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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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dem Particularismus der vier Stämme, wollen wir hier absehn. und nur die
praktische Seite ins Auge fassen.

Er will die Fortdauer der Bundesversammlung als Reichsexecutivgewalt,
in welcher das Präsidium zwischen Oestreich und Preußen alterniren soll. Zu
diesem Bundestag soll 1) eine Nationalversammlung kommen mit der aus¬
drücklichen Bedingung, daß während der Dauer derselben kein Landtag ge¬
halten werden dürfe, und hofft, daß diese Versammlung politischen Capacitäten
eine größere Arena für die Entfaltung ihrer Geisteskraft geben würde; 2) ein
Oberhaus ungefähr in der Weise des preußischen zusammengesetzt.

Wenn nun diese Nationalversammlung kein bloßer Redeübungsverein sein
soll, so muß sie doch irgend ein Mittel haben, auf die Executive einzuwirken,
sobald sie aber irgend eine Maßregel beschließt, die mit den Interessen Preu¬
ßens collidirt. so wird Preußen schon Mittel und Wege finden, den Bundes¬
tag zu einem Veto zu bestimmen. Und das wird bei jedem andern Staat so
der Fall sein, denn in dieser Zusammensetzung sähe jeder Fürst in der Beein¬
trächtigung der Rechte seines Nachbarn eine Beeinträchtigung der seinigen.
Es gibt hier kein Drittes: entweder macht sich die Nationalversammlung zum
Nationalconvent. d. h. sie führt die Republik ein -- denn die Idee einer re¬
publikanischen Spitze über einer Basis verschiedener Monarchien leuchtet doch
nur besonders begabten Köpfen ein --; oder sie sinkt zu einem Redeübungs¬
verein herab, den man als unbequem sehr bald beseitigen wird.

Ganz anders versteht ein Theil der demokratischen Presse in diesem Augen¬
blick die Einberufung des Volks. Dieser Theil der Partei hat sich jetzt davon
überzeugt, daß der Mächtige herrschen muß. Preußen soll den Particularis¬
mus theils mit Hilfe seiner Heere, theils mit Hilfe einer Nationalversamm¬
lung bezwingen, von der man voraussetzt, sie werde im Allgemeinen mit ihm
eines Sinnes sein. So hat die Idee wenigstens einen praktischen Sinn, aber
sie ist bedenklich in ihrem Erfolg und unter allen Umständen schädlich für die
gesunde Entwicklung Deutschlands, denn sie gibt dem Rechtsgefühl einen Stoß,
der schwer zu überwinden sein würde, und sie zieht die Gefahr eines Bürger¬
kriegs nach sich. Auf alle Fälle wird Preußen nicht darauf eingehn, denn es
fühlt den geheimen Vorbehalt heraus, daß wenn mit Hilfe des preußischen
Königthums die Macht der übrigen Fürsten gebrochen ist, an das preußische
Königthum die Reihe kommt. Der Ausweg wäre ein revolutionäres Mittel
d. h. ein Mittel der Verzweiflung, und so weit sind wir noch lange nicht
gekommen.

Die Executive ist es. die einer Reform bedarf, darauf weisen mehr als
je die bedrohlichen Zeitumstände hin. In diesem Sinn faßt die Nassauische
Denkschrift vom 21. Juni die Einheit Deutschlands auf; und wir sehn
mit Freude, daß auch in Süddeutschland die nationale Bewegung, die bis-


dem Particularismus der vier Stämme, wollen wir hier absehn. und nur die
praktische Seite ins Auge fassen.

Er will die Fortdauer der Bundesversammlung als Reichsexecutivgewalt,
in welcher das Präsidium zwischen Oestreich und Preußen alterniren soll. Zu
diesem Bundestag soll 1) eine Nationalversammlung kommen mit der aus¬
drücklichen Bedingung, daß während der Dauer derselben kein Landtag ge¬
halten werden dürfe, und hofft, daß diese Versammlung politischen Capacitäten
eine größere Arena für die Entfaltung ihrer Geisteskraft geben würde; 2) ein
Oberhaus ungefähr in der Weise des preußischen zusammengesetzt.

Wenn nun diese Nationalversammlung kein bloßer Redeübungsverein sein
soll, so muß sie doch irgend ein Mittel haben, auf die Executive einzuwirken,
sobald sie aber irgend eine Maßregel beschließt, die mit den Interessen Preu¬
ßens collidirt. so wird Preußen schon Mittel und Wege finden, den Bundes¬
tag zu einem Veto zu bestimmen. Und das wird bei jedem andern Staat so
der Fall sein, denn in dieser Zusammensetzung sähe jeder Fürst in der Beein¬
trächtigung der Rechte seines Nachbarn eine Beeinträchtigung der seinigen.
Es gibt hier kein Drittes: entweder macht sich die Nationalversammlung zum
Nationalconvent. d. h. sie führt die Republik ein — denn die Idee einer re¬
publikanischen Spitze über einer Basis verschiedener Monarchien leuchtet doch
nur besonders begabten Köpfen ein —; oder sie sinkt zu einem Redeübungs¬
verein herab, den man als unbequem sehr bald beseitigen wird.

Ganz anders versteht ein Theil der demokratischen Presse in diesem Augen¬
blick die Einberufung des Volks. Dieser Theil der Partei hat sich jetzt davon
überzeugt, daß der Mächtige herrschen muß. Preußen soll den Particularis¬
mus theils mit Hilfe seiner Heere, theils mit Hilfe einer Nationalversamm¬
lung bezwingen, von der man voraussetzt, sie werde im Allgemeinen mit ihm
eines Sinnes sein. So hat die Idee wenigstens einen praktischen Sinn, aber
sie ist bedenklich in ihrem Erfolg und unter allen Umständen schädlich für die
gesunde Entwicklung Deutschlands, denn sie gibt dem Rechtsgefühl einen Stoß,
der schwer zu überwinden sein würde, und sie zieht die Gefahr eines Bürger¬
kriegs nach sich. Auf alle Fälle wird Preußen nicht darauf eingehn, denn es
fühlt den geheimen Vorbehalt heraus, daß wenn mit Hilfe des preußischen
Königthums die Macht der übrigen Fürsten gebrochen ist, an das preußische
Königthum die Reihe kommt. Der Ausweg wäre ein revolutionäres Mittel
d. h. ein Mittel der Verzweiflung, und so weit sind wir noch lange nicht
gekommen.

Die Executive ist es. die einer Reform bedarf, darauf weisen mehr als
je die bedrohlichen Zeitumstände hin. In diesem Sinn faßt die Nassauische
Denkschrift vom 21. Juni die Einheit Deutschlands auf; und wir sehn
mit Freude, daß auch in Süddeutschland die nationale Bewegung, die bis-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/44>, abgerufen am 22.07.2024.