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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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riß des Haramplatzes eindringen zu können. In Aegypten so wie in Konstan¬
tinopel hat es keine besondern Schwierigkeiten, in Moscheen zu gelangen. In
Jerusalem nimmt man es genauer, und das Innere der Sakhra, des zweit¬
größten Heiligthums der mohammedanischen Welt, zu sehen, war in den letz¬
ten beiden Jahren einem nicht gefürsteten Kasir gradezu unmöglich. Unter
Kiamil Pascha öffnete sich der hochverehrte Raum gegen ein gutes Trinkgeld
auch gewöhnlichen Sterblichen. Der jetzige Vertreter des Sultans dagegen
nahm mehr Rücksicht auf das Vorurtheil der Moslemin, nach dem christliche
Fußsohlen den Ort beflecken, und man Hütte nur in morgenländischer Tracht
dahin gelangen können, ein Wagniß, welches dem, der nicht arabisch oder
türkisch sprach, sehr übel bekommen konnte. Die Fürsten, welche früher hier
gewesen waren, hatten den Platz, wo der alte Tempel Jehovas gestanden,
besucht, aber nur wenigen Einheimischen und Reisenden gestattet, sie zu be¬
gleiten. Der englische Prinz hatte sogar nur sein Gefolge mitgenommen.
Wir hofften, der Großfürst werde den Ort sich gleichfalls ansehen und liberaler
kein, und diese Hoffnung erfüllte sich. Den 17. Mai früh erschien Professor
Tischendorf aus Leipzig, der Zutritt zum Großfürsten hatte und dessen Be¬
kanntschaft ich Tags vorher gemacht, im Hospiz mit der Meldung, der Prinz
werde Nachmittags vier Uhr sich nach dem Haram begeben und es sei jedem
Christen erlaubt, sich seinem Zug anzuschließen. Die Nachricht hiervon ver¬
breitete sich bald durch die ganze Stadt, und als wir uns zur angegebnen
Stunde vor dem griechischen Kloster einfanden, trafen wir dort nicht blos alle
grade in Jerusalem anwesenden Fremden, sondern auch eine große Anzahl
hier wohnender Griechen versammelt. Um Unordnung zu verhüten und et¬
waige Widersetzlichkeiten fanatischer Mohammedaner zu brechen, war auf
dem Wege an mehren Stellen türkisches Militär aufgestellt. Dennoch war
das Gedräng, als der Großfürst mit seiner Gemahlin erschien und der Zug
steh nach dem Tyropäon hinab in Bewegung setzte, schon in den breiteren
Straßen sehr stark. Noch furchtbarer wurde es, als die Procession in die
^uge Gasse einlenkte, welche den Abhang des Moriah hinaufführt, und ein
russischer Pope, der neben mir strauchelte und Hinsiel, war in der größten
Gefahr zertreten zu werden. Ueber alle Begriffe schrecklich aber gestaltete sich
das Kämpfen und Würgen, als wir in den schmalen dunkeln Gang kamen,
der an der Nordwestecke des Moriahplateaus sich öffnet. Mehre Personen
wurden hier ohnmächtig. Wiederholt stockte der Menschenstrom wie ein Eis-
Sang. Das Stöhnen der Gepreßten war entsetzlich. Ich selbst wurde erst
Zusammengedrückt, daß ich ernstlich einen Rippenbruch fürchtete, und dann wie
kine aufgestaute Scholle emporgeschoben und in dieser Lage, mit den Füßen
über dem Boden wol zehn Schritt weit fortgetragen. Endlich war der Aus-
öang erreicht, und tief aufathmend sah man sich im Freien und im Angesicht


riß des Haramplatzes eindringen zu können. In Aegypten so wie in Konstan¬
tinopel hat es keine besondern Schwierigkeiten, in Moscheen zu gelangen. In
Jerusalem nimmt man es genauer, und das Innere der Sakhra, des zweit¬
größten Heiligthums der mohammedanischen Welt, zu sehen, war in den letz¬
ten beiden Jahren einem nicht gefürsteten Kasir gradezu unmöglich. Unter
Kiamil Pascha öffnete sich der hochverehrte Raum gegen ein gutes Trinkgeld
auch gewöhnlichen Sterblichen. Der jetzige Vertreter des Sultans dagegen
nahm mehr Rücksicht auf das Vorurtheil der Moslemin, nach dem christliche
Fußsohlen den Ort beflecken, und man Hütte nur in morgenländischer Tracht
dahin gelangen können, ein Wagniß, welches dem, der nicht arabisch oder
türkisch sprach, sehr übel bekommen konnte. Die Fürsten, welche früher hier
gewesen waren, hatten den Platz, wo der alte Tempel Jehovas gestanden,
besucht, aber nur wenigen Einheimischen und Reisenden gestattet, sie zu be¬
gleiten. Der englische Prinz hatte sogar nur sein Gefolge mitgenommen.
Wir hofften, der Großfürst werde den Ort sich gleichfalls ansehen und liberaler
kein, und diese Hoffnung erfüllte sich. Den 17. Mai früh erschien Professor
Tischendorf aus Leipzig, der Zutritt zum Großfürsten hatte und dessen Be¬
kanntschaft ich Tags vorher gemacht, im Hospiz mit der Meldung, der Prinz
werde Nachmittags vier Uhr sich nach dem Haram begeben und es sei jedem
Christen erlaubt, sich seinem Zug anzuschließen. Die Nachricht hiervon ver¬
breitete sich bald durch die ganze Stadt, und als wir uns zur angegebnen
Stunde vor dem griechischen Kloster einfanden, trafen wir dort nicht blos alle
grade in Jerusalem anwesenden Fremden, sondern auch eine große Anzahl
hier wohnender Griechen versammelt. Um Unordnung zu verhüten und et¬
waige Widersetzlichkeiten fanatischer Mohammedaner zu brechen, war auf
dem Wege an mehren Stellen türkisches Militär aufgestellt. Dennoch war
das Gedräng, als der Großfürst mit seiner Gemahlin erschien und der Zug
steh nach dem Tyropäon hinab in Bewegung setzte, schon in den breiteren
Straßen sehr stark. Noch furchtbarer wurde es, als die Procession in die
^uge Gasse einlenkte, welche den Abhang des Moriah hinaufführt, und ein
russischer Pope, der neben mir strauchelte und Hinsiel, war in der größten
Gefahr zertreten zu werden. Ueber alle Begriffe schrecklich aber gestaltete sich
das Kämpfen und Würgen, als wir in den schmalen dunkeln Gang kamen,
der an der Nordwestecke des Moriahplateaus sich öffnet. Mehre Personen
wurden hier ohnmächtig. Wiederholt stockte der Menschenstrom wie ein Eis-
Sang. Das Stöhnen der Gepreßten war entsetzlich. Ich selbst wurde erst
Zusammengedrückt, daß ich ernstlich einen Rippenbruch fürchtete, und dann wie
kine aufgestaute Scholle emporgeschoben und in dieser Lage, mit den Füßen
über dem Boden wol zehn Schritt weit fortgetragen. Endlich war der Aus-
öang erreicht, und tief aufathmend sah man sich im Freien und im Angesicht


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[0483] riß des Haramplatzes eindringen zu können. In Aegypten so wie in Konstan¬ tinopel hat es keine besondern Schwierigkeiten, in Moscheen zu gelangen. In Jerusalem nimmt man es genauer, und das Innere der Sakhra, des zweit¬ größten Heiligthums der mohammedanischen Welt, zu sehen, war in den letz¬ ten beiden Jahren einem nicht gefürsteten Kasir gradezu unmöglich. Unter Kiamil Pascha öffnete sich der hochverehrte Raum gegen ein gutes Trinkgeld auch gewöhnlichen Sterblichen. Der jetzige Vertreter des Sultans dagegen nahm mehr Rücksicht auf das Vorurtheil der Moslemin, nach dem christliche Fußsohlen den Ort beflecken, und man Hütte nur in morgenländischer Tracht dahin gelangen können, ein Wagniß, welches dem, der nicht arabisch oder türkisch sprach, sehr übel bekommen konnte. Die Fürsten, welche früher hier gewesen waren, hatten den Platz, wo der alte Tempel Jehovas gestanden, besucht, aber nur wenigen Einheimischen und Reisenden gestattet, sie zu be¬ gleiten. Der englische Prinz hatte sogar nur sein Gefolge mitgenommen. Wir hofften, der Großfürst werde den Ort sich gleichfalls ansehen und liberaler kein, und diese Hoffnung erfüllte sich. Den 17. Mai früh erschien Professor Tischendorf aus Leipzig, der Zutritt zum Großfürsten hatte und dessen Be¬ kanntschaft ich Tags vorher gemacht, im Hospiz mit der Meldung, der Prinz werde Nachmittags vier Uhr sich nach dem Haram begeben und es sei jedem Christen erlaubt, sich seinem Zug anzuschließen. Die Nachricht hiervon ver¬ breitete sich bald durch die ganze Stadt, und als wir uns zur angegebnen Stunde vor dem griechischen Kloster einfanden, trafen wir dort nicht blos alle grade in Jerusalem anwesenden Fremden, sondern auch eine große Anzahl hier wohnender Griechen versammelt. Um Unordnung zu verhüten und et¬ waige Widersetzlichkeiten fanatischer Mohammedaner zu brechen, war auf dem Wege an mehren Stellen türkisches Militär aufgestellt. Dennoch war das Gedräng, als der Großfürst mit seiner Gemahlin erschien und der Zug steh nach dem Tyropäon hinab in Bewegung setzte, schon in den breiteren Straßen sehr stark. Noch furchtbarer wurde es, als die Procession in die ^uge Gasse einlenkte, welche den Abhang des Moriah hinaufführt, und ein russischer Pope, der neben mir strauchelte und Hinsiel, war in der größten Gefahr zertreten zu werden. Ueber alle Begriffe schrecklich aber gestaltete sich das Kämpfen und Würgen, als wir in den schmalen dunkeln Gang kamen, der an der Nordwestecke des Moriahplateaus sich öffnet. Mehre Personen wurden hier ohnmächtig. Wiederholt stockte der Menschenstrom wie ein Eis- Sang. Das Stöhnen der Gepreßten war entsetzlich. Ich selbst wurde erst Zusammengedrückt, daß ich ernstlich einen Rippenbruch fürchtete, und dann wie kine aufgestaute Scholle emporgeschoben und in dieser Lage, mit den Füßen über dem Boden wol zehn Schritt weit fortgetragen. Endlich war der Aus- öang erreicht, und tief aufathmend sah man sich im Freien und im Angesicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/483>, abgerufen am 23.07.2024.