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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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der heiligen Sakhra.. Die arabische Dichtung nennt in ihrem Schwung den
Bau ein irdisches Paradies, von dem der Himmel nur achtzehn Meilen ent¬
fernt sei, und wenn mir das jetzt zu stark aufgetragen scheint, so gestehe ich,
daß mir damals nach dem höllischen Gedränge und dem Angstschweiß in dem
finstern Gange, der blaue Himmel und die freie Luft allerdings himmlilch
genug vorkamen.

Weshalb man nicht einen der vielen andern Eingänge gewählt, von de¬
nen mehre beträchtlich weiter find, war nicht abzusehen. Wollte man auf
diese Art zu starken Zudrang nach dem Heiligthum verhüten, so verfehlte man
sein Ziel. Es tummelten sich binnen einer Viertelstunde mindestens tausend
Menschen, der großen Mehrzahl nach Christen, auf dem Platze -- ein Besuch,
der. seit Jahrhunderten nicht erlebt, sich manches Jahr im Gedächtniß der
Moslemin von El Koth als betrübendes, unheilverkündendes Ereigniß er¬
halten wird.

Die Hochebene des Moriah, auf der ich mich nun befand, ist ein läng¬
liches Viereck, welches von Süden nach Norden etwa 1500 und von Weste"
nach Osten gegen 1000 Fuß mißt. Im Westen und Norden wird es von
hohen altsarazenischen Gebäuden sehr unregelmäßiger Gestalt überragt, in
denen sich, die Amtswohnung des Pascha, mehre Schulen, Wohnungen M
Moscheediener und Herbergen für Pilger befinden. Im Osten und Süden
umfaßt den Raum die Stadtmauer, über der dort der Oelberg, hier der Berg
des Aergernisses erscheint. Ungefähr in der Mitte dieses Plateaus erhebt D
eine circa 500 Fuß lange und 400 Fuß breite, mit Marmorplatten belegte
Plattform, zu welcher acht Treppen von je vierzehn Stufen emporführen, und
welche die Sakhra-Moschee so wie eine Art Säulenpavillon trägt. Hinter der
Plattform im Süden steht eine zweite Moschee, die Aksa. Der übrige Raum
des Haram wird von Grasplätzen, sehr großen Cypressen, Olivenbäumen,
Brunnen, Grabmälern, einzelnen Bädern und andern kleinen Gebäuden im
sarazenischen Stil eingenommen. Im Osten befindet sich das vermauerte
goldne Thor. An mehren Stellen im Süden gibt der Erdboden bei starkem
Auftreten einen dumpfen Klang, als ob sich unter ihm Höhlen oder Gewölbe
befänden.

Ehe der Großfürst die Stufen der Plattform erstieg, vertauschte er, von
dem Schech, der ihm als Führer diente, gemahnt, die Stiefel mit reinen
türkischen Lederstrümpfen. Auch wir thaten dies, und es nahm sich eigen aus,
die ganze Masse der Neugierigen, die Stiefel und Schuhe in der Hand nach
der Moschee hinwandern zu sehen. Oben vor der Moschee angekommen, be¬
gann die Menge sich von neuem zu drängen, und das türkische Militär, wel¬
ches den östlichen Eingang bewachte, wußte sich der stürmischen Hast, mit wel¬
cher jeder der erste nach dem Prinzen in der Moschee sein wollte, nicht "N-


der heiligen Sakhra.. Die arabische Dichtung nennt in ihrem Schwung den
Bau ein irdisches Paradies, von dem der Himmel nur achtzehn Meilen ent¬
fernt sei, und wenn mir das jetzt zu stark aufgetragen scheint, so gestehe ich,
daß mir damals nach dem höllischen Gedränge und dem Angstschweiß in dem
finstern Gange, der blaue Himmel und die freie Luft allerdings himmlilch
genug vorkamen.

Weshalb man nicht einen der vielen andern Eingänge gewählt, von de¬
nen mehre beträchtlich weiter find, war nicht abzusehen. Wollte man auf
diese Art zu starken Zudrang nach dem Heiligthum verhüten, so verfehlte man
sein Ziel. Es tummelten sich binnen einer Viertelstunde mindestens tausend
Menschen, der großen Mehrzahl nach Christen, auf dem Platze — ein Besuch,
der. seit Jahrhunderten nicht erlebt, sich manches Jahr im Gedächtniß der
Moslemin von El Koth als betrübendes, unheilverkündendes Ereigniß er¬
halten wird.

Die Hochebene des Moriah, auf der ich mich nun befand, ist ein läng¬
liches Viereck, welches von Süden nach Norden etwa 1500 und von Weste»
nach Osten gegen 1000 Fuß mißt. Im Westen und Norden wird es von
hohen altsarazenischen Gebäuden sehr unregelmäßiger Gestalt überragt, in
denen sich, die Amtswohnung des Pascha, mehre Schulen, Wohnungen M
Moscheediener und Herbergen für Pilger befinden. Im Osten und Süden
umfaßt den Raum die Stadtmauer, über der dort der Oelberg, hier der Berg
des Aergernisses erscheint. Ungefähr in der Mitte dieses Plateaus erhebt D
eine circa 500 Fuß lange und 400 Fuß breite, mit Marmorplatten belegte
Plattform, zu welcher acht Treppen von je vierzehn Stufen emporführen, und
welche die Sakhra-Moschee so wie eine Art Säulenpavillon trägt. Hinter der
Plattform im Süden steht eine zweite Moschee, die Aksa. Der übrige Raum
des Haram wird von Grasplätzen, sehr großen Cypressen, Olivenbäumen,
Brunnen, Grabmälern, einzelnen Bädern und andern kleinen Gebäuden im
sarazenischen Stil eingenommen. Im Osten befindet sich das vermauerte
goldne Thor. An mehren Stellen im Süden gibt der Erdboden bei starkem
Auftreten einen dumpfen Klang, als ob sich unter ihm Höhlen oder Gewölbe
befänden.

Ehe der Großfürst die Stufen der Plattform erstieg, vertauschte er, von
dem Schech, der ihm als Führer diente, gemahnt, die Stiefel mit reinen
türkischen Lederstrümpfen. Auch wir thaten dies, und es nahm sich eigen aus,
die ganze Masse der Neugierigen, die Stiefel und Schuhe in der Hand nach
der Moschee hinwandern zu sehen. Oben vor der Moschee angekommen, be¬
gann die Menge sich von neuem zu drängen, und das türkische Militär, wel¬
ches den östlichen Eingang bewachte, wußte sich der stürmischen Hast, mit wel¬
cher jeder der erste nach dem Prinzen in der Moschee sein wollte, nicht «N-


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[0484] der heiligen Sakhra.. Die arabische Dichtung nennt in ihrem Schwung den Bau ein irdisches Paradies, von dem der Himmel nur achtzehn Meilen ent¬ fernt sei, und wenn mir das jetzt zu stark aufgetragen scheint, so gestehe ich, daß mir damals nach dem höllischen Gedränge und dem Angstschweiß in dem finstern Gange, der blaue Himmel und die freie Luft allerdings himmlilch genug vorkamen. Weshalb man nicht einen der vielen andern Eingänge gewählt, von de¬ nen mehre beträchtlich weiter find, war nicht abzusehen. Wollte man auf diese Art zu starken Zudrang nach dem Heiligthum verhüten, so verfehlte man sein Ziel. Es tummelten sich binnen einer Viertelstunde mindestens tausend Menschen, der großen Mehrzahl nach Christen, auf dem Platze — ein Besuch, der. seit Jahrhunderten nicht erlebt, sich manches Jahr im Gedächtniß der Moslemin von El Koth als betrübendes, unheilverkündendes Ereigniß er¬ halten wird. Die Hochebene des Moriah, auf der ich mich nun befand, ist ein läng¬ liches Viereck, welches von Süden nach Norden etwa 1500 und von Weste» nach Osten gegen 1000 Fuß mißt. Im Westen und Norden wird es von hohen altsarazenischen Gebäuden sehr unregelmäßiger Gestalt überragt, in denen sich, die Amtswohnung des Pascha, mehre Schulen, Wohnungen M Moscheediener und Herbergen für Pilger befinden. Im Osten und Süden umfaßt den Raum die Stadtmauer, über der dort der Oelberg, hier der Berg des Aergernisses erscheint. Ungefähr in der Mitte dieses Plateaus erhebt D eine circa 500 Fuß lange und 400 Fuß breite, mit Marmorplatten belegte Plattform, zu welcher acht Treppen von je vierzehn Stufen emporführen, und welche die Sakhra-Moschee so wie eine Art Säulenpavillon trägt. Hinter der Plattform im Süden steht eine zweite Moschee, die Aksa. Der übrige Raum des Haram wird von Grasplätzen, sehr großen Cypressen, Olivenbäumen, Brunnen, Grabmälern, einzelnen Bädern und andern kleinen Gebäuden im sarazenischen Stil eingenommen. Im Osten befindet sich das vermauerte goldne Thor. An mehren Stellen im Süden gibt der Erdboden bei starkem Auftreten einen dumpfen Klang, als ob sich unter ihm Höhlen oder Gewölbe befänden. Ehe der Großfürst die Stufen der Plattform erstieg, vertauschte er, von dem Schech, der ihm als Führer diente, gemahnt, die Stiefel mit reinen türkischen Lederstrümpfen. Auch wir thaten dies, und es nahm sich eigen aus, die ganze Masse der Neugierigen, die Stiefel und Schuhe in der Hand nach der Moschee hinwandern zu sehen. Oben vor der Moschee angekommen, be¬ gann die Menge sich von neuem zu drängen, und das türkische Militär, wel¬ ches den östlichen Eingang bewachte, wußte sich der stürmischen Hast, mit wel¬ cher jeder der erste nach dem Prinzen in der Moschee sein wollte, nicht «N-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/484>, abgerufen am 23.07.2024.