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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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zweifelhaft gewonnen worden sein. Die Begleitung des Prinzen schien ihm
aufrichtig zugethan zu sein, und wenn ihr zu glauben ist, so gehört der Gro߬
fürst Konstantin nicht nur zu den begabtesten, thätigsten und unterrichtetsten
Fürsten unsrer Zeit, sondern er ist auch im hohen Grade liberalen Meinungen
und Plänen geneigt, ja liberaler als sein kaiserlicher Bruder. Auch diese Be¬
gleitung machte, so weit sie mit den hier wohnenden Deutschen in Berührung
kam, einen angenehmen Eindruck, und zwar nicht blos durch Hofmanieren, son¬
dern zugleich durch Bildung und charaktervolles Auftreten, und wenn in Petersburg
der Ton, in dem sie sprachen, oft gehört wird, so könnten die Nachrichten,
die uns von einem dort wehenden neuen Geist gelegentlich zukommen, zu
glauben sein. Daß die Herren Oestreich nicht liebten, ihm eine starke De¬
müthigung gönnten, schien mir verzeihlich, wenigstens begreiflich. Geht es doch
manchen andern Leuten mit dieser Macht ebenso.

Unter den Soldaten, welche der Großfürst mitgebracht hatte, sah ich mehre
von gigantischem Körperbau. Sie waren aber wol ausgesuchte Leute, mit¬
genommen, um zu imponiren. Die Matrosen, großentheils Finnen und E-
sthen, die meist nur die Sprache ihrer Heimath und nicht einmal russisch ver¬
standen, hatten durchschnittlich ein weniger vortheilhaftes Aeußere. Man be¬
gegnete ihnen in großen Schwärmen aus dem Platz vor der Grabeskirche,
wo die Händler mit Andenken von ihrer Kauflust eine gute Nachlese des dies¬
jährigen Ostermarktes erzielten. Die heiligen Orte und die Thäler und Berge
um die Stadt wimmelten von ihnen. Auf allen Wegen vor den Thoren sah
man sie der den Seeleuten aller Nationen eignen Neigung zum Reiten stöh¬
nen, und wo einem der Beutel nicht erlaubt hatte, sich einen Gaul allein zu
miethen, hatte er sich mit einem Kameraden associirt und gewährte so den
Jcrusalemern das neue Schauspiel, auf jeder Seite des Sattels zwei Beine
herabbanmeln zu sehen. Der Juchtengeruch, den sie verbreiteten, war auf
dreißig Schritt hinter ihnen noch zu merken. Hatten sie ihre Gänge durch
die Stadt und deren Nachbarschaft vollendet, so ließen sie sich von den Geist¬
lichen ihrer Confession Zeugnisse ausstellen, daß sie wirklich in Jerusalem ge¬
wesen, und da viele von ihnen lutherisch waren, so hatte Pastor Valentiner,
der deutsche Pfarrer an der Zionskirche, bisweilen das ganze Haus voll von
solchen Bittstellern. Mit welcher Andacht mag die alte Mutter des einen oder
des andern dieser Matrosen am fernen esthnischen Gestade, mit welcher frohen
Ueberraschung die Schwester an der eisigen finnischen Föhrde das kleine Perl¬
mutterkreuz in Empfang genommen haben, das ihr der Weitgereiste aus der
Stadt mitbrachte, wo ihr Heiland gewandelt!

Wir im preußischen Hospiz hatten der Ankunft des Großfürsten mit Sehn¬
sucht entgegengesehen, nicht sowol der Feierlichkeit des Einzugs wegen, als
vielmehr, weil uns dadurch die Aussicht näher gerückt war, in das Geheim-


zweifelhaft gewonnen worden sein. Die Begleitung des Prinzen schien ihm
aufrichtig zugethan zu sein, und wenn ihr zu glauben ist, so gehört der Gro߬
fürst Konstantin nicht nur zu den begabtesten, thätigsten und unterrichtetsten
Fürsten unsrer Zeit, sondern er ist auch im hohen Grade liberalen Meinungen
und Plänen geneigt, ja liberaler als sein kaiserlicher Bruder. Auch diese Be¬
gleitung machte, so weit sie mit den hier wohnenden Deutschen in Berührung
kam, einen angenehmen Eindruck, und zwar nicht blos durch Hofmanieren, son¬
dern zugleich durch Bildung und charaktervolles Auftreten, und wenn in Petersburg
der Ton, in dem sie sprachen, oft gehört wird, so könnten die Nachrichten,
die uns von einem dort wehenden neuen Geist gelegentlich zukommen, zu
glauben sein. Daß die Herren Oestreich nicht liebten, ihm eine starke De¬
müthigung gönnten, schien mir verzeihlich, wenigstens begreiflich. Geht es doch
manchen andern Leuten mit dieser Macht ebenso.

Unter den Soldaten, welche der Großfürst mitgebracht hatte, sah ich mehre
von gigantischem Körperbau. Sie waren aber wol ausgesuchte Leute, mit¬
genommen, um zu imponiren. Die Matrosen, großentheils Finnen und E-
sthen, die meist nur die Sprache ihrer Heimath und nicht einmal russisch ver¬
standen, hatten durchschnittlich ein weniger vortheilhaftes Aeußere. Man be¬
gegnete ihnen in großen Schwärmen aus dem Platz vor der Grabeskirche,
wo die Händler mit Andenken von ihrer Kauflust eine gute Nachlese des dies¬
jährigen Ostermarktes erzielten. Die heiligen Orte und die Thäler und Berge
um die Stadt wimmelten von ihnen. Auf allen Wegen vor den Thoren sah
man sie der den Seeleuten aller Nationen eignen Neigung zum Reiten stöh¬
nen, und wo einem der Beutel nicht erlaubt hatte, sich einen Gaul allein zu
miethen, hatte er sich mit einem Kameraden associirt und gewährte so den
Jcrusalemern das neue Schauspiel, auf jeder Seite des Sattels zwei Beine
herabbanmeln zu sehen. Der Juchtengeruch, den sie verbreiteten, war auf
dreißig Schritt hinter ihnen noch zu merken. Hatten sie ihre Gänge durch
die Stadt und deren Nachbarschaft vollendet, so ließen sie sich von den Geist¬
lichen ihrer Confession Zeugnisse ausstellen, daß sie wirklich in Jerusalem ge¬
wesen, und da viele von ihnen lutherisch waren, so hatte Pastor Valentiner,
der deutsche Pfarrer an der Zionskirche, bisweilen das ganze Haus voll von
solchen Bittstellern. Mit welcher Andacht mag die alte Mutter des einen oder
des andern dieser Matrosen am fernen esthnischen Gestade, mit welcher frohen
Ueberraschung die Schwester an der eisigen finnischen Föhrde das kleine Perl¬
mutterkreuz in Empfang genommen haben, das ihr der Weitgereiste aus der
Stadt mitbrachte, wo ihr Heiland gewandelt!

Wir im preußischen Hospiz hatten der Ankunft des Großfürsten mit Sehn¬
sucht entgegengesehen, nicht sowol der Feierlichkeit des Einzugs wegen, als
vielmehr, weil uns dadurch die Aussicht näher gerückt war, in das Geheim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/482>, abgerufen am 23.07.2024.