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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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nächsten Neichstagssession rechtsgiltig, die bindende Kraft desselben auch nach
Aufhebung der Reichsverfassung'vom 4. Mürz 1849 um so mehr angezweifelt
werden, als der rechtliche Fortbestand dieses Gesetzes wol durch die factische
Anwendung des Gesetzes, keineswegs aber durch eine ausdrückliche Erklärung
der Staatsgewalt im Reichsgesetzblatt constatirt wurde. Man kann endlich
der Regierung das Recht nicht zugestehen, das im Princip gesetzlich feststehende
und bis zum Jahre 1848 von derselben in der mildesten und unscheinbarsten
Form ausgeübte Oberaufsichtsrecht nun auf einmal in strafferer Form und
zwar "in der ihr -- d. i, der Regierung --> geeignet scheinenden
Weise" auszuüben. Jedenfalls hätte man sich auch hierüber mit der evan¬
gelischen Kirche verständigen sollen. Wenn es damals infolge des 10.
bruar 1850 an den gesetzmäßigen Organen fehlte, so war das wenigstens nicht
die Schuld der Evangelischen. Alles dies zusammengenommen, läßt sich das
Verfahren der evang. helv. Superintendenz jenseit der Theiß, als des Patrons
des debrecziner Gymnasiums, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch immerhin
durch die Unzulänglichkeit der bestehenden Gesetzgebung entschuldigen. Von
dem Vorwurf der Inconsequenz jedoch kann die Superintendenz -- wie ge¬
sagt -- ebenso wenig freigesprochen werden, als man, von dem einzig zuläs¬
sigen Unterschied zwischen Staats- und Privatanstalt ausgehend, den Einwurf
kann gelten lassen, daß die evangelischen Gymnasien nicht Privatanstalten wären.

Von der Ueberzeugung einerseits der Unzulänglichkeit und Unbestimmtheit,
anderseits des blos provisorischen Charakters der bestehenden Gesetze mochte
denn auch die Regierung geleitet gewesen sein, indem sie dem Gymnasium
nicht, wie sie durch das Gesetz über den Privatunterricht befugt gewesen wäre,
-- das Recht der Oeffentlichkeit, sondern lediglich das Recht, in diesem Jahre
Maturitätsprüfungen abzuhalten, entzog und der Superintendenz die Fragen
vorzulegen für gut befand, wie sie das Jnspectionsrecht verstehe, und aus welchen
Motiven sie es unterlassen habe, die Wahl des Directors der Vestütigung zu
unterbreiten?

Jedenfalls hat auch dieser Fall schlagend dargethan, wie schwankend der
Rechtsboden ist, auf welchem das Verhältniß der Staatsgewalt zur evangelischen
Kirche Ungarns namentlich in der Schulfrage beruht und wie dringend noth¬
wendig es ist. die Grenzen des Rechts der obersten Aufsicht mit Rücksicht auf
die concreten Fälle der Praxis näher zu bestimmen. Daß dieses nur im Ein¬
vernehmen mit der Synode geschehen könne, ist klar, so wie es keiner Con-
troverse unterliegt, daß auch das bei den evangelischen Gymnasien Ungarns
einzuführende Unterrichtssystem schließlich nur mit der Synode vereinbart
werden kann. --

Die evangelische Kirche muß in dieser Beziehung einen festen Boden ge¬
winnen, so daß für ihre Gymnasien nichts bindende Kraft habe, womit sie
sich nicht einverstanden erklärt hat. Denn man kann wol den ministeriellen
Organisationsentwurf als solchen mit der gesammten wissenschaftlichen Krien
in Deutschland als vorzüglich anerkennen, ohne darum auch mit der Einfüh¬
rung beschnittner Classikcrausgnben oder mit der Beschränkung des naturwissen¬
schaftlichen Unterrichts u. tgi. von vornherein einverstanden'zu sein.

Ohne Synode lassen sich die vielen bis jetzt vertagten Existenzfragen des
evangelischen Lebens in Ungarn, darunter vor allem die Unterrichtstage, nicht
lösen. --




Verantwortlicher Redacteur: 1). Moritz Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. (Llbert in Leipzig.

nächsten Neichstagssession rechtsgiltig, die bindende Kraft desselben auch nach
Aufhebung der Reichsverfassung'vom 4. Mürz 1849 um so mehr angezweifelt
werden, als der rechtliche Fortbestand dieses Gesetzes wol durch die factische
Anwendung des Gesetzes, keineswegs aber durch eine ausdrückliche Erklärung
der Staatsgewalt im Reichsgesetzblatt constatirt wurde. Man kann endlich
der Regierung das Recht nicht zugestehen, das im Princip gesetzlich feststehende
und bis zum Jahre 1848 von derselben in der mildesten und unscheinbarsten
Form ausgeübte Oberaufsichtsrecht nun auf einmal in strafferer Form und
zwar „in der ihr — d. i, der Regierung —> geeignet scheinenden
Weise" auszuüben. Jedenfalls hätte man sich auch hierüber mit der evan¬
gelischen Kirche verständigen sollen. Wenn es damals infolge des 10.
bruar 1850 an den gesetzmäßigen Organen fehlte, so war das wenigstens nicht
die Schuld der Evangelischen. Alles dies zusammengenommen, läßt sich das
Verfahren der evang. helv. Superintendenz jenseit der Theiß, als des Patrons
des debrecziner Gymnasiums, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch immerhin
durch die Unzulänglichkeit der bestehenden Gesetzgebung entschuldigen. Von
dem Vorwurf der Inconsequenz jedoch kann die Superintendenz — wie ge¬
sagt — ebenso wenig freigesprochen werden, als man, von dem einzig zuläs¬
sigen Unterschied zwischen Staats- und Privatanstalt ausgehend, den Einwurf
kann gelten lassen, daß die evangelischen Gymnasien nicht Privatanstalten wären.

Von der Ueberzeugung einerseits der Unzulänglichkeit und Unbestimmtheit,
anderseits des blos provisorischen Charakters der bestehenden Gesetze mochte
denn auch die Regierung geleitet gewesen sein, indem sie dem Gymnasium
nicht, wie sie durch das Gesetz über den Privatunterricht befugt gewesen wäre,
— das Recht der Oeffentlichkeit, sondern lediglich das Recht, in diesem Jahre
Maturitätsprüfungen abzuhalten, entzog und der Superintendenz die Fragen
vorzulegen für gut befand, wie sie das Jnspectionsrecht verstehe, und aus welchen
Motiven sie es unterlassen habe, die Wahl des Directors der Vestütigung zu
unterbreiten?

Jedenfalls hat auch dieser Fall schlagend dargethan, wie schwankend der
Rechtsboden ist, auf welchem das Verhältniß der Staatsgewalt zur evangelischen
Kirche Ungarns namentlich in der Schulfrage beruht und wie dringend noth¬
wendig es ist. die Grenzen des Rechts der obersten Aufsicht mit Rücksicht auf
die concreten Fälle der Praxis näher zu bestimmen. Daß dieses nur im Ein¬
vernehmen mit der Synode geschehen könne, ist klar, so wie es keiner Con-
troverse unterliegt, daß auch das bei den evangelischen Gymnasien Ungarns
einzuführende Unterrichtssystem schließlich nur mit der Synode vereinbart
werden kann. —

Die evangelische Kirche muß in dieser Beziehung einen festen Boden ge¬
winnen, so daß für ihre Gymnasien nichts bindende Kraft habe, womit sie
sich nicht einverstanden erklärt hat. Denn man kann wol den ministeriellen
Organisationsentwurf als solchen mit der gesammten wissenschaftlichen Krien
in Deutschland als vorzüglich anerkennen, ohne darum auch mit der Einfüh¬
rung beschnittner Classikcrausgnben oder mit der Beschränkung des naturwissen¬
schaftlichen Unterrichts u. tgi. von vornherein einverstanden'zu sein.

Ohne Synode lassen sich die vielen bis jetzt vertagten Existenzfragen des
evangelischen Lebens in Ungarn, darunter vor allem die Unterrichtstage, nicht
lösen. —




Verantwortlicher Redacteur: 1). Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. (Llbert in Leipzig.
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[0494] nächsten Neichstagssession rechtsgiltig, die bindende Kraft desselben auch nach Aufhebung der Reichsverfassung'vom 4. Mürz 1849 um so mehr angezweifelt werden, als der rechtliche Fortbestand dieses Gesetzes wol durch die factische Anwendung des Gesetzes, keineswegs aber durch eine ausdrückliche Erklärung der Staatsgewalt im Reichsgesetzblatt constatirt wurde. Man kann endlich der Regierung das Recht nicht zugestehen, das im Princip gesetzlich feststehende und bis zum Jahre 1848 von derselben in der mildesten und unscheinbarsten Form ausgeübte Oberaufsichtsrecht nun auf einmal in strafferer Form und zwar „in der ihr — d. i, der Regierung —> geeignet scheinenden Weise" auszuüben. Jedenfalls hätte man sich auch hierüber mit der evan¬ gelischen Kirche verständigen sollen. Wenn es damals infolge des 10. bruar 1850 an den gesetzmäßigen Organen fehlte, so war das wenigstens nicht die Schuld der Evangelischen. Alles dies zusammengenommen, läßt sich das Verfahren der evang. helv. Superintendenz jenseit der Theiß, als des Patrons des debrecziner Gymnasiums, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch immerhin durch die Unzulänglichkeit der bestehenden Gesetzgebung entschuldigen. Von dem Vorwurf der Inconsequenz jedoch kann die Superintendenz — wie ge¬ sagt — ebenso wenig freigesprochen werden, als man, von dem einzig zuläs¬ sigen Unterschied zwischen Staats- und Privatanstalt ausgehend, den Einwurf kann gelten lassen, daß die evangelischen Gymnasien nicht Privatanstalten wären. Von der Ueberzeugung einerseits der Unzulänglichkeit und Unbestimmtheit, anderseits des blos provisorischen Charakters der bestehenden Gesetze mochte denn auch die Regierung geleitet gewesen sein, indem sie dem Gymnasium nicht, wie sie durch das Gesetz über den Privatunterricht befugt gewesen wäre, — das Recht der Oeffentlichkeit, sondern lediglich das Recht, in diesem Jahre Maturitätsprüfungen abzuhalten, entzog und der Superintendenz die Fragen vorzulegen für gut befand, wie sie das Jnspectionsrecht verstehe, und aus welchen Motiven sie es unterlassen habe, die Wahl des Directors der Vestütigung zu unterbreiten? Jedenfalls hat auch dieser Fall schlagend dargethan, wie schwankend der Rechtsboden ist, auf welchem das Verhältniß der Staatsgewalt zur evangelischen Kirche Ungarns namentlich in der Schulfrage beruht und wie dringend noth¬ wendig es ist. die Grenzen des Rechts der obersten Aufsicht mit Rücksicht auf die concreten Fälle der Praxis näher zu bestimmen. Daß dieses nur im Ein¬ vernehmen mit der Synode geschehen könne, ist klar, so wie es keiner Con- troverse unterliegt, daß auch das bei den evangelischen Gymnasien Ungarns einzuführende Unterrichtssystem schließlich nur mit der Synode vereinbart werden kann. — Die evangelische Kirche muß in dieser Beziehung einen festen Boden ge¬ winnen, so daß für ihre Gymnasien nichts bindende Kraft habe, womit sie sich nicht einverstanden erklärt hat. Denn man kann wol den ministeriellen Organisationsentwurf als solchen mit der gesammten wissenschaftlichen Krien in Deutschland als vorzüglich anerkennen, ohne darum auch mit der Einfüh¬ rung beschnittner Classikcrausgnben oder mit der Beschränkung des naturwissen¬ schaftlichen Unterrichts u. tgi. von vornherein einverstanden'zu sein. Ohne Synode lassen sich die vielen bis jetzt vertagten Existenzfragen des evangelischen Lebens in Ungarn, darunter vor allem die Unterrichtstage, nicht lösen. — Verantwortlicher Redacteur: 1). Moritz Busch — Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von C. E. (Llbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/494>, abgerufen am 28.12.2024.