher Schriften in der Art der Herderschen Meta¬
kritik. Da es nun jedem Verfasser sreistehn muß, sich seine Ausgabe zu
wählen, so haben wir um so weniger dagegen einzuwenden, als wir in dem
letzten Resultate mit ihm übereinstimmen; jene andere Ausgabe, die ohnehin
einen Naturforscher und Mythologen fordert, bleibt einem spätern Werk vor¬
behalten.

Der Verfasser stellt sich in wissenschaftlicher Beziehung auf den Stand¬
punkt Kants, nach welchem die Philosophie zunächst ihre Grenzen zu unter¬
suchen hat. Dieser Standpunkt ist auch der unsrige. Aber in einem sehr
wichtigen Punkt, der auch in der Deduction sich mehrfach wiederholt, müssen
wir gegen Noacks Auffassung protestiren. Bekanntlich hat Kant die metaphy¬
sischen Beweise vom Dasein Gottes widerlegt und dafür den moralischen
substituirt. Bis auf Heine hat niemand daran gezweifelt, daß er es mit
dem letzteren ernsthaft meinte; gleichviel ob man den Beweis gelten ließ oder
nicht. Noack nimmt mit Heine an, Kant, ein ganz frei denkender ironischer
Spötter, habe diesen Brocken nur so der Menge hingeworfen, und er sei in
dieser Beziehung von Jacobi, Fichte, Schelling, kurz von aller Welt mißver¬
standen worden.

Wir dagegen halten jene Deduction nicht nur für ernst gemeint, sondern
auch für so unwiderleglich, daß nicht der Schatten eines Zweifels sich dagegen
erheben kann. Denn seine Deduction sagt nichts Anderes als folgendes.

Die Idee Gottes ist nicht ein Syllogismus der theoretischen,
sondern ein Postulat der praktischen Vernunft.

Dieser Satz war damals in seiner Konsequenz etwas wesentlich Neues und
wir wissen nicht, was ein vernünftiger Mensch- mit der Natur des Menschen und
mit der Geschichte vertraut, dagegen einwenden konnte. Jacobi hat Kant
vollkommen richtig verstanden, und wenn er statt Postulat der praktischen
Vernunft Offenbarung des Gefühls setzte, so war das zwar nicht ganz das¬
selbe, aber es stand ihm doch näher als irgend eine Gotteslehre der neuesten
Philosophie und kann gar wol, wenn man die Kunstausdrücke in eine ein¬
fachere Sprache übersetzt, mit jenem Kantischen Ausspruch vereinbart
werden.

Daß Kant keinen anderen Beweisgrund der Exi.Sterz als die Erfahrung
zuließ, ist bekannt; dabei muß aber stets daran erinnert werden, daß ihm'
solche Existenzen im Vergleich zu den Ideen als ziemlich gleichgiltig erschienen.
Da nun auch das Christenthum Gott im Geist zu verehren lehrt, so wird
man von dieser Seite die Kantische Religionsphilosophie wol nicht als
unchristlich bezeichnen dürfen.

Dies Hütten wir gegen die Einleitung zu erinnern; wir wenden uns nun


beherrschen. Noack hat sich die Aufgabe anders gestellt. Er gibt eine Wi¬
derlegung sämmtlicher Schellingscher Schriften in der Art der Herderschen Meta¬
kritik. Da es nun jedem Verfasser sreistehn muß, sich seine Ausgabe zu
wählen, so haben wir um so weniger dagegen einzuwenden, als wir in dem
letzten Resultate mit ihm übereinstimmen; jene andere Ausgabe, die ohnehin
einen Naturforscher und Mythologen fordert, bleibt einem spätern Werk vor¬
behalten.

Der Verfasser stellt sich in wissenschaftlicher Beziehung auf den Stand¬
punkt Kants, nach welchem die Philosophie zunächst ihre Grenzen zu unter¬
suchen hat. Dieser Standpunkt ist auch der unsrige. Aber in einem sehr
wichtigen Punkt, der auch in der Deduction sich mehrfach wiederholt, müssen
wir gegen Noacks Auffassung protestiren. Bekanntlich hat Kant die metaphy¬
sischen Beweise vom Dasein Gottes widerlegt und dafür den moralischen
substituirt. Bis auf Heine hat niemand daran gezweifelt, daß er es mit
dem letzteren ernsthaft meinte; gleichviel ob man den Beweis gelten ließ oder
nicht. Noack nimmt mit Heine an, Kant, ein ganz frei denkender ironischer
Spötter, habe diesen Brocken nur so der Menge hingeworfen, und er sei in
dieser Beziehung von Jacobi, Fichte, Schelling, kurz von aller Welt mißver¬
standen worden.

Wir dagegen halten jene Deduction nicht nur für ernst gemeint, sondern
auch für so unwiderleglich, daß nicht der Schatten eines Zweifels sich dagegen
erheben kann. Denn seine Deduction sagt nichts Anderes als folgendes.

Die Idee Gottes ist nicht ein Syllogismus der theoretischen,
sondern ein Postulat der praktischen Vernunft.

Dieser Satz war damals in seiner Konsequenz etwas wesentlich Neues und
wir wissen nicht, was ein vernünftiger Mensch- mit der Natur des Menschen und
mit der Geschichte vertraut, dagegen einwenden konnte. Jacobi hat Kant
vollkommen richtig verstanden, und wenn er statt Postulat der praktischen
Vernunft Offenbarung des Gefühls setzte, so war das zwar nicht ganz das¬
selbe, aber es stand ihm doch näher als irgend eine Gotteslehre der neuesten
Philosophie und kann gar wol, wenn man die Kunstausdrücke in eine ein¬
fachere Sprache übersetzt, mit jenem Kantischen Ausspruch vereinbart
werden.

Daß Kant keinen anderen Beweisgrund der Exi.Sterz als die Erfahrung
zuließ, ist bekannt; dabei muß aber stets daran erinnert werden, daß ihm'
solche Existenzen im Vergleich zu den Ideen als ziemlich gleichgiltig erschienen.
Da nun auch das Christenthum Gott im Geist zu verehren lehrt, so wird
man von dieser Seite die Kantische Religionsphilosophie wol nicht als
unchristlich bezeichnen dürfen.

Dies Hütten wir gegen die Einleitung zu erinnern; wir wenden uns nun


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[0056] beherrschen. Noack hat sich die Aufgabe anders gestellt. Er gibt eine Wi¬ derlegung sämmtlicher Schellingscher Schriften in der Art der Herderschen Meta¬ kritik. Da es nun jedem Verfasser sreistehn muß, sich seine Ausgabe zu wählen, so haben wir um so weniger dagegen einzuwenden, als wir in dem letzten Resultate mit ihm übereinstimmen; jene andere Ausgabe, die ohnehin einen Naturforscher und Mythologen fordert, bleibt einem spätern Werk vor¬ behalten. Der Verfasser stellt sich in wissenschaftlicher Beziehung auf den Stand¬ punkt Kants, nach welchem die Philosophie zunächst ihre Grenzen zu unter¬ suchen hat. Dieser Standpunkt ist auch der unsrige. Aber in einem sehr wichtigen Punkt, der auch in der Deduction sich mehrfach wiederholt, müssen wir gegen Noacks Auffassung protestiren. Bekanntlich hat Kant die metaphy¬ sischen Beweise vom Dasein Gottes widerlegt und dafür den moralischen substituirt. Bis auf Heine hat niemand daran gezweifelt, daß er es mit dem letzteren ernsthaft meinte; gleichviel ob man den Beweis gelten ließ oder nicht. Noack nimmt mit Heine an, Kant, ein ganz frei denkender ironischer Spötter, habe diesen Brocken nur so der Menge hingeworfen, und er sei in dieser Beziehung von Jacobi, Fichte, Schelling, kurz von aller Welt mißver¬ standen worden. Wir dagegen halten jene Deduction nicht nur für ernst gemeint, sondern auch für so unwiderleglich, daß nicht der Schatten eines Zweifels sich dagegen erheben kann. Denn seine Deduction sagt nichts Anderes als folgendes. Die Idee Gottes ist nicht ein Syllogismus der theoretischen, sondern ein Postulat der praktischen Vernunft. Dieser Satz war damals in seiner Konsequenz etwas wesentlich Neues und wir wissen nicht, was ein vernünftiger Mensch- mit der Natur des Menschen und mit der Geschichte vertraut, dagegen einwenden konnte. Jacobi hat Kant vollkommen richtig verstanden, und wenn er statt Postulat der praktischen Vernunft Offenbarung des Gefühls setzte, so war das zwar nicht ganz das¬ selbe, aber es stand ihm doch näher als irgend eine Gotteslehre der neuesten Philosophie und kann gar wol, wenn man die Kunstausdrücke in eine ein¬ fachere Sprache übersetzt, mit jenem Kantischen Ausspruch vereinbart werden. Daß Kant keinen anderen Beweisgrund der Exi.Sterz als die Erfahrung zuließ, ist bekannt; dabei muß aber stets daran erinnert werden, daß ihm' solche Existenzen im Vergleich zu den Ideen als ziemlich gleichgiltig erschienen. Da nun auch das Christenthum Gott im Geist zu verehren lehrt, so wird man von dieser Seite die Kantische Religionsphilosophie wol nicht als unchristlich bezeichnen dürfen. Dies Hütten wir gegen die Einleitung zu erinnern; wir wenden uns nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/56>, abgerufen am 22.07.2024.