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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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auch darin nichts nach, schössen jene rascher und zielten sie besser, so hat sich
das ebenfalls längst schon ausgeglichen.

Noch ganz anders stellt sich die Sache, wenn wir nach dem Personal der
beiden Flotten fragen. England braucht zur Bemannung der seinen 150,000,
Frankreich 130.000 Matrosen und Seesoldaten, England hat etwa eine Million,
Frankreich gegen 300,000 mit dem Seedienst vertraute Bewohner. England
aber rekrutirt seine Schiffsmannschaften durch Werbung, Frankreich durch Aus¬
hebung. In diesem Unterschied liegt für letztere Macht ein Vortheil, der
alles, was bei einer Abwägung des Materials der beiden Flotten sich an
Uebergewicht für England ergeben mag, bis auf weiteres aufzuheben scheint.
Mag Napier, das Haupt der Alarmisten. übertrieben haben, als er neulich
die Uebelstände während des letzten Seefeldzugs im Parlament schilderte, sicher
ist. daß man die größte Noth hatte, die Geschwader zu bemannen, daß viele
Schiffe monatelang im Hafen bleiben mußten, weil die Werbung kein hin-
reichendes Ergebniß lieferte, daß endlich die Flotten, welche in der Ostsee und
im schwarzen Meer mitwirkten, höchstens zu einem Drittel mit gelernten See¬
leuten versehen waren. Das "Matrosenpressen", welches, wenn die Begriffe
Altenglands von Recht und Billigkeit die Conscription nicht einführen ließen,
das alleinige Mittel wäre, der Wiederholung solcher Matrosennoth rasch ab¬
zuhelfen, scheint mit Recht sür immer aufgegeben zu sein. Die Einrichtung
der Küstenwächter aber wird erst in einer Reihe von Jahren die Ergebnisse
liefern können, die man von ihr erwartet. Gegenwärtig kann sie nur die
Bemannung einiger Linienschiffe und Fregatten erleichtern. Ganz anders w
Frankreich. Hier ist jedermann, der sich der Seeschiffahrt oder Küstenfischerei
widmet, in bestimmte Listen eingetragen, nach denen er zum Flottendienst
herangezogen werden kann. Diese Listen zeigten vor drei Jahren 162,000
seedienstpflichtige Franzosen auf, und so kann Frankreich nicht nur in kurzem
seine gesammte Flotte bemannen, sondern es hat auch noch eine Reserve von
32,000 Mann für den Fall eines großen Seekrieges, bei dem Handel und
Verkehr auf dem Meer ohnehin unterbrochen sein würden. Während Eng¬
land bei dem Ausbruch eines solchen Krieges jetzt allerhöchstens 60,000 ein¬
geübte Matrosen und Seesoldaten (Küstenwächter, Werftmatrosen, und andere
zur Flotte in Beziehung stehende Classen der Bevölkerung mitgezählt) zur Ver¬
fügung hätte, würde Frankreich in diesem Fall vermöge der Einrichtung seiner
shuixages as ligns mindestens 80.000 gut einexercirte, vollkommen kämpfe
fertige Seeleute bereit haben. Rechnet man dazu noch, daß England zur Er¬
gänzung seines Seeofsiziercorps nur alte, zum Theil schon altersschwache Halb-
foldosfiziere hat, daß es keinen Admiral unter 70, keinen Contreadmiral unter
60 Jahren besitzt, während die Geschwader Frankreichs durch die Einrichtung,
nach welcher die Regierung keinem Kauffahrteicapitän die Erlaubniß ein Schiff zu


auch darin nichts nach, schössen jene rascher und zielten sie besser, so hat sich
das ebenfalls längst schon ausgeglichen.

Noch ganz anders stellt sich die Sache, wenn wir nach dem Personal der
beiden Flotten fragen. England braucht zur Bemannung der seinen 150,000,
Frankreich 130.000 Matrosen und Seesoldaten, England hat etwa eine Million,
Frankreich gegen 300,000 mit dem Seedienst vertraute Bewohner. England
aber rekrutirt seine Schiffsmannschaften durch Werbung, Frankreich durch Aus¬
hebung. In diesem Unterschied liegt für letztere Macht ein Vortheil, der
alles, was bei einer Abwägung des Materials der beiden Flotten sich an
Uebergewicht für England ergeben mag, bis auf weiteres aufzuheben scheint.
Mag Napier, das Haupt der Alarmisten. übertrieben haben, als er neulich
die Uebelstände während des letzten Seefeldzugs im Parlament schilderte, sicher
ist. daß man die größte Noth hatte, die Geschwader zu bemannen, daß viele
Schiffe monatelang im Hafen bleiben mußten, weil die Werbung kein hin-
reichendes Ergebniß lieferte, daß endlich die Flotten, welche in der Ostsee und
im schwarzen Meer mitwirkten, höchstens zu einem Drittel mit gelernten See¬
leuten versehen waren. Das „Matrosenpressen", welches, wenn die Begriffe
Altenglands von Recht und Billigkeit die Conscription nicht einführen ließen,
das alleinige Mittel wäre, der Wiederholung solcher Matrosennoth rasch ab¬
zuhelfen, scheint mit Recht sür immer aufgegeben zu sein. Die Einrichtung
der Küstenwächter aber wird erst in einer Reihe von Jahren die Ergebnisse
liefern können, die man von ihr erwartet. Gegenwärtig kann sie nur die
Bemannung einiger Linienschiffe und Fregatten erleichtern. Ganz anders w
Frankreich. Hier ist jedermann, der sich der Seeschiffahrt oder Küstenfischerei
widmet, in bestimmte Listen eingetragen, nach denen er zum Flottendienst
herangezogen werden kann. Diese Listen zeigten vor drei Jahren 162,000
seedienstpflichtige Franzosen auf, und so kann Frankreich nicht nur in kurzem
seine gesammte Flotte bemannen, sondern es hat auch noch eine Reserve von
32,000 Mann für den Fall eines großen Seekrieges, bei dem Handel und
Verkehr auf dem Meer ohnehin unterbrochen sein würden. Während Eng¬
land bei dem Ausbruch eines solchen Krieges jetzt allerhöchstens 60,000 ein¬
geübte Matrosen und Seesoldaten (Küstenwächter, Werftmatrosen, und andere
zur Flotte in Beziehung stehende Classen der Bevölkerung mitgezählt) zur Ver¬
fügung hätte, würde Frankreich in diesem Fall vermöge der Einrichtung seiner
shuixages as ligns mindestens 80.000 gut einexercirte, vollkommen kämpfe
fertige Seeleute bereit haben. Rechnet man dazu noch, daß England zur Er¬
gänzung seines Seeofsiziercorps nur alte, zum Theil schon altersschwache Halb-
foldosfiziere hat, daß es keinen Admiral unter 70, keinen Contreadmiral unter
60 Jahren besitzt, während die Geschwader Frankreichs durch die Einrichtung,
nach welcher die Regierung keinem Kauffahrteicapitän die Erlaubniß ein Schiff zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/472>, abgerufen am 22.07.2024.